Schamanenbanane

Schamanenbanane
*
Moni schreibt auf 
eine grüne Banane:
"Du bist sicher nicht
der gesuchte Schamane,
der meine 
Verletzungen 
dauerhaft heilt!"
Das spüre ich, weil
deren Schmerz noch 
verweilt. 

Kraftbrühe

Kraftbrühe
*
Er ist hungrig, 
darum freut er
sich auf frisch 
gepflückte Kräuter,
die er in 
die Suppe streut.

Er hat es 
noch nie bereut,
sich an seinen 
Herd zu stellen,
wenn die roten 
Linsen quellen
und die Brühe 
qualmt und duftet,
für die er 
vergnügt geschuftet. 

Geschenk-Eskalation

Ostergeschenk-Eskalation
*
„Schau mal, was ich für dich 
eingepackt habe!“ Mit einem breiten 
Grinsen hielt er das kleine, perfekt 
verschnürte Päckchen in die Luft. 
Sie riss das Papier auf – und 
erstarrte. „Ein… Fingerhut? Mit 
echten Diamanten?! Das kann ich doch 
unmöglich annehmen!“ Sie drehte das 
winzige Ding zwischen den Fingern, 
funkelnde Reflexe tanzten über ihre 
Handfläche. „Aber danke! Und weißt 
du was? Ich hab auch was für dich!“ 
Mit theatralischer Geste zog sie 
ein längliches Paket hinter ihrem 
Rücken hervor. Er riss es auf – und 
brüllte los. „Ein Ofenrohr?! Du bist 
genial! Schwarz lackiert und… man 
kann sogar durchgucken wie durch ein 
Fernrohr!“ Er hielt es an ein Auge, 
schwenkte es durch den Raum. „Was für 
ein Ausblick! Dafür bekommst du auch 
noch eine Kleinigkeit!“ Ein 
Riesenpaket krachte vor ihr auf den 
Boden. Sie schnappte nach Luft, 
riss das Papier herunter – und 
strahlte. „Ein Sofa! Perfekt zum 
Trampolinspringen!“ Sie kletterte 
sofort darauf, machte einen 
Testhüpfer, dann noch einen 
– und flog fast bis zur Decke. 
„Das federt ja wie ein Springboden! 
Und weil du so großzügig bist… habe 
ich auch noch was für dich!“
Er fing das nächste Paket auf, riss 
es auf – und seine Augen wurden 
riesig. „Ein Fallschirm! Wahnsinn! 
Damit kann ich direkt vom Mond auf 
die Erde springen!“ Er schnallte 
sich die Gurte probeweise um, dann 
sah er grinsend auf den Tisch. 
„Und da liegt noch was für dich!“
Mit zitternden Fingern öffnete sie 
die nächste Schachtel. Ihr Mund 
klappte auf. „Ein… Mond? Du hast 
mir einen echten Mond besorgt?“ 
Ihre Stimme war kaum mehr als 
ein Flüstern. „Wie zum Teufel…?“ 
Er lachte, zuckte mit den 
Schultern. „Hat sich angeboten. 
Aber schau mal, was ich hier noch 
für dich habe!“ Ein massives Paket 
polterte auf den Boden. Sie riss 
es auf – und kreischte. „Ein 
Panzer?! Ein richtiger Panzer?! 
Der schießt ja wirklich! Darf ich 
mal ausprobieren?“ Sie sprang auf, 
zielte spielerisch auf ihn. „Nur 
ein Schuss, ich schwöre!“ „Moment!“ 
Er hielt beschwichtigend die 
Hände hoch und zog ein letztes 
Geschenk hervor. „Öffne das erst!“ 
Mit zitternden Händen entfernte 
sie das Papier – und schrie vor 
Lachen. „Eine Rakete?! Du bist 
komplett verrückt! Perfekt! Dann 
fliegen wir jetzt auf den Mars und 
feuern von dort aus mit dem Panzer 
auf die Erde!“ Er grinste, nahm ihre 
Hand. „Deal.“

Mondscheinsonate

Der Mond scheint.
Ich betrete 
die Terrasse.
Hinter mir weht 
der Vorhang im Wind.
Die Luft ist kühl.
Ich lege mir die Hände 
auf die Schultern.
Meine wärmende Jacke 
hängt an der Garderobe 
im Flur.
Eine Uhr tickt.
Sie steht auf dem 
Wohnzimmerschrank.
Nach jedem Ticken
fällt ein kühler Tropfen
in das Wasserfass
unter dem Abflussrohr.

