Des Wirsings
Weisheit
Im Garten stand
zu guter letzt
nur noch ein Wirsing,
gelb und alt,
faltig und klug,
doch unterschätzt.
Es wurde dunkel,
nass und kalt.
"Savoyer Kohl nennt
man mich wohl
und denkt, ich sei
von innen hohl.
Doch stetig wuchs mir
Schicht um Schicht
die Weisheit, die jetzt
zu euch spricht.
Ich schaute, fest
verwurzelt hier,
auf Schnecke, Spatz
und jedes Tier,
das nach dem Sinn
des Lebens fragte,
weil Weltverdruss
ihm nicht behagte.
So reiften in mir
Blatt und Sinn –
bis plötzlich dann,
ganz mittendrin,
Erkenntnis reifte:
Sinn des Lebens
ist, froh zu sein -
nichts ist vergebens.
Dann kam ein Mensch
mit schnellen Schritten
hat meine Blätter
abgeschnitten.
Doch keine Angst
durchdrang mein Herz,
nur eine leise
Form von Schmerz:
Was nützt die Weisheit,
tief und klar,
wenn sie niemals
zu hören war?
Wie teile ich,
was ich gelernt,
wenn man mich aus
der Welt entfernt?"
Doch dann wird er
gefüllt, gerollt,
gewürzt mit Zwiebeln,
gelb wie Gold,
und nicht zermatscht,
nein: fein serviert,
im Ofen liebevoll
garniert.
Er dachte noch
im Bratensud:
„Nahrung zu werden
tut so gut.
Wenn man mich achtsam
sanft zerkaut
und meine Weisheit
dann verdaut,
lebe ich weiter -
Blatt für Blatt -
in dem, der mich
gegessen hat.
Ein Wirsing, der sein
Ziel erreichte,
bevor er wirkungslos
erbleichte.
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