Die Lakritzspirale

Die 
Lakritzspirale
*
Lakritzien, nicht 
weit von hier,
lockt jeden an, 
der voller Gier
nach schwarzen Kringeln 
Ausschau hält,
so schwarz wie nichts 
sonst auf der Welt.

Ob Schnecken, Stangen, 
weich und hart,
ob süß, ob salzig, 
rau und zart;
die Sucher, heißt 
es in Legenden,
werden durch den 
Lakritz hier enden.

Sie streichen auf 
ihr Brot den Brei
aus Süßlakritz, 
so zäh wie Blei.
Zum Mittag gibt’s 
Lakritzensüppchen,
zum Nachtisch 
Salzlakritz 
als Püppchen.

Sie horten die 
Lakritzspiralen, 
Lakritz gerieben 
und gemahlen.
Wie Schätze in 
der Dunkelheit
stehen sie 
jederzeit bereit.

Doch einer kam, 
der nahm zu viel
verlor das Augenmaß 
im Spiel,
zerrt die Spirale 
mit viel Kraft 
bis die Spirale 
plötzlich schafft,

sich um den 
Gierigen zu legen.
Er kann sich jetzt 
nicht mehr bewegen
Ein Fuß verheddert, 
dann die Hand,
das Netz wird schnell 
zum schwarzen Band.

Er zappelt im 
Lakritz vernetzt
und ist deshalb 
total entsetzt
weil er dort hängt, 
ein süßer Held,
den nur Lakritz 
noch oben hält.

Verbotener Genuss

Verbotener 
Genuss
*
Ganz leise 
knistert Zellophan.
Ich bin so leise, 
wie ich kann.
Die Küche still, 
das Haus in Ruh –
nur ich und 
meine Milka-Kuh.

Im Kühlschrank, dort 
im Zwischenfach,
liegt sie, abseits 
von Müsli-Krach.
Ein Griff, ein Blick – 
ob ihr wohl wisst,
wie zart sie 
auf der Zunge ist?

Die Kinder denken, 
ich bin brav,
doch ich nasch' gerne, 
auch im Schlaf,
verwisch die Spuren, 
nichts tut kund
von dem Genuss 
in meinem Schlund.

Doch ach, das letzte 
Stück ist weg,
mein Herz schlägt schneller, 
so ein Schreck!
War da ein Rascheln? 
Scheint ein Licht?
Mit Raubmord endet 
das Gedicht.

Optimistischer Realismus

Optimistischer 
Realismus
*
Ich bin kein Träumer, 
der verkennt,
dass diese Welt 
vor Sorge brennt.
Doch Hoffnung ist 
kein leeres Wort –
der erste Schritt 
zu einem Ort,
der vor uns 
in der Zukunft liegt
und die Vergangenheit 
besiegt.

Ein Pflänzchen wächst 
durch Asphaltstein
und wird ein großer 
Baum einst sein.
Ich sehe klar, 
was war und ist.
Trotzdem bin ich 
kein Pessimist.

Es liegt ein Same 
in der Welt,
der einen großen 
Traum enthält
von dem, was 
Menschheit schaffen kann,
wenn Seit' an Seite, 
Frau und Mann -
erkennen, was uns 
möglich ist.
Deshalb bin ich 
ein Optimist,
um mit Mut 
und Vertrauen
die Zukunft 
aufzubauen,
die wir dadurch 
gestalten,
wie wir uns heut'
verhalten.

Eigensinn

Eigensinn
*
Wenn du Worte 
verschweigst
und Gedanken 
nicht zeigst,
die im Innern 
entstehen,
wirst du auch 
nicht gesehen.
Und es fehlt 
in der Welt
dein ganz 
eigenes Feld.
Denn nur du 
kannst das zeigen,
was in dich 
gelegt,
damit es 
sich frei
durch das 
Leben bewegt.
Spreche aus, 
was du fühlst,
stehe da, 
wo du stehst,
selbst wenn 
du dabei
auch durch 
Sturmwinde gehst.
Diese Welt braucht 
dein Licht,
dein ganz 
eigenes Sein,
deinen Blick, 
deine Sicht,
um 
vollständig 
zu sein.

Dichterschicksal

Dichterschicksal
*
Warum wurde 
Theodor Tülle Poet?
Wo wurde der Same 
zum Reimen gesät?
Die Lehrer verboten ihm, 
Verse zu sprechen.
Sie warnten ihn vor 
dem gesprochenen Wort:
"Du bist nicht geeignet! 
Schau auf deine Schwächen!"
Man hieß ihn verstummen 
in Schule und Hort.

Die Verse verschwanden 
aus selbigem Grund
 für lange in seinem 
verschlossenen Mund.
Doch tief in der Seele 
erblühten ihm Bilder,
gebärdeten sich mit 
der Zeit immer wilder
und drängten hinauf 
voller Sehnsucht nach Licht,
angefüllt mit der Hoffnung, 
dass jemand sie spricht,
bis die zitternden Lippen 
die Laute ergriffen.

