Väter und Söhne

 

Ein Vater gab sein Wissen früher weiter an den Sohn.
 Das Wissen lebte weiter in gelebter Tradition.
 Doch weil die Welt sich ändert, kommt es früher oder später
dazu dass Söhne viel mehr wissen als die alten Väter.
Das grämt die alten Väter sehr.
"Ach wenn es doch wie früher wär."
so denken sie im Stillen.
Jedoch die Zeit ist gegen sie und gegen ihren Willen.
Die Väter könnten sicher viel von ihren Söhnen lernen.
Dazu müssten sie falschen Stolz aus ihrem Geist entfernen.

Hinter Scheiben aus Glas

Ich hätte nicht gedacht, diese Schuhe jemals wiederzusehen.
Aber da lagen sie. Vor mir in der Vitrine. Hinter Scheiben
aus Glas. Ich weiß nicht, wie sie in dieses Museum gekommen
sind. Aber es sind die Tanzschuhe von Mimi und noch genauso
schön wie damals, mit der besonderen Ausstrahlung, die sich
wohl von der Tänzerin auf die Schuhe übertragen hat.
Es war ein Abend im November und ich habe sie auf der Bühne 
des großen Hauses gesehen. Sie stand inmitten einer Gruppe
von Frauen, deren Anführerin sie war. Im stampfenden Rhythmus
der Trommeln, die im Hintergrund geschlagen wurden, rannten
die Tänzerinnen auf den Rand der Bühne zu und folgten den Anweisungen
ihrer Anführerin, die die Gruppe mit ihrem Körper mal in die eine,
mal in die andere Richtung zog, mal im Kreis um das Zentrum der
Bühne führte oder einen Impuls zu völlig freien und nicht vorhersagbaren
Bewegungen gab. Das war ein Stampfen und Drehen, ein Rollen über den Boden,
ein Springen in die Luft, dass der Bühnenraum sich füllte mit dieser
lebendigen, pulsierenden Energie, die sich auf den Zuschauerraum
übertrug, wo das Publikum mit den Füßen zu scharren begann.
Zunächst begannen einige, leise mit den Fingern zu schnipsen,
aber dann klatschten andere in die Hände oder stampften mit den
Füßen, weil sie sich von dem Bewegungsfluss der Frauen auf der
Bühne mitreißen ließen. Als der Vorhang fiel, gab es einen tosenden
Applaus. Die Tänzerinnen traten vor den Vorhang und verbeugten sich
mit vor Zufriedenheit strahlenden  Gesichtern.
All dies verbarg sich nun in diesen Schuhen hinter Glas.
Ich schob meine Brille höher auf die Nase und staunte. 

Bei den flotten Hottentotten

In den glatten Kasematten 
bei den flotten Hottentotten,
wo sich Ratten zum Begatten 
sexuell zusammenrotten,
liegen lange, dünne Latten 
und auch blank polierte Platten,
wo im Schatten von Gemäuern
satte Ratten sich erneuern,
um sich stetig zu vermehren,
denn sie folgen dem Begehren
der Natur in ihren Genen,
ohne sich dafür zu schämen.
Sogar schamverklemmte Frauen
mit zunächst frustrierten Männern
lernen, der Natur zu trauen
und entwickeln sich zu Kennern
ihrer eingebauten Triebe
und jetzt machen alle Liebe.

 

Er war für mich unentbehrlich

Er war für mich unentbehrlich.
Ich vermisse ihn ganz ehrlich.
Tag für Tag war er bei mir
und ich danke ihm dafür.
Plötzlich ist er weggeblieben.
Kann er mich nicht länger lieben?
Hat er was an mir entdeckt,
was ihn ärgert und erschreckt?
Hat jemand ihn abgefangen?
Wie kann ich zu ihm gelangen?
Dieben biete ich die Stirn!
Komm zurück, mein Regenschirm!

Die Stille

Die Stille
- ein Abgrund, in den ich oft schaue.
Die Stille
- ein Raum, dem ich endlos vertraue.
Die Stille
- ein Tuch, das mich trostspendend wärmt.
Die Stille
- erfrischt mich, wenn ich mal verhärmt.
Die Stille
- ein Friede, den ich in der Seele
mir heimlich in einsamen Stunden gewebt.
Die Stille
- ist Kraft, die mich stärkend belebt.

 

Sie kaufte sich mal ein Regal

Sie kaufte sich mal ein Regal.
Das war aber etwas zu schmal.
Dann stellte sie etwas hinein.
Das Etwas war aber zu klein.
Sie machte das Kleine kurz Groß
und gab diesem dann einen Stoß.
Das nun große Etwas fiel tief,
weshalb es "Gerechtigkeit!" rief. 
Doch als die Gerechtigkeit kam,
überkam dieses Etwas die Scham.
Es errötete schnell und verließ
das Ikea-Regalparadies.

Kettensägengedicht

Kettensägen schneiden Äste
und zerfleischen Holzwurmreste.
Sie zerhacken die Natur
und sie zeichnen eine Spur
hinterlistiger Zerstörung.
Sie verursachen Empörung,
weil die Träume
all der Bäume,
die sich in den Rinden
finden,
allesamt verloren sind.
Schon verkündet jedes Kind:
"Sägespäne. Abfallhaufen.
Diese Sache ist gelaufen.
Wir haben den Wald verschrottet, 
und uns damit ausgerottet.
Ohne Schutz vor Sonnenlicht
überleben wir es nicht."


Wenn die bösen Buben dösen

Wenn die bösen Buben dösen,
können wir Probleme lösen,
weil wir diese Missetäter
(besser früher noch als später)
so lang an den Zehen kitzeln,
bis sie lachen wie ein Kind.
Doch erst müssen wir bespitzeln,
ob sie dort empfindlich sind.
Danach sollte es gelingen,
dass wir sie zum Lachen bringen.
Und dem schlimmsten Bösewicht
springt ein Lächeln ins Gesicht. 

Die Welt erbebt zutiefst in ihren Festen

Die Welt erbebt zutiefst in ihren Festen,
entfesselt ihre Kraft und wütet hart.
Sie will die Menschen durch ihr Wüten testen.
Doch tief im Herzen ist sie wahrhaft zart.
Sie ist bestrebt, die neue Zeit zu gründen,
die keinen Haß und keinen Streit mehr kennt.
Befreit die Menschheit von begang'nen Sünden,
und bleibt standhaft in ihrem Element.
Die Liebe ist dies Element und strahlt
in vollem Glanz, wie auf ein Bild gemalt.
So lasst uns lernen, selbst Licht auszusenden,
um so der Welt Liebe zurück zu spenden,
damit wir einer Zeit entgegenschreiten,
in der wir jenen Boden vorbereiten
für eine Welt, in der ein jedes Wesen
sich selbst erkennt und in den and'ren lesen
kann, was uns alle immer tief berührt
und uns wohlwollend in die Zukunft führt.
*
Auch dieser Impuls kam von Rainer Maria Rilke
*
Ich liebe

Nun mag die Welt in ihren Festen beben,
entfesselt wüten mag das Element; -
denn eine neue Ära tritt ins Leben,
die keinen Haß und keinen Streit mehr kennt!
Durch meine Seele ziehts mit Zauberweben
o! wie's im Herzen glückverheißend brennt!
Die Pulse fliegen mir, die Lippen beben,
ich fühls, das ist es, was sich >Liebe< nennt!
Und möge alles rings in nichts versinken,
ich lebe und der Liebe Sterne winken!

(Rainer Maria Rilke, 1875-1926, österreichischer Lyriker und Schriftsteller)