Impfgegner

Impfgegner
*
Ein Impfgegner 
lebt jetzt
in Wimpfen
und leidet an 
nächtlichem 
Schimpfen,
denn Ulrich 
sein Sohn
hat 
Tourette-Syndrom,
weil er einst 
verbot, ihn 
zu impfen.
*

 

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Wasseralarm
*
Helena stand in der Nähe des 
Fortuna-Büdchens und lehnte sich 
gegen die Mauer am Joseph-Beuys-Ufer, 
die Zeitung halb gefaltet in der Hand. 
Ihre Augen huschten über die 
Schlagzeile: Meeresspiegelanstieg 
beschleunigt sich weiter – 5,9 mm 
allein in 2024. Sie presste die 
Lippen aufeinander. Erwartet waren 
4,3 Millimeter gewesen. NASA-Analysen 
bestätigten die neuen Zahlen 
– eine Entwicklung, die nicht mehr 
zu leugnen war. Sie hob den Blick 
und sah auf den Rhein. Die Strömung 
war träge, doch das Wasser stand höher 
als noch vor einigen Monaten. Die 
Ufersteine, die früher trocken 
dalagen, glänzten nun feucht in der 
Sonne. In ihrem Kopf tauchten die 
Zahlen aus einem wissenschaftlichen 
Artikel auf: Bis 2050 könnte der 
Meeresspiegel um 32 Zentimeter 
steigen. Doch um sie herum? Keine 
Spur von Besorgnis. Kinder lachten, 
ein Paar lehnte sich an die Brüstung, 
ein Straßenmusiker spielte eine sanfte 
Melodie. Als wäre alles in Ordnung.
Helena seufzte, bückte sich und hob 
ein paar Steine vom Boden auf. Mit 
Bedacht legte sie sie auf die Mauer, 
als könnte sie damit den Fluss 
aufhalten, das Unausweichliche 
verzögern. Lächerlich. Ihr Blick 
haftete auf den Steinen, während 
ihre Finger sich in die raue 
Oberfläche gruben. Ob es überhaupt 
noch Hoffnung gab? Ob irgendjemand 
die Zeichen erkannte? Eine Welle 
klatschte gegen die Kaimauer. Der 
Wind trug das Echo über die 
Promenade – ein leises, 
eindringliches Flüstern.
*

Gestricktes Verslein

Gestricktes Verslein
*
Miranda hat für mich 
ein Verslein gestrickt,
das mir viel zu eng ist 
und fürchterlich zwickt.
Ich trage es 
nur ihr zu Ehren,
und würde mich 
niemals beschweren,
dass jede der Maschen 
mich unglaublich juckt
und sich als ein 
stachliger Igel entpuppt,
denn schließlich hat sie 
mir nur Gutes gemeint
und beim Stricken vor Glück 
in die Wolle geweint.

Auswirkung der Meditation

 

Auswirkung der Meditation
*
Ich meditiere jeden Tag und nutze 
dabei sowohl die Atemmeditation 
aus dem Zen-Buddhismus als auch 
eine Visualisierung aus dem 
tibetischen Buddhismus. Mir hilft 
diese Arbeit sehr, mich ruhiger, 
entspannter, aber auch klarer und 
lebendiger zu fühlen. Dabei kann 
ich auf einen langen Weg 
zurückschauen, der mich aus 
Verwirrung und Angst hinausgeführt 
hat in ein Bewusstsein von 
Freiheit und Kraft. Mich 
beschäftigt die Frage, ob die 
Übungen, die ich praktiziere, 
auch einen Einfluss auf die Welt 
haben, der über den direkten 
Einfluss auf meine persönlichen
Kontakte hinausgeht.
Vielleicht gibt es Menschen, die 
Antworten darauf kennen.
Es würde mich freuen, diese zu 
lesen.
Herzlichen Dank.
Jürgen

