Masche für Masche

🧶 Masche 
für Masche

Stricken war 
ihre Leidenschaft.
Sie wendete 
die ganze Kraft
auf ihre Kunst 
mit Wolle an.
Sie strickte besser 
als ihr Mann,

der, als er 
plötzlich Rentner war,
erstaunt sprach: 
"Stricken? Wunderbar!"
Als er die 
Sinnlichkeit entdeckte,
die seine Lust 
auf Wolle weckte,

begann er, wollüstig 
zu stricken.
Das schien am Anfang 
nicht zu glücken,
denn sie war klar 
die Meisterin.
So zauberhaft in 
Form und Sinn

hat sie 
Unglaubliches gestrickt.
Doch auch ihr Mann 
wurde geschickt,
umrankte komplizierte 
Maschen.
Die Muster hatten 
sich gewaschen.

Ehrgeiz war's, der 
ihn stricken ließ,
ohne dass ihn 
der Mut verließ.
Er strickte Socken, 
Mützen, Tücher
und Hüllen für 
wertvolle Bücher,

Pullover für das 
Bügelbrett,
Deckelbezüge 
fürs Klosett.
Doch plötzlich schaut 
sie voller Neid
auf ein von ihm 
gestricktes Kleid.

Ein Zorn beginnt, 
an ihr zu fressen.
Sie strickt ab nun 
fast wie besessen,
umhäkelt Türklinken 
und Bilder.
Der Strickzwang packt 
sie immer wilder.

Auch er dehnt sein 
Revier jetzt aus,
strickt überall, 
auch außer Haus,
verschönert Poller 
und Laternen,
die fremde Menschen 
dann entfernen.

Das Ordnungsamt 
begrenzt ihn bald
auf hausinterne 
Strickgewalt.
So prallt geballte 
Strickerei
auf sie und ihn - 
es gibt Geschrei.

Man streitet hart 
und immer schlimmer.
Wollknäuel fliegen 
durch die Zimmer.
Die Nadeln klirren 
im Gefecht.
Ein falscher Schritt, 
der sich bald rächt.

Sie zerren, reißen, 
fluchen laut,
keiner, der nach 
dem andern schaut,
verwickelt jeder 
sein Genick
in blauem Garn 
und gelbem Strick.

Ein Sturz hinab, 
dort das Geländer
hängt jeder rechts 
und links vom Ständer
und baumelt an 
dem gleichen Band,
an dem man sie 
dann später fand.
*

Veröffentlicht in Poetry.