Traumstadtbaum

Traumstadtbaum
*
In der Traumstadt 
steht ein dicker Baum,
voll mit Äpfeln,
köstlich anzuschauen.

Jeder, der vorbeikommt,
will sie pflücken.
Man sieht Hände, die 
sich gierig strecken.

Doch man muss sich
nach den Äpfeln bücken, 
weil sie sich im tiefen
Teich verstecken.

Schimmernd spiegeln sie 
sich in dem Teich
und nur die im Spiegel
kann man greifen.

Das erkennen viele 
nicht sogleich,
weshalb sie hinauf
ins Leere greifen.

Dass die Welt sich 
in der Tiefe spiegelt,
diese Frucht bleibt für sie
noch versiegelt


Traumwelt

Traumwelt
*
In der Traumstadt 
lebt ein alter Mann,
der zwar in die 
Zukunft schauen kann,
doch er spricht stets 
gerne lang und breit
über sich und 
die Vergangenheit.

Wenn er redet sagt er, 
dass du träumst
und dadurch die 
Gegenwart versäumst.
Doch er selber 
lebt in alten Träumen
und in ungelebten 
Zwischenräumen.

Plötzlich merkst du, 
dass er selber träumt,
seine Welt erschafft 
in jeder Nacht.
Wie wir alle 
hat auch er versäumt,
wachsam da zu sein 
in ganzer Pracht.

Wolltest du ihn 
jetzt daraus erwecken,
könntest du ihn sicher 
nur erschrecken,
schwere Zweifel 
säen in dem Alten.
Lass ihn seine 
Illusion behalten

und sieh zu, dass 
du anders entscheidest,
damit du nicht an 
dem Irrtum leidest.
Geh' bewusst auf 
dich allein gestellt
wach mit offenen 
Augen durch die Welt.

Wenn Hasen auf dem Rasen grasen

Wenn Hasen auf 
dem Rasen grasen
*
In der Traumstadt auf 
dem taubedeckten Rasen 
sieht man täglich 
kunterbunte Hasen grasen.

Diese Hasen knabbern 
nicht etwa am Gras, 
und sie fressen auch 
nicht einfach dies und das, 
sondern nagen an den 
Blättern bunter Blüten, 
die sich anständig 
um ihr Geblüh bemühten. 

Ihre Blätter sind geformt 
wie Halbton-Noten 
und der Bürgermeister 
hat es streng verboten, 
von der Pracht der 
Noten etwas abzunagen. 
Knabbert trotzdem wer, 
geht es ihm an den Kragen. 

Ein Verbot, das alle 
Hasen ignorieren, 
die tagtäglich morgens 
früh auf allen Vieren 
durch die Blühung hoppeln 
und sich dort erfrischen. 

In der Tat kann man 
die Nager nicht erwischen, 
denn wie alles in der 
Traumstadt, dies sei eingeräumt, 
sind auch sie so wie 
Blüten einfach nur geträumt.

Der törichte Elefant

Der törichte Elefant
*
In der Traumstadt 
lebte einst ein Elefant,
der graziös und elegant
auf dem einen 
seiner Beine stand
und mit den drei 
anderen jonglierte,
bis ihm jenes 
Missgeschick passierte.

"Wär ich nur so 
zart wie Klara Klick,
die das Publikum erstaunt 
durch ihr Geschick,
mit dem sie auf 
einem Drahtseil balanciert
und darauf zum 
Kirchturm hoch spaziert.

Ach dann wär mein 
Leben reiner Segen.
Ich will mich auch 
auf dem Seil bewegen"
Aber er, den 
man Elani nannte,
stürzte, weil er die 
Gefahr nicht kannte
und die Kraft des 
Seiles überschätzte,
indem er sich mittig 
niedersetzte.

Als die Menschenmenge 
jubelnd applaudierte
und Elani sich 
stolzierend nicht genierte,
einen Salto zu versuchen 
auf dem einen Bein
hörte man das 
Publikum laut schrei'n.

