Mein drittes Auge

Mein drittes Auge
*
Mein drittes Auge? Wo soll das sein?
Zwischen den Augen? So ein Quatsch.
Bei mir ist da nichts. Ich berühre 
die Stelle. Da ist nur glatte Haut
und ein Pickel. Ein Pickel? Ist das
etwa mein drittes Auge? Ich probiere
es einfach mal. Mein drittes Auge
sieht Dinge, die man nicht sehen 
kann - etwa die Gefühle von Menschen,
selbst wenn sie diese nicht spüren. 
Es erkennt die Gedanken hinter den 
Gedanken, die Hintergedanken - und
manchmal auch die Hinterlist. Wobei 
die Hintergedanken meist nicht 
hinterlistig sind. Mein drittes
Auge sieht die Zukunft der Welt, 
und die ist nicht rosig, jedenfalls
nicht am Anfang. Es sieht kämpfende 
Menschen, fließendes Blut. Bis diese
Menschen dann plötzlich erkennen,
dass sie wertvolle geistige Wesen 
sind, die in einem menschlichen 
Körper Erfahrungen machen. Diese
Gelegenheit - Leben auf der Erde -
gibt es im Universum unendlich 
selten. Darum wäre es schade, diese 
Chance ungenutzt verstreichen zu 
lassen. Oder sie mit Kriegen, 
Konkurrenz und Missgunst zu vergeuden. 
Mein drittes Auge sieht: Eine Zukunft
für die Menschheit kann es nur 
geben, wenn alle Menschen ihren
inneren Wert erkennen - und sich
als Mitschöpfer verstehen, in 
Kooperation mit den Kräften der 
Natur. Es gilt, die Erde und die 
Menschheit zu pflegen: jeden 
einzelnen Menschen, jeden Grashalm, 
jeden Vogel, jeden Baum. Mein 
drittes Auge sieht eine großartige
Zukunft für diesen Planeten. Die
Menschheit ist ein Anfang. Wenn 
sie ihre pubertären Probleme
überlebt, den Kosmos bereichern. 
Also los: Streckt eure Arme und 
Beine dem Licht entgegen. Umarmt 
euch, statt aufeinander 
einzuschlagen. Werdet erwachsen! 
Denn:
Wer nur an sich denkt, hat Probleme. 
Wer an andere denkt, hat eine Aufgabe. 
 

 

Auf der Kräuterinsel

Auf der Kräuterinsel
*
Sie schaute aus dem geöffneten 
Fenster und sog den milden 
Kräuterduft ein, den der Wind 
plötzlich vom Fluss herübergetragen 
hatte. Auf der Insel dort draußen 
schienen Kräuter zu wachsen. Minze 
konnte sie deutlich riechen 
und etwas, das sie an Salbei erinnerte, 
aber eine Spur bitterer war. In der 
Nacht träumte sie von den duftenden 
Pflanzen. Schon früh am nächsten 
Morgen nahm sie eines der Ruderboote 
und nahm Kurs auf die Insel - jene 
Insel, auf der eigentlich, nach der
lang anhaltenden Dürre und einem 
verheerenden Brand keine Natur mehr 
zu erwarten gewesen war. Doch es gab 
noch einen Anlegesteg, an dem sie das 
Boot festmachen konnte, und einen Pfad, 
der sie in den verstümmelten Wald 
führte. Der Kräutergeruch wurde 
intensiver und bald entdeckte sie einen 
kleinen Garten, der sich auf einer 
ehemaligen Lichtung ausbreitete. 
Flache Steine, als Trittplatten in die 
Erde eingelassen, führten mitten durch 
das Beet bis zu einem Altarstein, der 
wie ein kleiner Obelisk geformt war. 
Daneben stand eine einfache Bank. Sie 
setzte sich und bemerkte vor dem 
Obelisken eine Steinfigur auf dem 
Boden: ein Mann mit überkreuzten 
Beinen und zur Schale gefalteten 
Händen vor dem Bauch. Die Ohren 
waren wie die eines Elefanten ausgeformt 
und sein Blick freundlich und klar. Sie 
kannte das Gesicht. Es war ihr schon 
öfter im Traum erschienen und erfüllte 
sie jedes Mal mit großer Ruhe. Die Fülle 
der Katastrophen, die über die Erde 
hereingebrochen waren, erschien durch 
seine Präsenz in einem anderen Licht 
- als seien sie Mahnung und Hoffnung
zugleich. Alles in ihr wurde still. 
Und sie vernahm eine feine, innere 
Stimme, die sie zuletzt in ihrer 
Kindheit gehört hatte. Eine Stimme, 
der sie damals nicht mehr lauschen 
durfte, weil man ihr verboten
hatte, ihr zu vertrauen. Sätze wie: 
"Das sind nur Hirngespinste!"
oder "Das bildest du dir ein!" 
hatten sie an sich selbst zweifeln lassen. 
Doch jetzt war die Stimme wieder da.
Und diesmal würde sie üben, ihr zu folgen. 
    

