Liebesgeschichte

Liebesgeschichte
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Dieser verfluchte Blumentopf, 
in den ich gepflanzt wurde, 
ist so verdammt eng, dass ich 
mich weder drehen noch wenden 
kann. Ich rühre mich nicht vom 
Fleck. Die Fensterbank unter 
mir ist abweisend kühl, und 
über mir schwebt der gelbe 
Vorhang, der sanft im Wind 
weht. Ich beneide ihn um 
seine Beweglichkeit. Sein 
Stoff streift manchmal die 
kahle Wand, und ich stelle 
mir vor, wie es wäre, wenn 
er über meine zarte, grüne 
Haut gleiten würde. Wie 
angenehm es doch sein 
müsste, wenn er meine 
glatten Blätter streichelte.
Mein Herz klopft, und ich 
beginne, mit dem herrlichen 
Vorhang zu plaudern. „Du 
bist so gelb, wie ich grün 
bin“, flüstere ich ihm zu. 
„Ich würde mein Grün gern 
mit deinem Gelb zu einer 
Einheit verschmelzen lassen. 
Ich weiß nicht, was 
geschieht, wenn wir uns 
vereinen, aber mein Herz 
ist voller Sehnsucht! All 
meine Wurzeln verlangen nach 
dir, und meine Zweige 
zittern in der Erwartung 
deiner Berührung.“
Doch du tust nichts.
Am Ende muss ich noch glauben, dass ich dir nichts bedeute. Kaltherzig wehst du an mir vorbei. Wie kannst du nur so hochnäsig flattern? Jetzt erkenne ich dein wahres Gesicht – und ich bin froh, dass ich dich nie an mich herangelassen habe, du herzloses Stück Stoff! Wenn etwas schon gelb und flatterhaft ist, kann man sich wohl kaum darauf verlassen. Unsere Ehe wäre mit Sicherheit bald in die Brüche gegangen. Nun hast du es geschafft: Du hast alle Gefühle, die ich für dich hatte, ein für alle Mal zerstört. Ich empfinde nichts mehr für dich – außer purem Abscheu und Widerwillen. Hätte ich dich nur nie kennengelernt. Jede Stunde mit dir auf dieser Fensterbank war verlorene Zeit. Geh mir aus den Augen – und sei endlich vom Winde verweht!
Veröffentlicht in Kurzgeschichten.