Der erste Sonnenstrahl

Als der erste Lichtstrahl der Sonne
die Erde berührte
wie ein Zeigefinger,
und die Erde mit einem Grashalm
die Berührung erwiderte,
wurde das Leben geboren.
*

Das Süße ist gefror’nes Licht

Den Apfel, der vom Baume fiel,
verspeiste ich mit Kern und Stiel.
Das Süße war gefror'nes Licht.
Ich weiß das. Doch ihr glaubt mir nicht.

Die Sonne formte uns're Welt.
Sie hat ihr Licht hineingestellt,
hineingepflanzt in Baum und Strauch
und landete in meinem Bauch

als sonniges Zentralgeflecht.
Die Wärme kam mir gerade recht,
denn es war Winter und ich fror,
nachdem ich meinen Schal verlor.

Er fiel herab im dunklen Wald,
durch den ich lief. Mir war so kalt,
bis plötzlich Sonne in mir war.
Ganz unerwartet wunderbar

erschien das Licht ganz dicht in mir.
Sie wärmt auch dich. Vertraue ihr,
denn seit dem ersten Anbeginn
gibt sie sich diesem Leben hin,

und treibt es immer weiter fort
voran und näher an den Ort, 
der Zukunft heißt und Hoffnung macht
auf einen Weg durch diese Nacht.

Das Herz ist kein einsamer Jäger

 

Das Herz ist kein einsamer Jäger
*
Ich breite meine Arme aus, 
um das Paradies zu empfangen. 
Aber da ist nur ein großer Schmerz, 
wenn ich mich öffne. 

Ich hatte mein Herz 
ein Leben lang verschlossen, 
damit ich die Wunde nicht spüren muss. 

Es ist kein Zufall, 
dass Herz sich reimt auf Schmerz 
und wer darüber lacht, 
hat nicht an die weiteren 
Wunden gedacht, 
die er damit schlägt. 

Das Herz ist kein einsamer Jäger. 
Es ist ein Netz von feinen Fäden, 
die uns mit der Welt verbinden. 
Und wenn die Fäden reißen, 
bleibt eine große Einsamkeit. 

Wenn man die Wunden heilen will, 
führt kein Weg an dem Schmerz vorbei. 

 

Mein alter Freund

Ich drücke meine Stirne gegen deine.
Das tut so gut.
Ich fühl mich nicht alleine.
Du riechst nach Glühwein und nach Zedernholz.
Dass ich dein Freund sein darf, macht mich so froh und stolz,
denn du bist voller Weisheit und du weißt Bescheid
über das Leben voller Freud und Leid
und wie man es auf Dauer schaffen kann,
es zu bewältigen,
sogar als schwacher Mann.
Ich liebe es, mit dir herumzutoben
und muss dich über alle Maßen loben,
denn du verstehst es wirklich, zuzuhören,
und mich mit deinen Augen zu betören,
die mich oft liebevoll und mit Geduld betrachten.
Wenn's dich nicht gäbe, würde ich verschmachten.
Dass du mich liebst kommt nicht von ungefähr,
denn schon von Kindesbeinen an bist du mein Teddybär.
Du bist mein Retter in Gefahr und Not
und ohne dich wär ich schon viele Jahre tot.
Bald bin ich an die siebzig Jahre alt
und finde in dir immer noch den gleichen Halt.
Mit dir bei mir, grauhaariger Gefährte,
besteh' ich auch im Alter jede Härte.
*

Die Liebe ist nur Illusion

Ich erkannte ihn am Klang seiner Hände,
die sich ihren Weg durch das hohe Gras bahnten.
Er gab vor, im Obstbaumhain Äpfel pflücken zu wollen.
Aber eigentlich dachte er nur an mich.
Als er seine Zähne in meine Schultern schlug,
dachte ich damals noch, 
wie romantisch es sei.
Wir verbrachten genussvolle Stunden unter den Bäumen,
seine Hand wie ein Talisman auf meinen Brustkorb gepresst.
Ich schaute in seine Augen und erinnerte mich,
dass ich noch nie Glühwürmchen gesehen hatte.
Diese Art der Liebe war mir fremd.
Wir lagen dort, bis die langsame Flut des Mondes
sich über uns ergoß
und die Sterne in der Dunkelheit des Firmaments
zu leuchten begannen.
In meinen Träumen ist die Liebe ein großes Geheimnis
und voller Versprechungen gewesen.
Aber zurückschauend erinnere ich nur noch
die Weite des Himmels über mir.

Ein Paket liegt vor der Tür

Ein Paket liegt vor der Tür,
eingewickelt in Papier.
Als ich es ins Zimmer trage,
stellt sich mir die bange Frage,
ob hier gleich etwas passiert
und das Päckchen explodiert.
Ob ein Selbstmordattentäter,
zuerst mutig, aber später,
als der Mut ihn doch verließ,
mir das Päckchen hinterließ?
Lauschend lege ich die Ohren
auf das Päckchen. Kein Rumoren
und kein Ticken ist vernehmbar.
Nur die Zeit wird deutlich dehnbar.
Stunden werden aus Sekunden.
Ich such zitternd zu erkunden,
was sich innendrin befindet
und ob etwas davon kündet.
So les ich mit Interesse
auf dem Päckchen die Adresse.
Ganz eindeutig ist es meine.
Warnhinweise gibt es keine.
Konsultier nun mein Gewissen.
Dann das Päckchen aufgerissen.
In den Händen, wie ich seh,
nun die Video-CD
mit schon lang von mir vermissten
Krimis voller Terroristen,
die ich immer gerne seh,
kurz bevor ich schlafen geh.