Gedichte schreiben

Gedichte schreiben
*
Gedichte schreiben 
ist wie Segeln
oder so wie 
mit Silben kegeln.
Die Hindernisse 
zu umschiffen
gilt es, damit man 
nicht an Riffen
zerschellt, wenn man 
auf Klippen trifft.
Denn dann hat es 
sich ausgeschifft.
Schreiben zu können, 
ist ein Segen,
mit dem wir uns 
im Meer bewegen:
im Meer der Bilder, 
Worte, Silben,
um Sprachmusik 
herauszubilden.

Frühlingswind

Frühlingswind
*
Die Knospe sprengt 
ihr Blütenkleid.
April ruft zart: 
"Du bist so weit!"
Ein Flüstern liegt 
in seinem Wind:
"Wie schön, dass wir 
geboren sind!"

Die Venus lacht 
im Blütenduft,
verliebt in klare 
Frühlingsluft.
Die Welt erwacht 
mit einem "Zisch!"
April, so launisch, 
wild und frisch.

Ein Schauer küsst 
das grüne Land,
die Sonne reicht 
ihm ihre Hand.
Ein Regenbogen spannt 
sich weit –
Farbenmagie stellt 
er bereit.

Die Vögel tanzen 
hoch im Blau,
sie bauen Nester 
- schau nur, schau!
Taufrischer Klang 
in jedem Ton.
Ein neuer Anfang 
wartet schon.

Automatengedicht

Automatengedicht
*
Ein Gedicht wird 
nicht erlaubt.
Deshalb wird es 
abgeschraubt.

Erst wurde es 
wohlbehütet
aufgewärmt und 
ausgebrütet.
Das war schwierig 
und vertrackt -
doch man hat die 
Nuss geknackt,
es aus seinem 
Ei gepellt
und dann achtsam 
aufgestellt.

Kaum war es dann 
aufgedeckt,
hat es etwas 
ausgeheckt.
Es bestand aus 
Schrott 
und Schrauben.
Das wollte erst 
niemand glauben,
denn es hat 
herzhaft gelacht,
wie es nur 
ein Wesen macht.

Doch es war 
eine Maschine,
kannte weder 
Herz noch Schmerz. 
Es verzog nicht 
eine Miene,
nicht im Kummer, 
nicht im Scherz.

Damit man sich 
nicht geniert,
hat man es gleich 
abmontiert.
Still lag es dann 
auf dem Boden.
Keiner hat es 
aufgehoben.

Die Rettung

 

Rettung
*
Die Pistole 
wird gezogen.
Der Arm wird 
gestreckt.
Die Waffe wird 
ausgerichtet.
Es wird gezielt.
Ein schiefes Lächeln 
wird gezeigt.
Ein Blick wird 
gnadenlos fixiert.
Beine werden in 
Bewegung gesetzt.
Ein Rennen 
wird begonnen.
Ein Salto vorwärts 
wird vollführt.
Eine Drehung nach rechts 
wird ausgeführt.
Hastige Schritte 
werden gehört, 
auf raschelnden Blättern.
Ein Körper wird in 
ein Loch gestürzt.
Ein Knacken wird im 
Unterholz vernommen.
Durch einen Tunnel 
wird gekrochen.
Eine Verfolgung wird 
aufgenommen, 
mit keuchendem Atem.
Zwischen Bäumen wird 
hindurch gerobbt.
Blaue Bohnen werden 
vorbeigezischt - ganz 
nah an dem Ohr.
Eine Flinte wird 
gefunden, angelehnt an 
einem Baum.
Ein Streichholz 
wird in der Dunkelheit 
entflammt.
Eine Zigarettenspitze 
wird zum Glühen gebracht.
Ein Ziel wird anvisiert.
Ein Schuss wird abgegeben.
Gerettet!

Küchengeflüster

Küchengeflüster
*
Der Herd fängt 
an zu qualmen,
die Soße 
kocht fast schon,
der Kellner trägt  
 die Speise und
ruft dezent: 
"Pardon!"

Man riecht den Duft 
– ein Wunder,
wonach man 
gierig schnappt,
und für die 
feine Speise
den stolzen 
Preis berappt.

Jetzt will man 
nur noch knabbern.
Der Mund scheint
schon 
zu sabbern,
weil man 
erfreut entdeckt,
wie fein die 
Mahlzeit
schmeckt.

Schnellimbiss

Schnellimbiss
*
Eier in die 
Pfanne schlagen
für den heißhungrigen 
Magen.

Salz und Pfeffer 
aus dem Sack
gibt der Speise 
mehr Geschmack.

Speck und Kräuter 
in das Mahl,
dann bleibt es nicht 
fad und schal.

Wer den Schnellimbiss 
nicht scheut,
wird durch diesen 
Fraß erfreut.