Denn er stürzte - 
und er stürzte tief,
weshalb man nach 
einem Notarzt rief,
der den Totenschein 
noch auf der Stelle schrieb,
weil vom Elefanten 
nichts mehr übrig blieb.

Verschaukelt

Verschaukelt
*
Ich bin ein Knäuel Wolle. 
Flauschig, bin ich nicht schwer.
Ich drehe mich und rolle
auf Planken hin und her.
Das Wrack, auf dem ich liege,
schaukelt wie eine Wiege
den roten Fadenleib,
der ich wohl immer bleib.

Verlier' ich mal den Faden,
dann geht der Faden baden
und taumelt hier im Meer
beschaulich hin und her.

Der Münzfernsprecher

Der Münzfernsprecher

Ein Münzfernsprecher 
steht im Licht,
doch leider 
funktioniert 
er nicht.
Wer auf die 
Rechtecksäule schaut,
ist von dem Anblick 
kaum erbaut.
Die kleinen Fenster 
sind aus Glas,
manch einer fragt: 
"Was soll denn das?"

Ein schwarzer Knochen 
liegt im Raum,
auf einer Gabel, 
die man kaum
erkennen kann, 
weil sie sich biegt
vom Knochen, der 
schwer auf ihr liegt.

Ein Mann betritt 
die gelbe Zelle,
nimmt diesen Knochen 
von der Stelle
der vom Gewicht 
befreiten Gabel.
Am Knochen baumelt 
noch ein Kabel,
das ihn mit einer 
Box verbindet,
in der das Kabel 
dann verschwindet.

In dieser Box, 
ganz ohne Witz,
befindet sich ein 
schmaler Schlitz,
in den der Mann 
nun Münzen steckt,
sobald er diesen 
Schlitz entdeckt.

Den Knochen hält 
er an sein Ohr.
Man denkt, der 
Mann hat wohl Humor,
denn an der Box 
hängt eine Scheibe.
Der rückt der Mann 
diskret zu Leibe.

Er steckt den Finger 
rein und dreht
die Scheibe, bis 
sie wieder steht.
Man sieht ihn dreh'n, 
hört, wie er spricht:
"Das Telefon 
verbindet nicht!"

Doch dann hört er 
sein Smartphone brummen
und man sieht ihn 
verblüfft verstummen.

Kaufzwang

Kaufzwang
*
Ich höre Gedanken 
im Kopf, die soufflieren,
ich solle doch endlich 
was Neues probieren.
Doch ich bleibe standhaft, 
bau haushohe Schranken.
Sie hindern den Einfall 
mir fremder Gedanken.

Ohne sich zu genieren
wollen sie immigrieren
und sie nisten sich ein
als Ideen im Hirn.

Ich kann sie nicht leiden,
drum will ich sie meiden.
Deshalb dieser Schutzwall
hier hinter der Stirn.

Sie heißen "Kauf dies hier!", 
sie heißen "Kauf das!"
Sie wollen mich zwingen - 
das ist doch kein Spaß.
Sie rufen "Wisch hier mal!" 
und schreien "Klick da!
Berühr nur die Waren - 
und schwupps sind sie da!"

Sie dringen ein
in Mark und Bein.
Ich hasse das.
Das muss nicht sein.

Ich setz ihnen meine 
Gedanken entgegen.
Mein Schutzmantel: 
Klarheit!
Bedenken: 
mein Degen!
So kämpfe ich 
gegen Manipulation.
Doch sie flüstern weiter:
"Wir kriegen dich schon!"

Pastorale Begebenheit

Pastorale 
Begebenheit
*
Ein plappernder Pastor 
wohnt in seinem Ohr,
der betet ihm immer 
ein Bibelwort vor.
Er predigt von Schuld, 
fordert Sühne
im Hochsitz der 
inneren Bühne.

Der Zuhörer kann 
sich nicht wehren,
nicht klagen und sich 
nicht beschweren,
weil dieser Pastor 
ihn bekehrend bekniet
und in jeder Heiterkeit 
Sündiges sieht.

Deswegen muss er 
sich entscheiden,
die Stimme des 
Pastors zu meiden.
Er hört nicht mehr zu, 
wenn er streng zu ihm spricht
und entzieht sich damit 
jeder geistlichen Pflicht.

