Monthly Archives: März 2021
Rotweißchen
Rotweißchen
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Mein Name ist Rosa Dolores Kronenkamm. Ich bin die Königin dieses
leider noch kleinen Landes Kokolores auf dem Kontinent Entribu.
Die erste Gattin meines Mannes, die vor mir die Landesangelegenheiten
regelte, ist vor zwei Jahren gestorben worden und hat eine Tochter
hinterlassen, deren Aufzucht nun meiner Pflege unterliegt. Sie
ist hübsch anzusehen und wegen ihres liebreizenden Wesens fliegen
ihr alle Herzen zu. Alle Herzen fliegen ihr zu, nur das meine möchte
sich nicht dazu herablassen, ihr zu Füßen zu liegen, denn es blickt
neidisch auf ihre langsam erblühende Schönheit und die straffe Haut
ihrer sich aufspannenden Jugend.
Ich bin keineswegs ein Kind des Glückes gewesen und musste mir alles, was
ich im Leben erreicht habe, schwer erarbeiten. In meiner Kindheit habe
ich nie die Liebe fürsorgender Eltern erfahren und verließ ihr Haus,
sobald ich achtzehn Jahre alt war. Mein Vater hat mich immer wieder mit dem
Gürtel geschlagen und Mama hat mich oft hungern lassen. Das hat mein Herz
hart und widerstandsfähig gemacht.
Nach meiner Flucht aus dem Elternhaus begegnete ich auf dem Tafelberg
im Regenbogenwald einer alten Lady, die mich bat, ihr Gepäck zu tragen.
Es war ein Test, wie sich später herausstellte, denn die alte Dame
suchte eine Hilfe für ihren Haushalt und eine Schülerin, die sie
in ihre magischen Künste einweihen konnte. Sie hielt mich für geeignet
und so begann eine mehrjährige Lehrzeit, in der Mirabella mich mit den
geheimnisvollen Geheimnissen der Naturfrauen vertraut machte. Zum Ende
meiner Lehrzeit schenkte sie mir einen Spiegel, der die Fähigkeit besaß,
auf jede Frage eine wahrheitsgemäße Antwort zu geben.
Dieser Spiegel wurde mein Gefährte und ersetzte mir sowohl den Liebhaber
als auch die Familie, auf die ich aufgrund meiner Lebenserfahrung nie
großen Wert gelegt habe.
Wenn ich Holz für das abendliche Lagerfeuer benötigte und einen sicheren
Platz, um mein Lager aufzuschlagen, befragte ich den Spiegel, und das
Bild des Platzes erschien in seiner glänzenden Fläche. Sein Rat kam immer
in Bildern, aber manchmal sprach er auch zu mir, indem er seine Kristalle
in Schwingung versetzte. Wenn ich mich einsam fühlte, sprach ich zu ihm
und stellte ihm Fragen über den Sinn meines Lebens. Ich verstieg mich sogar
so weit, ihn eines Tages zu fragen, ob ich wohl schön anzusehen wäre.
"Du bist die Schönste im ganzen Land!" antwortete er mir. Zuerst glaubte
ich ihm nicht, weil meine äußere Erscheinung mich überhaupt nicht entzückte.
Aber da er in anderen Punkten stets die Wahrheit gesagt hatte, begann ich, ihm
zu glauben und mich schön zu finden. Ich wurde eitel und es bereitete mir großes
Vergnügen, mir mehrmals täglich anzuhören, wie schön ich sei.
Doch mein unstetes Leben ohne einen festen Lebensmittelpunkt stellte mich
irgendwann nicht mehr zufrieden. So begann ich, den Spiegel nach Berufsaussichten
zu befragen und nach Vorschlägen zu einer anderen Lebensart, die mich vielleicht
glücklicher werden ließ. "Warum wirst du nicht Königin?" fragte er mich eines Tages.
"Kann man das denn so einfach werden?" fragte ich. "Ja, hier habe ich eine Anzeige gelesen,
in der ein König eine Zweitmutter für seine Tochter sucht, da seine Gattin krank geworden ist."
Das der Spiegel mit anderen Spiegeln vernetzt war und dass sich in ihren Spiegelflächen
alles spiegelte, was es auf der Welt gab, begriff ich erst an diesem Tag. Sogar
Zeitungsausschnitte, mimische Bewegungen von Gesichtern, Dialoge zwischen Liebespaaren
...man konnte auf das Wissen der ganzen Welt zugreifen.
"Das nennt man 'Googlen'!" klärte der Spiegel mich auf.
Gegoogelt, getan! machte ich mich auf den Weg in das in der Anzeige genannnte Königreich
und verzichte hier auf die Schilderung all der magischen Tricks, mit denen ich den König
dazu brachte, mich zu seiner Zweitfrau zu machen. Er war eine leichtgläubige Person und
es bereitete mir keine großen Mühe, ihn meinem Willen zu unterwerfen. Bei seiner Tochter fruchtete
meine Magie aber in keiner Weise. Sie war einfach zu wahrheitsliebend, um für die dunkle Seite
der Macht anfällig zu sein. Es war mir ein Leichtes, die Erstfrau des Königs zu beseitigen, da
sie ja ohnehin schon gesundheitlich angeschlagen war. Nun war ich also einen Schritt weiter
gekommen auf dem Weg zur Besteigung des Thrones. Mein Spiegel versicherte mir weiterhin, die Schönste
im ganzen Land zu sein. Aber als ich die Idee hatte, die Frage zu stellen, ob ich die Klügste
sei, zögerte ich zunächst und nahm dann Abstand davon.