   

Kürbistraum an Halloween

Kürbistraum an Halloween
*
Ein Kürbis lag träumend im Hafen.
Er wollte bei Vollmond dort schlafen.
Doch dann kam ein Geist
und schnipselte dreist
zwei Augen hinein in den Braven.
*

Ein Geisterbeschwörer aus Ahlen
*
Ein Geisterbeschwörer aus Ahlen, 
dem nachts fremde Mächte befahlen, 
sich heimlich die Kohlen 
vom Nachbarn zu holen, 
fiel auf, 
weil er anfing zu prahlen.
*

Die Marktfrau
*
Die Marktfrau im Dorf neben Frechen
 beschloss, ihren Mann zu erstechen.
Das Messer im Herzen 
muss sie nun verschmerzen, 
denn sonst gäb es ja kein Verbrechen. 

Kürbisliebe

Kürbisliebe
*
Ich bin nur eine Jalousie. Genauer gesagt, bin ich
DIE Jalousie vor der Küchenzeile in dem
Tagungsraum der Volkshochschule.
Seit einigen Tagen bin ich ganz aufgeregt, wenn ich auf 
den großen Tisch blicke, der in, früher mir angemessenem,
nun mir viel zu groß erscheinendem Abstand im Raum steht.
Warum? Weil auf diesem Tisch ein Kürbis liegt. 
Zuerst ist er mir gar nicht aufgefallen. Er war einfach nur
ein runder, dicker, gelber Ball, den jemand achtlos und
mit der Absicht, etwas Freundliches in diese öde Landschaft
zu pflanzen, auf den Tisch geknallt hatte.
Aber wie das Schicksal es wollte, hatte ein Besucher den
Kürbis durch eine ungeschickte Bewegung seines Ellbogens gedreht,
und ich konnte plötzlich in seine Augen sehen, die glanzerfüllt
im Lichte der in ihnen verborgenen Kerzen strahlten.
Da lief ein wonnevoll loderndes Feuer durch all meine Lamellen,
so dass ich zu zittern begann. Um genauer zu sein: ich begann
zu klappern und hatte mich nicht mehr unter Kontrolle, weshalb 
der Hausmeister einen Handwerker bestellte, der an mir herumzufummeln
begann. Er pfuschte an mir herum, zog mich hoch, ließ mich runter,
zog mich hoch, ließ mich runter und ölte mich, anstatt die
psychosomatische Ursache meines Gebrechens zu erforschen. 
Dies alles will ich dir mit diesem Brief erklären, mein lieber, 
dicker, runder Freund, in der Hoffnung, dass du meine Gefühle
nicht nur verstehen, sondern sogar erwidern kannst.
Aber es ist mir ein Rätsel, wie ich mich dir weiter nähern kann,
denn in diesem ständigen Auf und Ab, dem Hochgezogenwerden und 
Herabgelassensein, ist so gar nichts an Fortbewegung möglich.
Hast du eine Lösung für unser Problem?
Deine dich liebende J.
*
Da verwandelte sich der Kürbis in eine prachtvolle Kutsche,
befreite die Jalousie aus dem Laufrad ständiger Auf- und Niedergänge
und galoppierte mit ihr über die Prärie, einem wunderbaren Sonnenaufgang entgegen.

Farbige Klänge

Farbige Klänge
*
Seit gestern hör ich alle Klänge als blau.
Von Himmelblaujauchzend bis Taubenblaugrau
erscheinen in Farben die Klänge der Welt.
Ich färbe Geräusche, wie es mir gefällt.
Ein silbernes Klingeln, ein brummendes Braun.
Ich kriege die tollsten Geräusche zu schau'n.
Die Welt stell ich mir herrlich bunt auf den Kopf.
Den Ton nur zu hören 
- ist ein alter Zopf.

Vorfrühling

Nachgedichtet - Vorfrühling - Hugo von Hoffmannsthal
*
Stumm glitt ein Ton durch die Flöte
und schwebte beseelt durch den Raum.
Ein Vogelpaar blickte ihm lauschend nach
und dachte, es sei ein Traum.
In der Dämmerung vernahm man ein Schluchzen.
Keiner wusste, woher es wohl kam.

Die Geräusche, die in der Nacht kommen und gehen,
treibt der wehende Wind durch die kahlen Alleen.

Blasse Schatten durchwandern die duftende Nacht.
Einer weinte. Dann hat jemand lauthals gelacht.
Es kam unverstellt durch die Lippen zum Ohr.
Die Nacht dirigiert alle Klänge im Chor.
Was in der Nacht über die Lippen kam,
hat sich endlich hinausgewagt,
und verursachte Hoffnung und Wut und Scham,
denn es wurde noch niemals gesagt.

Seltsame Dinge wehen an Bäumen vorbei,
ein Weinen, ein Lachen, ein Schimpfen, ein Schrei 
Doch der Frühlingswind streift durch die weiten Alleen
und jeder, der will, kann ihn heute dort seh'n.
Er streichelt erwachende Bäume
und schenkt ihnen zärtliche Träume.