Angst vor dem leeren Blatt

Angst vor dem 
leeren Blatt
*
Er sitzt vor 
einem leeren Blatt,
das auch keine 
Ideen hat.
"Wo nehm' ich 
die Gedanken her?"
fragt er sich, denn 
es fällt ihm schwer,
zu greifen, was 
sich präsentiert,
aus Angst, dass er 
sich jetzt blamiert.

Perfekt soll die 
Idee schon sein,
gut formuliert, kein 
schöner Schein.
Ein tiefgründiges 
Sinngedicht.
Darunter macht 
er's heute nicht.
Jedoch, wenn die 
Erwartung steigt,
löst sich das auf, 
was übrig bleibt.

Deshalb nimmt er 
das erste Wort
ohne Zensur und 
schreibt es fort
zu einem 
allerersten Satz.
Der macht neuen 
Ideen Platz,
die nun beginnen, 
sanft zu fließen.
Er sieht die 
Eingebungen sprießen
und plötzlich ist 
das Blatt gefüllt
und seine Sehnsucht 
wird gestillt.

Freundschaft

Freundschaft
*
Er tut ihr so gut 
wie ein wärmendes Feuer.
Doch ist seine Nähe 
ihr nie ganz geheuer,
denn sie kann kaum glauben, 
dass es einen gibt,
der bei ihr verweilt 
und sie rückhaltlos liebt.

Stets etwas zu leisten 
hat man sie gelehrt.
Genießen zu dürfen 
sei schlecht und verkehrt.
Damit man sie mag, hat 
sie Leistung zu bringen.
Um bei sich zu bleiben, 
muss sie mit sich ringen.

Nun übt sie tagtäglich, 
sich selbst zu vertrauen.
Mit sich selbst verbunden, 
kann sie auf sich bauen.
Ihr Freund wird zu dem Spiegel, 
in dem sie sich sieht.
Er steht ihr zur Seite, 
damit sie sich liebt.

So leuchtet bald heller 
ihr zaghaftes Licht,
ihr Mut wächst heran, 
bis das Misstrauen bricht.
Sie traut ihren Kräften 
und zeigt sich der Welt
von Freundschaft getragen, 
weil jemand sie hält.

Dankbarkeit

Dankbarkeit
*
Ist nun bereits alles 
gesagt und geschrieben?
Wird man meine herzhaften 
Dichtungen lieben?
Weiß man es zu schätzen, 
wie sehr ich mich mühte,
in Frucht zu verwandeln, 
was mir hier erblühte?

Geschenke des Lebens - 
ich möchte sie ehren,
und danke ihm für seine 
hilfreichen Lehren,
die niemand mir je 
in die Wiege gelegt.
Trotzdem haben sie mich 
geschützt und bewegt.

Ich will mich bedanken 
und weiterhin schreiben,
um Zeichen zu setzen, 
die auch nach mir bleiben.
Als Zeugen des Schönen, 
das mir hier geschah
lass ich meine 
Tanzpoesie für euch da.

Internet-Alarm

Internet-Alarm
*
Ein Gedicht 
ist alarmiert,
weshalb es nun 
losmarschiert.
Denn beim 
Internet-Studieren
las es: „Schlimmes 
wird passieren!“

Alle Klicks 
geben ihm recht:
„Menschen sind gemein 
und schlecht!“
Darum greift es 
zu den Waffen.
"Frieden ist nur 
so zu schaffen!"

Als die Nachbarn 
es so sehen,
bleiben sie 
geduldig stehen.
Denn sie wissen, 
was geschah:
Schuld trägt 
die Amygdala,
die im Kopf 
die Ängste weckt,
bis die Welt uns 
krass erschreckt.

Wie ein leiser, 
kluger Chor
flüstern sie der 
Furcht ins Ohr:
„Lass dich nicht 
von Angst regieren –
sie wird ihre 
Macht verlieren.
Uns vertrauend, 
Hand in Hand,
halten wir die 
Welt in Stand."