Plötzlich sprangen die Worte 
wie kunstvoll geschliffen
in den herrlichsten Formen
(ohne sich um die Normen 
der Lehrer zu scheren, 
die dieses Begehren 
"Gedichte aus Herzenskraft 
zu gewinnen" 
verspotteten, so, 
als würde er spinnen)
über Tische und Bänke 
hinaus in die Welt,
wo man sie nun staunend 
in Buchseiten hält.

Trüffelverse

Grandiose Gedichte 
von Theodor Tülle
verkostet man niemals 
in Hülle und Fülle.
Sie haben als Trüffeln 
der Dichtkunst zu gelten.
Als Klangschmeckobjekte 
sind sie äußerst selten
und nur an besonderen 
Orten zu haben,
um sich herzerfrischend 
an ihnen zu laben.

Doch manchmal fressen 
Trüffelschweine,
die leider nicht 
an einer Leine
sondern ganz 
ungehindert schnüffeln,
den ganzen Vorrat 
seiner Trüffeln.

Er hat diese Schweine 
deswegen verflucht.
Enttäuscht hat er neue 
Rezepte gesucht
und dabei poetische 
Kuchen entdeckt,
die er vor den 
schnüffelnden 
Schweinen versteckt.

Die will er nun horten
als Kuchen und Torten
und euch mit dem 
köstlichsten Vers 
überraschen,
den jeder 
verschlingen will, 
um ihn zu naschen.

Die Dichtung ist köstlich.
Sie wird euch gut munden.
Doch erst müsst ihr sie
mit den Sinnen erkunden.

Verkleidungen

Verkleidungen
*
Durch Kleidung schafft 
sie in der Welt
ein Bild, für das 
man sie dann hält.
Macht sie sich schön, 
wird man sie sehen
und ihr krass auf 
den Wecker gehen.
Spielt sie gekonnt 
mit ihren Reizen,
wird man mit Lob 
dafür nicht geizen
und rückt ihr deshalb 
auf der Stelle
gleich ganz gehörig 
auf die Pelle.

Bleibt sie stattdessen 
auf Distanz,
hat sie ihr Leben 
voll und ganz
bewusst und frei 
unter Kontrolle.
Sie bleibt sie selbst, 
spielt keine Rolle
und liebt ihre 
Unscheinbarkeit,
die sie vom 
Schönheitszwang befreit.

Ein grauer Schal, 
ein alter Schuh
und schon lässt jeder 
sie in Ruh',
denn sie scheint 
langweilig und grau.
Doch innerlich 
weiß sie genau:
"Ich wirke zwar 
ganz unscheinbar,
doch innerlich 
ganz wunderbar!"
So bleibt sie 
fröhlich und gesund,
denn tief im Herzen 
ist sie bunt.

Kartoffelmoni

Kartoffelmoni

Moni Meloni
kocht alte Kartoffeln,
steht hüftbreit am Herd,
an den Füßen
Pantoffeln,
im Mund die Zigarre,
im Haar einen Hut.
Die Kräuter im Kochtopf,
sie duften so gut.
Sie rührt mit dem Löffel
und kostet den Brei.
Sie kocht, was sie will
und ist vollkommen frei,
liest keine Rezepte,
fragt Kochbücher nicht,
kocht ihre Gerichte
so wie ein Gedicht,
nimmt Kräuter, 
nimmt Früchte,
was ihr grad gefällt.
So umwerfend köstlich
wie nichts auf der Welt!

 

Kopi Luwak – Die besondere Kaffeebohne

Kopi Luwak - 
Die besondere 
Kaffeebohne
*
Schleichkatzen 
fressen 
Kaffeekirschen,
in denen je 
zwei Bohnen sind.
Sich an die 
Katzen anzupirschen,
gelingt meist 
nur bei Gegenwind.
Nur so kann man 
die Bohnen fassen,
die bald den 
Katzendarm verlassen
und sie für jenen 
Trank verwenden,
für den wir unser 
Geld verschwenden.

Doch denkt man an 
die sanften Pfoten,
die für unser 
Aroma leiden
wird der Genuss 
uns bald verboten.
Wir sollten 
Kopi Luwak meiden.

 

Sauerbraten vom Flamingo

Sauerbraten 
vom Flamingo
*
In der Traumstadt 
steht auf einem Bein
ein Flamingo nachts 
im Mondenschein.
Er wirkt gut genährt 
und wohlgeraten.
Monsieur Töff denkt: 
"So ein feiner Braten
könnte mir gewiss 
vortrefflich munden!"
Er beginnt, den 
Vogel zu umrunden
und mit seiner 
Flinte zu fixieren.
Der Flamingo scheint 
zu ignorieren,
dass ihn jemand sieht. 
Ich muss erwähnen,
dass Monsieur kurz zögert, 
sich zu schämen.
Doch dann setzt er an 
zu einem Schuss,
weil er was 
im Magen haben muss.