Der melancholische Mangold

Der melancholische 
Mangold
*
Ein Schattenplatz 
im letzten Beet.
Niemand schaut, wo 
der Mangold steht.
Sein Grün ist welk, 
sein Rot verblasst,
er träumt davon, 
dass man ihn fasst

und endlich in 
die Sonne setzt.
So lichtlos fühlt 
er sich verletzt.
Die Möhren lachen, 
ihm zur Pein:
„Du bist so blass 
und tust so fein!“

Der Mangold schweigt, 
schaut in die Sterne.
Im Sonnenschein ständ' 
er so gerne,
um Farbenpracht dort 
zu entfalten.
"Werde ich je 
die Form erhalten,

die angemessen 
mir entspricht?"
Die Möhren rufen: 
"Sicher nicht!"
Er träumt von 
violetten Adern
und will mit seinem 
Schicksal hadern,

denkt an den Regen, 
sanft und klar,
an Düfte aus dem 
letzten Jahr.
An Hände, die ihn 
sacht berühren
und ihn aus diesem 
Garten führen.

Doch er ruht still 
im Abendlicht,
ein Mangold, dem 
das Herz zerbricht,
der denkt: vielleicht 
kann es doch sein -
für mich ein 
Quäntchen 
Sonnenschein.

Der stolze Spinat

Der stolze 
Spinat
*
Im Morgenlicht glänzt 
sattes Grün.
Er steht im Beet, 
so stolz und kühn:
Ein König, 
chlorophyllverklärt,
vom Tau gekrönt, 
vom Wind verehrt.

Sein Blatt ist prall 
vor edler Kraft,
die Eisenstärke 
straff erschafft.
Er lacht dem 
Lauch gemein ins Ohr:
„Kein Kraut wächst 
so wie ich empor!“

Die Möhren tuscheln 
voller Neid,
doch er steht stolz 
in seinem Kleid
und schüttelt seine 
Blätterpracht –
ein Muskelspiel 
geballter Macht.

Doch dann, ein Schatten 
fällt aufs Beet,
ein Mensch naht mit 
Besteckgerät.
Er spricht: „Der sieht 
so lecker aus,
er passt perfekt 
in meinen Schmaus!"

"Krönt er mich jetzt? 
Was ist sein Plan?"
denkt der Spinat 
im Größenwahn.
Vom Stolz bleibt bald
nur Breispinat 
auf Mürbeteig
bei 100 Grad. 

 

Der Lederpilz

Der Lederpilz
*
Käthe holt aus 
ihrer Truhe
selbstgemachte 
Lederschuhe.
Damit rettet 
sie die Welt,
denn sie werden 
hergestellt
aus durch Pilz 
entstand'nem Leder. 
Weiß das hier 
vielleicht 
schon jeder?

Sägespäne, 
leicht verwittert,
hat sie Pilzen 
zugefüttert.
Das Mycel fand 
diese lecker.
Käthe wurde 
zum Entdecker
der vom Pilz 
geformten Haut
und hat diese 
abgebaut.
Erst geerntet, 
dann gegerbt,
hier und da 
sogar gefärbt,
bildet es den 
Rohstoff aus, 
der uns hilft 
in Hof und Haus. 
Wird Mycel erst 
gut genährt, 
wächst ein Stoff, 
der sich bewährt.

Brokkoliphilosophie

Brokkoliphilosophie
*
Der Brokkoli, ein 
Kohl von Welt,
schaut wissend auf, 
wenn er zerfällt.
Gelassen spricht er: 
"Nicht so schlimm!
Esst mich, bevor 
ich bitter bin!"
Sein Großvater, 
der Blumenkohl,
dachte nicht an 
des Enkels Wohl.
Drum folgt der Ernte
rasch der Tod.
Doch Brokkoli, 
obwohl in Not,
warnt deutlich: "Ich 
muss darum bitten:
beim Ernten wird nicht 
tief geschnitten!
Denn aus den Röschen, 
die noch klein,
kann zartes Leben 
neu gedeih'n."

Das Gewissen der Praline

Das Gewissen 
der Praline
*
Er liebt sie so, die 
kleinen braunen Sterne,
gefüllt mit süßem 
Nougat, Marzipan.
Sie trösten ihn - nicht 
bloß aus weiter Ferne,
sondern konkret, ein Stückchen 
Glück im Alltagswahn.

Bis eines Tags, beim 
ziellosen Durchstöbern
des Internets fällt 
sein entsetzter Blick:
auf dieses Kind mit 
müden, großen Händen,
gebückt im Staub für 
seinen süßen Kick.

Kakaobohnen – kein Märchen 
voller Segen,
dahinter Kinderarbeit, 
herzlos und gemein.
Und ihm bleibt nur, 
sich fragend zu bewegen:
Kann mein Kakaogenuss 
jetzt noch unschuldig sein?

Die Lakritzspirale

Die 
Lakritzspirale
*
Lakritzien, nicht 
weit von hier,
lockt jeden an, 
der voller Gier
nach schwarzen Kringeln 
Ausschau hält,
so schwarz wie nichts 
sonst auf der Welt.