Diagnosen

Diagnosen
*
Weil Rosenmund
nichts sagen tut,
tropft Tränenbirke
grünes Blut.

Das Löwenzahnohr
hört den Wind
weil seine Kind'
verschwunden sind.

Der Fingerhutklee
ziert die Hand.
Sein Gift bringt dich
um den Verstand.

Das Efeuherz
umschlingt die Rippen.
Hier würde ich auf
Herzschmerz tippen.

So spricht der
Doktor Eisenbart
auf seine
arrogante Art.

Changierender Lurch

Changierender Lurch
*
Ein Tiefgebiet zieht 
durch mich durch.
Ich fühl mich traurig 
wie ein Lurch
der seinen 
Lebensraumverlust
erträgt durch 
kultivierten Frust.

Ein Salamander 
haust in mir.
Bin ich ein Mensch? 
Bin ich ein Tier?
Im Angesicht der 
Möglichkeiten,
beginn ich mit 
mir selbst zu streiten.

Mal Raufbold, 
dann ein Diplomat,
schaffe ich selten 
den Spagat
zwischen sich 
streitenden Gefühlen
und sitze zwischen 
allen Stühlen.

So lebe ich 
im Widerstreit
changierender 
Befindlichkeit.
Die Stimmung schwankt 
mal her, mal hin,
weil ich mal dies, 
mal jenes bin.

Honigtrunken in Pralinen

Honigtrunken in Pralinen
*
Er war schlicht der Beste 
von allen. Viele Damen der 
Stadt waren seinem Zauber 
erlegen – und sogar einige 
Herren, die einmal auf den 
Geschmack gekommen waren. 
Woher er sie nahm, wusste 
kein Mensch. Fragen danach 
prallten von ihm ab wie 
Kiesel von einer Mauer.
Manche schworen auf die 
tiefschwarzen Kostbarkeiten, 
andere verliebten sich in 
die sanftbraunen oder die 
weißen, in denen kaum 
merklich ein Hauch von 
Kaffeebohne nachklang. Als 
Pralinenkurier mit 
Kakaobohnenmagie wurde er 
bald in den Gassen 
geflüstert, doch der 
Beiname, der sich hielt, 
war: der Alchimist der 
Genusskügelchen – jener, 
der die Seele der Stadt 
gerettet hatte. Denn lange 
Zeit waren die lutscherlosen 
Träumerinnen und Träumer 
mit leeren Taschen durch die 
Straßen geirrt, auf der 
Suche nach einem süßen 
Funken. Ausgehungert nach 
Zucker, lebten sie vom 
bloßen Versprechen des 
nächsten Tages. Dann 
erschien er – der 
Schleckergeist, der 
ihrem Hunger Richtung gab, 
der die verborgenen 
Sehnsüchte hervorrief und 
sie mit süßer Fülle stillte.
Wie hoch der Preis sein 
würde, den sie dereinst 
dafür zahlen müssten, ahnte 
damals noch niemand.

Himmelsbote

Himmelsbote
*
Ich bin unsichtbar 
und oft still.
Als Wind weh ich, 
wohin ich will.
Man braucht mich, doch 
man kennt mich nicht.
Mein Körper hat 
kein Angesicht.

Mal bin ich nur 
ein sanfter Hauch,
streich über Stirne, 
Hand und Bauch,
zerwühl als Böe 
das glatte Haar
zu Strähnen wild 
und wunderbar.

Die Wolken sind 
mein Zeichenstift
für meine klare 
Bilderschrift.
Ich schreibe sie 
mit meinem Wehen,
damit die Menschen 
mich verstehen:

Tötet ihr mich, 
vergeht auch ihr.
Das Leben ist 
ein großes Wir,
in dem alles 
einander nährt.
Atem wird jedem 
Sein gewährt.