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Fortsetzung folgt
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Ein fettes Sonett
Ein fettes Sonett
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Sonette zu schreiben ist sicher nicht schwer.
Ich will es versuchen und fahre ans Meer.
Im glasklaren Wasser schwimmt fett ein Sonett.
Ich fang' es und schreibe auf sein Etikett:
"Elf Silben, vier Zeilen! Das gleiche noch mal!"
Stolz roll ich es in meinen wollenen Schal.
Geborgen und warm ruht es nah meinem Herzen.
Es fehlen nur noch die zu suchenden Terzen.
Doch bleibt unvollkommen mein erster Versuch.
Zwölf Silben statt elf! Leider mehr als genug!
Verzweifelt will ich diese Schande verschmerzen
und suche nach maßgerecht tanzenden Terzen.
Ich finde sie nicht und muss schamhaft erbleichen.
Mir bleib nur, mich heimlich von dannen zu schleichen.
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Gedichte als Inspiration_001
Nachgedichtet - Vorfrühling - Hugo von Hoffmannsthal
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Stumm glitt ein Ton durch die Flöte
und schwebte beseelt durch den Raum.
Ein Vogelpaar blickte ihm lauschend nach
und dachte, es sei ein Traum.
In der Dämmerung vernahm man ein Schluchzen.
Keiner wusste, woher es wohl kam.
Die Geräusche, die in der Nacht kommen und gehen,
treibt der wehende Wind durch die kahlen Alleen.
Blasse Schatten durchwandern die duftende Nacht.
Einer weinte. Dann hat jemand lauthals gelacht.
Es kam unverstellt durch die Lippen zum Ohr.
Die Nacht dirigiert alle Klänge im Chor.
Was in der Nacht über die Lippen kam,
hat sich endlich hinausgewagt,
und verursachte Hoffnung und Wut und Scham,
denn es wurde noch niemals gesagt.
Seltsame Dinge wehen an Bäumen vorbei,
ein Weinen, ein Lachen, ein Schimpfen, ein Schrei
Doch der Frühlingswind streift durch die weiten Alleen
und jeder, der will, kann ihn heute dort seh'n.
Er streichelt erwachende Bäume
und schenkt ihnen zärtliche Träume.
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Die Welt ist schlecht
Die Welt ist schlecht
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"Alles wunderbar!" flötet ein kurzes Gedicht.
"Alles gut!" kreischt es, aber ich glaube ihm nicht.
Denn aller Wunder bar,
finde ich immer ein Haar
in jeglicher Suppe
von jedweder Puppe!
Sogar auch bei jedwedem Pupperich!
Gar nichts auf der Welt ist mir gut für mich!
Nicht mal mich selber kann ich lieben,
muss Selbstlob immerzu verschieben,
denn diese Welt ist furchtbar schlecht!
Ganz sicher geben Sie mir Recht:
"Die Welt ist gar nicht wunderbar!"
Und das war mir schon immer klar.
Ich will sie trotzdem nicht verdammen,
versuche, sie mit ihren Schrammen
trotz allem in mein Herz zu schließen
und lass mich nicht davon verdrießen,
dass ich oft wegen jeder Beule,
die sie mir schlug,
ein bißchen heule.
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Wann ist der Mann ein Mann?
Wann ist der Mann ein Mann?
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Der Typ in der Glotze gefiel mir. Er hatte breite Schultern,
schmale Hüften und schoß auf alles, was ihm den Weg versperrte.
So wollte ich sein. Ich hatte es satt, dass alle mit mir den Larry
machten und mich an die Seite schoben. Schon als Kind tanzten die
anderen mir auf der Nase herum und schubsten mich in den Graben.
Ich wollte so werden wie er und übte vor dem Spiegel, so männlich
zu gehen, als hätte ich einen Colt an der Seite hängen.
"Musst du zum Klo?" fragte meine Oma mich.
"Nein! Ich übe, ein Mann zu sein!" antwortete ich und verdrehte
die Augen. Sie verstand aber auch gar nichts.
Ich lief auf dem Hof herum und versuchte, meine Schultern breiter
zu machen, indem ich tief einatmete und die Luft anhielt.
"Du platzt gleich!" rief Tante Ellie mir vom Nachbargrundstück zu,
wo sie gerade weiße Wäsche mit bunten Klammern an der Leine befestigte.
Alte Frauen hatten keine Ahnung davon, was wirklich wichtig war im
Leben. Aber das behielt ich natürlich für mich.
Ich zog den Bauch ein und versuchte, gespannt wie ein Flitzebogen,
über die Straße zu schreiten. Hanno stellte mir ein Bein. Ich fiel
auf den Asphalt und meine Nase blutete.
"Wenn du ein Mann werden willst, musst du dich abrollen können,
so weich wie Butter!" sagte er.
"Sonst zerbrichst du wie Eis!"
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Er hat sich etwas ausgedacht
Er hat sich etwas ausgedacht
und wird deshalb jetzt ausgelacht.
Was er die ganze Zeit gehütet
und wild entschlossen ausgebrütet,
wurde von Hinz und Kunz entdeckt
und unbarmherzig aufgedeckt.
Nun steht der Text auf dem Papier.
Der Autor schämt sich sehr dafür,
denn dieser Text sprang nackt und bloß
ganz unverbraucht aus seinem Schoß.
Doch plötzlich steht vor seiner Tür
ein Fan und dankt ihm sehr dafür.
"Ich finde diesen Text grandios!
Als Dichter sind Sie echt famos!"
Ein Leser, der ihn motiviert!
Er dichtet weiter ungeniert!
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