Seelenfunke

Ein Seelenfunke 
freut sich schon
auf seine 
Reinkarnation.

Ein Körper liegt 
bereits bereit
so wie ein frisches, 
neues Kleid.

Der Leib gefällt 
der Seele nicht,
weshalb sie heimlich 
zu sich spricht:

"Er ist zu breit 
und viel zu klein.
Ich glaub', ich lass' 
es lieber sein.
Die Auswahl ist nicht 
wirklich groß.
Deshalb schweb' ich 
in keinen Schoß,
um dort hinausgepresst 
zu werden
für einen Leidensweg 
auf Erden."

Und so verzichtete 
es weise
auf eine neue 
Körperreise.

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Der erste Elefant
*
Vier Gestalten in schwarzen 
Overalls trugen vorsichtig den 
massiven Korpus des ersten 
Elefanten die Treppen der 
U-Bahn-Station 
Heinrich-Heine-Allee hinab. 
Ihr Atem dampfte in der kühlen 
Luft des unterirdischen Tunnels, 
während das Gerüst aus Pappe 
und Drahtgestell unter ihren 
Händen leicht schwankte. Noch 
war es bloß ein Skelett, aber 
das würde sich bald ändern.
Sie erreichten den Bahnsteig, 
stellten den Koloss ab und 
begannen, ihn mit Leben zu 
füllen. Sorgfältig gebündelte 
und bemalte Dynamitstangen 
wechselten von ihren Händen 
an das Gerüst, wurden mit 
dünnen Drähten umwickelt, in 
präzisen Mustern befestigt. 
Das Sprengmaterial leuchtete 
in mattem Rot unter den 
Neonlichtern. „Vorsicht mit 
den Ohren“, murmelte eine der 
Gestalten, während sie die 
ersten Stangen an den 
Rundungen des Kopfes 
fixierte. „Die müssen genau 
im richtigen Winkel sein.“
Ein anderer kniete am Fuß 
des Elefanten, wickelte eine 
Kette aus schmaleren 
Sprengladungen um das massive 
Bein, ließ die Stangen sanft 
durch die Finger gleiten. 
„Wenn das Ding losgeht …“ 
Seine Stimme war kaum mehr 
als ein Hauch. „Wird es nicht“, 
sagte sein Kollege ruhig und 
zog einen Draht straff. 
„Keine Zünder.“
„Und wenn ein Brand ausbricht?“
Ein leises Schnauben. „Müsste 
schon ein Erdbeben dazukommen.“
Die vier arbeiteten schweigend 
weiter. Die Dynamitstangen 
wurden in symmetrischen Linien 
entlang des Rüssels arrangiert, 
um die Stoßzähne geschlungen 
wie groteske Schmuckstücke. 
Einer von ihnen trat zurück, 
wischte sich mit dem 
Handrücken über die Stirn.
Die Neonlichter flackerten. 
Harte Schatten zitterten auf 
dem Boden, tanzten über die 
Konturen des Elefanten. Er 
stand reglos da, riesig und 
ehrfurchtgebietend. Wartend.
Ein tiefes Dröhnen vibrierte 
durch den Bahnsteig, kaum 
wahrnehmbar, irgendwo aus 
der Ferne. „Sieht gut aus“, 
sagte einer. „Dann weiter. 
Nächste Station.“

Wohnungsnot

Wohnungsnot
*
Er rannte schon die ganze Zeit
und war ein wenig atemlos, denn
er wollte der erste sein, der die
frei werdende Wohnung besichtigte.
Aber als er um die nächste Ecke bog,
war vor dem Haus schon eine lange
Schlange mit wartenden Menschen zu 
sehen. Er hatte von dieser Wohnung
geträumt und er wusste, dass er an
diesem Ort das ganz große Glück 
finden würde. Darum wäre es auch
einfach nicht richtig gewesen, am
Ende der Schlange zu warten. Er
kämpfte sich tollkühn nach vorn.
Den einen boxte er in die Rippen
und dem nächsten trat er mit der
Ferse seiner Stahlsohle auf die
Zehenspitzen in der Sandale, so
dass dieser aufschrie und zur 
Seite sprang. Dem Mann mit dem 
Hut schlug er seine Tasche um 
die Ohren und drückte ihn mit der
Schulter zur Seite. Die nächste
Bewerberin vor ihm war eine Frau
im roten Rock. Er löste ihren Gürtel
und riss den roten Stoff mit einem
Aufschrei nach unten, um weiter
nach vorne zu stürmen und den
nächsten Konkurrenten aus dem 
Weg zu räumen.