Die Feinde der Kreativität

Am 23. Dezember 1903 schrieb Rainer Maria Rilke an Franz Xaver Kappus: 
"Was not tut, ist doch nur dieses: Einsamkeit, große innere Einsamkeit. 
Insich-Gehen und stundenlang niemandem begegnen, 
das muss man erreichen können."
Ideen zu bekommen ist tatsächlich nur eine Sache der Ausdauer. Sich auf den
Hintern setzen und die ganze Zeit schreiben, egal, was dabei herauskommt, bringt
unglaublich viele Ideen zutage. Auf eine Inspiration zu warten, um dann mit
dem Schreiben zu beginnen, macht dich zu einem Verlierer, denn diese Inspiration
wird niemals kommen, oder wenn, dann nur, wenn du mit dem Schreiben beginnst.
Ohne ein fortgesetztes Schreiben, ohne kontinuierliches Arbeiten können sich keine
zusammenhängenden Ideen entwickeln. Selbst wenn du nur ein fortdauerndes Tagebuch 
schreibst und du selbst die Arbeit bist, haben die entstehenden Gedanken keinen
Zusammenhang und werden nicht als Ideen erkennbar. Oder es werden großartige Ideen
für eine Novelle oder einen Artikel, die niemals geschrieben werden.
Darum sagen die Lehrer auf Schriftsteller-Konferenzen: "Der Schlüssel zu allem ist:
TU ES EINFACH!" Und sie haben Recht.
Aber TU ES EINFACH! ist ein Slogan für die Schule. Und Slogans wirken, weil sie
Dinge einfacher erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind. Wenn TU ES EINFACH!
einfach eine Sache der Entscheidung wäre, könnte jeder es tun. Aber wenn man in
seinem Plan feststeckt und nicht weiterkommt, liegt das jenseits des Willens.
Es ist möglich, bewusst Schreibgewohnheiten anzubahnen und weiter zu entwickeln.
Aber es gibt Feinde der Gewohnheit, dunkle Kräfte, die uns davon abhalten,
kreativ zu sein und zu schreiben. 
Vielleicht weißt du schon, welche Kräfte das sind. Jede hat ihre Stärken und
ihre Schwächen und alle können besiegt werden. Erkenne die Kraft, die gegen dich
arbeitet. Erkenntnis ist ein großer Teil des Kampfes gegen diese ruchlosen
Widersacher.

Veröffentlicht in Über das Schreiben.