Der Autor


Der Autor
Vor einigen Jahren leitete ich eine Schreibwerkstatt und führte die Teilnehmer durch
eine Reihe von Schreibimpulsen, um ihnen zu helfen, Ideen für Aufsätze oder Artikel
zu finden. Als die Sitzung fast zu Ende war, streckte eine Frau im Hintergrund
vehement ihren Arm in die Luft und fragte mit unverhüllt enthaltener Frustration
"Und jetzt? Was soll ich damit machen?" Natürlich hasste ich sie für diesen Einwand.
Aber das nur nebenbei. Der eigentliche Punkt war, dass sie in dem Workshop ein
Ziel vermisste. 
Wir waren zusammengekommen, um an unser kreatives Selbst anzuklopfen und Ideen
für Stücke zu generieren, die später weiter entwickelt und komplettiert werden
könnten. Stattdessen stand sie unter dem Einfluss des inneren Autors, dem Teil
unseres Selbst, der nur die Momente des Schreibens als wichtig und wertvoll
ansieht, die zu einer Veröffentlichung führen. Dieses Ziel kann die Kreativität
hemmen und verhindern. Anstatt unserer eigenen Sehnsucht danach, zu schreiben,
zu folgen, schreiben wir mit dem Marktplatz im Kopf. Wir schreiben über das, was 
gerade angesagt ist. Bei fast jeder Schreibwerkstatt trifft man auf Menschen, die
Fragen zur Veröffentlichung stellen. Unvermeidbar wollen viele Leute wissen, was
sich verkauft. Es ist gut für jeden ernsthaften Schriftsteller, den Marktplatz
zu verstehen. Aber für den Marktplatz zu schreiben, ist gewöhnlich eine schlechte
Idee. Wenn du dich nicht leidenschaftlich für ein Thema, eine Geschichte 
interessierst, wirst du nicht gut darüber schreiben. Wenn du nur für die Headline 
der Zeitung schreibst, oder dafür, deinen Namen gedruckt zu sehen, wirst du dich 
wahrscheinlich regelmäßig blockiert fühlen. Das ist der Fluch des Autors.
Wir lieben es alle, veröfentlicht zu werden. Es macht Spaß, unsere Worte
gedruckt zu sehen. Es ist eine Genugtuung und stellt zufrieden, die Aufmerksamkeit
der Leser zu erreichen.  Es ist nett, ein bißchen Geld für literarischen Erfolg
zu bekommen. Wir fühlen uns irgendwie gewertschätzt. Die Veröffentlichung lässt
uns fühlen, dass wir nicht nur jemand sind, der einfach schreibt, sondern ein
richtiger Schriftsteller. All diese Wünsche und Sehnsüchte sind großartig.  
Sie helfen uns, motiviert und fokussiert zu bleiben. Aber im frühen Stadium 
einer Geschichte wirst du kreativer und erfolgreicher sein, wenn du den
Autor wegschickst. Erlaube ihm, am Ende deiner Sitzung zurückzukehren, um
deine hervorragende Arbeit zu umarmen und dich in Tagträumen mit Ruhm zu
verwöhnen. Wenn du dein Projekt beendet hast, darfst du den Autor an die
Arbeit schicken, damit der deine Geschichte in die ganze Welt hinauspfeift.
Aber wenn du schreibst, dann schreibe, und genieße  deine Arbeit um ihrer
selbst willen. Tauche in den Prozess des Schreibens ein wie in eine tiefe
Meditation, bei der du alles um dich herum vergisst. Wenn nicht, verwandelt
sich der Autor in einen gefräßigen, nach Ruhm gierenden Kameraden, der
niemals zufrieden ist. Veröffentlichen ist ein hartes Geschäft voller 
Frustrationen , sogar für jene Schriftsteller, die meist erfolgreich sind.
Wenn du in erster Linie schreibst, um veröffentlicht zu werden und ein Autor
zu sein, wirst du nie ein glücklicher Schriftsteller sein, ich schwöre es
dir. Nichts wird gut genug sein. Veröffentlichungen lassen zu lange auf sich 
warten. Agenten und Herausgeber werden gehasste Feinde sein, deren Geschmack 
sich dauernd ändert. Weniger talentierte Schriftsteller werden schneller 
vorwärts kommen, weil sie sich verachtenswert und speichelleckerisch jedem
bekannten Autor, der in die Stadt kommt, an den Hals werfen. Deine Arbeit
wird nicht das Lob bekommen, das sie verdient. Deine Bücher werden schreckliche
Umschläge haben und die Verleger sind darauf aus, dich um deinen königlichen
Status zu betrügen. Niemand, niemand, niemand wird den menschlichen Anstand
haben zurückzurufen. Kurz und gut, agal, wieviel Erfolg du hast, alles wird 
schiefgehen.
Wie Pema Chödrön in ihrem Buch "When Things Fall Apart" sagt, gebe dir selbst
eine Pause. Sei freundlich und mitfühlend mit dir. Gebe der kreativen Seite
die Liebe und den Respekt, die sie verdient. Wenn du willst, wird es eine
Zeit geben, in der du dich mit dem Geschäft der Veröffentlichung beschäftigen
kannst. Publizieren kann eine große Motivation sein und ist keine schlechte
Ambition. Aber wenn du dabei bist, Worte auf das Papier zu bringen, Ideen zu
generieren, die dich interessieren, und dich mit dem Gefühl der Begeisterung
zu erfüllen, das Kunst inspirierend macht, schiebe den Autor an die Seite.
Der Komponist Peter Ilyich Tschaikowski nannte die Inspiration einen
launischen Gast. Wenn du darauf wartest, dass er ankommt, wirst du eine
lange Zeit warten müssen. Schreibe regelmäßig und du wirst die Ideen finden,
die durch dich hindurchfließen.In seinem Buch "The Craft Of Fiction" weist
William C. Knott darauf hin, dass der launische Gast gewöhnlich eintrifft,
wenn du ihn nicht länger brauchst, wenn du ganz einfach deine Sache machst.
Er weist auch darauf hin, dass du, wenn du die Seiten, die du in Momenten
der Inspiration geschrieben hast, mit denen vergleichst, die du einfach bei 
deiner täglichen Arbeit geschrieben hast, keinen großen Unterschied 
feststellen wirst.
Der Schlüssel, um alle Feinde der Kreativität zu schlagen, ist die tägliche
Arbeit. Wie du schon weißt, variiert die Erfahrung des Schreibens von Zeiten,
in denen sie ein ausgezeichnetes, genußsüchtiges Vergnügen ist bis, hin zu 
solchen, in denen sie sich anfühlt wie eine elende Schufterei wie bei dem
Todesmarsch von Bataan. Mach dir klar, dass beide Seiten ein Teil des Prozesses 
sind. An einigen Tagen werden die Ideen nur so fließen. An anderen tagen nicht.
Feinde wie die, über die wir gesprochen haben, werden erscheinen. Du weißt nun,
wer sie sind, woher sie kommen - und machst einfach weiter.