Ein Sonett

Sonette zu schreiben scheint mir nicht sehr schwer,
darum schreibe ich ein Sonett hier am Meer.
Am glitzernden Wasser kommt mir die Idee:
Ich dichte das Wasser zu eiskaltem Schnee.

Schon schimmern die Silben: gleich elf an der Zahl.
Doch mir wird jetzt kalt und ich greife zum Schal.
Doch dabei entgleitet das rhythmische Maß.
Ein Eisblock entsteht, wo ich grade noch saß.

Nah bei meinem Herzen 
such' ich nun die Terzen.

Die Eisblumenzeilen: sie brechen entzwei.
Den Schneeflockentropfen entweicht ein Geschrei:
Wieso ist es so spät im Frühling noch kalt?

Wir hätten gern Urlaub im himmlischen Wald.
Uns bleibt keine Wahl, als im Licht zu erbleichen,
um heimlich und leise von dannen zu schleichen.

Freundlichkeit und Missverständnis

Freundlichkeit hat nichts mit 
Selbstlosigkeit zu tun. Wer 
wohlwollend mit anderen 
Menschen umgeht, handelt nicht 
uneigennützig und opfert sich 
nicht auf. Im Gegenteil: Man 
erzeugt unangenehme 
Gefühlszustände für sich selbst, 
wenn man es nicht tut. Heute war 
ich bei Fielmann. Der Optiker, 
der mich professionell beriet, 
sagte abschließend, dass er 
noch eine Inspektion meiner 
Brille durchführen würde. Er 
verschwand, und ich wartete. 
Lange. Mit der Zeit wurde ich 
ungeduldig und ärgerlich. „Ist 
er jetzt Kaffee trinken 
gegangen?“, dachte ich. „So 
lange kann es doch nicht 
dauern, eine Brille zu putzen!“
Ich war kurz davor, mich zu 
beschweren, als er zurückkam 
– mit meiner Brille in der 
Hand. Doch er hatte nicht nur 
die Gläser gereinigt: Er hatte 
neue Nasenstege angebracht, 
die Brille geradegebogen und 
die metallenen Bügel, 
auf die ich allergisch 
reagierte, mit einem 
Kunststoffschutz versehen. 
Meine voreiligen Annahmen und 
falschen Erwartungen hatten 
Ärger und Unzufriedenheit in 
mir ausgelöst – völlig 
unbegründet. So ergeht es 
vielen Menschen. Sie erzeugen 
ihre schlechte Laune oft 
selbst – durch 
Fehleinschätzungen und 
voreilige Urteile – und 
machen sich damit unnötig 
das Leben schwer.