Wagemut

Wagemut
*
Die Dunkelheit ist 
mir vertraut,
sie wurde nicht 
aus Licht gebaut.
Erkennbar fehlt 
ihr ja das Licht,
ich greife sie 
und fass sie nicht,
denn ihr fehlt 
tastbare Substanz
in ihrem 
lichterlosen Tanz.

Wenn sie so finster 
auf mich schaut,
gesteh ich, dass 
mir vor ihr graut.
Sobald sie dunkel 
auf mich blickt,
spür ich, wie sehr 
mein Herz erschrickt,
wie es vor Angst 
beinah erbleicht
und Furcht in meine 
Glieder schleicht.

Ich wage kaum, 
sie anzuschauen.
Der Dunkelheit kann 
ich nicht trauen.
Es sei denn, in 
ihr liegt ein Sinn,
dem ich noch nicht 
begegnet bin.
Sollte ich achtsam 
auf sie bauen
und mich ihr mutig 
anvertrauen?

Vielleicht liegt 
in der Dunkelheit
der Plan für 
jene Ewigkeit,
die wir uns 
insgeheim erhoffen.
Stehen die 
Pforten etwa offen?
Ich will den Schritt 
ins Dunkle wagen
und hoffe sehr, 
sie wird mich tragen.

"Springe - und das Netz 
wird erscheinen!"
(Julia Cameron)

Ein Gedicht steht auf dem Mond

Ein Gedicht steht 
auf dem Mond
*
Auf dem Mond, 
im weißen Licht,
steht nachdenklich 
ein Gedicht.
"Ich und dieser 
Erdtrabant
sind vertraut 
und wohlbekannt.
Und, bei meiner 
Dichterehre,
er bewegt die 
Weltenmeere
dieser Kugel, 
weiß und blau.

Wenn ich auf 
die Erde schau,
seh' ich hinter 
ihr im All
leuchtend einen 
Feuerball,
um den beide 
Kugeln kreisen."
flüstert es in 
stillen, leisen
fast bewundernden 
Gedanken,
um die 
Schöpfungsmacht 
zu preisen.
"Dafür will ich 
mich bedanken!"

Welche Frau und 
welcher Mann
hat dies große 
Werk kreiert
und das Regelwerk 
studiert,
das den Kosmos 
hegt und pflegt?
Von dem Anblick 
tief bewegt
fängt die Dichtung 
an zu träumen
von den unerforschten 
Räumen
dieser wunderbaren 
Welt,
die uns in 
den Armen hält.
Ein Gedicht auf dem Mond – 
Staunen als Anfang des Denkens:

Ein Gedicht steht auf dem 
Mond. Von dort blickt es auf 
Erde und Sonne und beginnt 
zu fragen: Wer hat diese 
Ordnung geschaffen, die 
Meere und Bahnen lenkt? Damit 
wird Sprache selbst zur 
Himmelserscheinung: 
Sie schaut, denkt, staunt.
Der Mond ist Schwelle und 
Spiegel. Von ihm aus wirkt 
die Erde vertraut und zugleich 
entrückt. So erinnert das 
Gedicht daran, dass auch wir 
Menschen immer beides sind – 
Teil der Welt und Betrachter 
von außen. Im Zentrum aber 
steht das Staunen. 
Seit den frühen Philosophen 
gilt es als Ursprung allen 
Denkens. Hier erscheint es 
nicht in gelehrten Begriffen, 
sondern in einem schlichten 
Satz: „Dafür will ich mich 
bedanken.“ Kein dogmatisches 
Wissen, sondern ein leises 
Anerkennen. Am Ende beginnt 
die Dichtung zu träumen. 
Von Räumen, die unerforscht 
bleiben, und von einer Welt, 
die uns hält wie in Armen. 
So lädt das Gedicht dazu ein, 
das Staunen nicht zu verlernen – 
als philosophische 
Grundhaltung, als poetisches 
Geschenk.