Fortan wird er 
singen und tanzen
und sich hinter 
Noten verschanzen,
die den betenden 
Mann übertönen,
um die Scheinheiligkeit 
zu verhöhnen.

Gedankenkraft

Gedankenkraft
*
Gedanken im Kopf 
wollen vagabundieren,
belieben, wild durch mein 
Gehirn zu marschieren.
Sie wollen mich nicht 
um Erlaubnis befragen.
Kein Zweifel ist möglich: 
sie haben das Sagen.

Wenn sie sich begnügten, 
nur still zu flanieren,
anstatt mit geschwollener 
Brust zu stolzieren,
dann wäre mir wohler. 
Ich wäre entspannt.
Stattdessen wird kopflos 
im Kopf rumgerannt.

Wie kriege ich Ruhe 
in dieses Getöse?
Ich schlucke Champagner 
und trinke Chartreuse,
lern dann Meditieren, 
um ruhig zu werden.
Ich stampfe mit Kraft, 
um mich standhaft 
zu erden.

Doch wie Vagabunden 
sind meine Gedanken.
Sie kennen die Grenzen 
nicht und keine Schranken.
Mir bleibt keine Wahl, 
als in Träume zu flüchten
und mich zu betäuben 
mit Drogen und Süchten.

Doch dann ohne Absicht 
ist es plötzlich still.
Die Ruhe ist köstlich, 
so wie ich es will,
weil ich nun die Innenwelt 
seh, wie sie ist,
und finde die Ruhe, 
die ich lang vermisst.

Masche für Masche

🧶 Masche 
für Masche

Stricken war 
ihre Leidenschaft.
Sie wendete 
die ganze Kraft
auf ihre Kunst 
mit Wolle an.
Sie strickte besser 
als ihr Mann,

der, als er 
plötzlich Rentner war,
erstaunt sprach: 
"Stricken? Wunderbar!"
Als er die 
Sinnlichkeit entdeckte,
die seine Lust 
auf Wolle weckte,

begann er, wollüstig 
zu stricken.
Das schien am Anfang 
nicht zu glücken,
denn sie war klar 
die Meisterin.
So zauberhaft in 
Form und Sinn

hat sie 
Unglaubliches gestrickt.
Doch auch ihr Mann 
wurde geschickt,
umrankte komplizierte 
Maschen.
Die Muster hatten 
sich gewaschen.

Ehrgeiz war's, der 
ihn stricken ließ,
ohne dass ihn 
der Mut verließ.
Er strickte Socken, 
Mützen, Tücher
und Hüllen für 
wertvolle Bücher,

Pullover für das 
Bügelbrett,
Deckelbezüge 
fürs Klosett.
Doch plötzlich schaut 
sie voller Neid
auf ein von ihm 
gestricktes Kleid.

Ein Zorn beginnt, 
an ihr zu fressen.
Sie strickt ab nun 
fast wie besessen,
umhäkelt Türklinken 
und Bilder.
Der Strickzwang packt 
sie immer wilder.

Auch er dehnt sein 
Revier jetzt aus,
strickt überall, 
auch außer Haus,
verschönert Poller 
und Laternen,
die fremde Menschen 
dann entfernen.

Das Ordnungsamt 
begrenzt ihn bald
auf hausinterne 
Strickgewalt.
So prallt geballte 
Strickerei
auf sie und ihn - 
es gibt Geschrei.

Man streitet hart 
und immer schlimmer.
Wollknäuel fliegen 
durch die Zimmer.
Die Nadeln klirren 
im Gefecht.
Ein falscher Schritt, 
der sich bald rächt.

Sie zerren, reißen, 
fluchen laut,
keiner, der nach 
dem andern schaut,
verwickelt jeder 
sein Genick
in blauem Garn 
und gelbem Strick.

Ein Sturz hinab, 
dort das Geländer
hängt jeder rechts 
und links vom Ständer
und baumelt an 
dem gleichen Band,
an dem man sie 
dann später fand.
*