Ob Schnecken, Stangen, 
weich und hart,
ob süß, ob salzig, 
rau und zart;
die Sucher, heißt 
es in Legenden,
werden durch den 
Lakritz hier enden.

Sie streichen auf 
ihr Brot den Brei
aus Süßlakritz, 
so zäh wie Blei.
Zum Mittag gibt’s 
Lakritzensüppchen,
zum Nachtisch 
Salzlakritz 
als Püppchen.

Sie horten die 
Lakritzspiralen, 
Lakritz gerieben 
und gemahlen.
Wie Schätze in 
der Dunkelheit
stehen sie 
jederzeit bereit.

Doch einer kam, 
der nahm zu viel
verlor das Augenmaß 
im Spiel,
zerrt die Spirale 
mit viel Kraft 
bis die Spirale 
plötzlich schafft,

sich um den 
Gierigen zu legen.
Er kann sich jetzt 
nicht mehr bewegen
Ein Fuß verheddert, 
dann die Hand,
das Netz wird schnell 
zum schwarzen Band.

Er zappelt im 
Lakritz vernetzt
und ist deshalb 
total entsetzt
weil er dort hängt, 
ein süßer Held,
den nur Lakritz 
noch oben hält.

Verbotener Genuss

Verbotener 
Genuss
*
Ganz leise 
knistert Zellophan.
Ich bin so leise, 
wie ich kann.
Die Küche still, 
das Haus in Ruh –
nur ich und 
meine Milka-Kuh.

Im Kühlschrank, dort 
im Zwischenfach,
liegt sie, abseits 
von Müsli-Krach.
Ein Griff, ein Blick – 
ob ihr wohl wisst,
wie zart sie 
auf der Zunge ist?

Die Kinder denken, 
ich bin brav,
doch ich nasch' gerne, 
auch im Schlaf,
verwisch die Spuren, 
nichts tut kund
von dem Genuss 
in meinem Schlund.

Doch ach, das letzte 
Stück ist weg,
mein Herz schlägt schneller, 
so ein Schreck!
War da ein Rascheln? 
Scheint ein Licht?
Mit Raubmord endet 
das Gedicht.

Optimistischer Realismus

Optimistischer 
Realismus
*
Ich bin kein Träumer, 
der verkennt,
dass diese Welt 
vor Sorge brennt.
Doch Hoffnung ist 
kein leeres Wort –
der erste Schritt 
zu einem Ort,
der vor uns 
in der Zukunft liegt
und die Vergangenheit 
besiegt.

Ein Pflänzchen wächst 
durch Asphaltstein
und wird ein großer 
Baum einst sein.
Ich sehe klar, 
was war und ist.
Trotzdem bin ich 
kein Pessimist.

Es liegt ein Same 
in der Welt,
der einen großen 
Traum enthält
von dem, was 
Menschheit schaffen kann,
wenn Seit' an Seite, 
Frau und Mann -
erkennen, was uns 
möglich ist.
Deshalb bin ich 
ein Optimist,
um mit Mut 
und Vertrauen
die Zukunft 
aufzubauen,
die wir dadurch 
gestalten,
wie wir uns heut'
verhalten.

Eigensinn

Eigensinn
*
Wenn du Worte 
verschweigst
und Gedanken 
nicht zeigst,
die im Innern 
entstehen,
wirst du auch 
nicht gesehen.
Und es fehlt 
in der Welt
dein ganz 
eigenes Feld.
Denn nur du 
kannst das zeigen,
was in dich 
gelegt,
damit es 
sich frei
durch das 
Leben bewegt.
Spreche aus, 
was du fühlst,
stehe da, 
wo du stehst,
selbst wenn 
du dabei
auch durch 
Sturmwinde gehst.
Diese Welt braucht 
dein Licht,
dein ganz 
eigenes Sein,
deinen Blick, 
deine Sicht,
um 
vollständig 
zu sein.

Dichterschicksal

Dichterschicksal
*
Warum wurde 
Theodor Tülle Poet?
Wo wurde der Same 
zum Reimen gesät?
Die Lehrer verboten ihm, 
Verse zu sprechen.
Sie warnten ihn vor 
dem gesprochenen Wort:
"Du bist nicht geeignet! 
Schau auf deine Schwächen!"
Man hieß ihn verstummen 
in Schule und Hort.

Die Verse verschwanden 
aus selbigem Grund
 für lange in seinem 
verschlossenen Mund.
Doch tief in der Seele 
erblühten ihm Bilder,
gebärdeten sich mit 
der Zeit immer wilder
und drängten hinauf 
voller Sehnsucht nach Licht,
angefüllt mit der Hoffnung, 
dass jemand sie spricht,
bis die zitternden Lippen 
die Laute ergriffen.

Plötzlich sprangen die Worte 
wie kunstvoll geschliffen
in den herrlichsten Formen
(ohne sich um die Normen 
der Lehrer zu scheren, 
die dieses Begehren 
"Gedichte aus Herzenskraft 
zu gewinnen" 
verspotteten, so, 
als würde er spinnen)
über Tische und Bänke 
hinaus in die Welt,
wo man sie nun staunend 
in Buchseiten hält.