Vorstellungskraft entwickeln

Um etwas zu schreiben, benötigt 
man Vorstellungskraft. Je klarer 
und lebhafter die Bilder sind, 
die man vor dem inneren Auge 
sieht, desto überzeugender 
lässt sich das so in der 
Fantasie Erschaffene mitteilen.
Die Fähigkeit, Bilder vor dem 
inneren Auge zu erschaffen, oder 
sich an diese zu erinnern, kann 
man trainieren. Zunächst muss 
man sich im Körper verankern, 
um den Kontakt mit der 
Wirklichkeit nicht zu verlieren. 
Dazu richtet man die 
Aufmerksamkeit wie den 
Lichtkegel einer Taschenlampe
auf die Fußsohlen und tastet 
so einmal den ganzen Körper
ab, von den Füßen bis zum 
Schädeldach. Hat man auf diese 
Weise die Verbindung mit dem 
Körper gefestigt, stellt man 
sich eine weiße Leinwand vor, 
die sich auf Augenhöhe 1 Meter 
vom Körper entfernt befindet.
Um die Imaginationsfähigkeit 
zu entwickeln, beginnt man
am besten mit einfachen 
Formen. Eine waagerechte 
schwarze Linie ist für den 
Anfang gut geeignet. Stell 
dir vor, dass die horizontale 
Linie sich in die Senkrechte 
dreht, indem der linke Endpunkt 
nach oben wandert und der 
rechte Endpunkt nach unten. 
Wenn der nun untere Endpunkt 
der Linie weiter nach links 
wandert, hast du wieder eine 
horizontale Linie vor deinem 
inneren Auge. Lass die Linie 
sich immer wieder drehen. Nehme 
jetzt andere geometrische Formen 
als Imaginationsobjekt. Stelle 
dir Dreiecke vor, die sich 
drehen, oder Kreise bzw. Reifen, 
die auf einem imaginären Boden 
entlangrollen. Lass die Objekte 
in verschiedenen Farben vor dir 
erscheinen. Entwickle deine 
Fähigkeiten weiter, indem du 
dir dreidimensionale Formen 
vorstellst, um die du im 
Geiste herumläufst wie um ein
Hochhaus oder eine Litfaßsäule.
Das Bewusstsein ist wie ein 
Auge, das über einer Wasserfläche
schwebt. Das Wasser symbolisiert 
das Unterbewusstsein, aus dem
Bilder, Gefühle und Gedanken 
aufsteigen und auf dieses Weise
bewusst werden können. Du kannst 
dir vorstellen, dass du am 
Rande eines Sees auf einer
Bank sitzt und auf die 
Wasseroberfläche schaust.
Der Wind bewegt die 
Wasseroberfläche. 
Regentropfen fallen und so
entsteht Bewegung. Du siehst 
viele Bilder auf der 
Wasseroberfläche. Du erkennst 
in dem bewegten Wasser 
menschliche Gestalten, Männer 
und Frauen, alte und junge 
Menschen, Kinder, Erwachsene 
und Greise. Konzentriere 
dich auf eine Person, die 
du genauer betrachten möchtest.
Wie sieht diese Person aus? 
Ist es ein Mann oder eine 
Frau? Wie alt ist diese 
Person? Wie ist sie 
gekleidet? Wo lebt sie? Mit 
welchen Menschen hat sie 
beruflich und privat Kontakt? 
Welchen Beruf übt sie aus?
Es gibt etwas, das diese 
Person dringend braucht, 
etwas, dessen Fehlen sie
als Mangel empfindet. 
Versuche herauszufinden, 
was das ist und was die
Person tun würde, um 
diesen Mangel zu beseitigen.
Beginne dann, dich zu 
dehnen und zu strecken, 
öffne die Augen und schreibe
einen Text, in dem du diese 
Person über ihr Leben 
befragst und notierst,
was sie sich am meisten wünscht.
*
Wichtig ist auch, die 
Filterfunktion des 
Bewusstseins herabzusetzen, 
damit die Bilder, die in 
diesem Prozess aufsteigen 
können, nicht durch Erwartungen 
oder Befürchtungen 
beeinträchtigt werden.

Pechvogel

Pechvogel
*
Er lebte in einer Mülltonne unter 
der Brücke – seit dem Tag, an dem 
ihn seine Freundin vor die Tür 
gesetzt hatte. Freunde hatte er 
keine mehr. Er war ein missmutiger 
Zeitgenosse, unfähig, mit anderen 
in Frieden zu leben. Immer hatte 
er an allem etwas auszusetzen, 
und so ließ sich leicht 
nachvollziehen, dass er in seinen 
58 Lebensjahren bereits 23 
Wohnungen bewohnt hatte – oder 
waren es nur 21? Genau wusste er 
es nicht mehr. Als seine Eltern 
ihn vor die Tür setzten, weil er 
ständig über das Essen nörgelte, 
nahm ihn seine Großmutter 
vorübergehend auf. Doch auch 
sie entzog ihm bald den 
Haustürschlüssel – er konnte es 
nicht lassen, ihre Wohnung nach 
seinen Vorstellungen umzuräumen.
Im Wohnheim für junge Männer 
hielt er es nicht lange aus. 
Die Gemeinschaftsküche war 
eine Zumutung, und seine 
Mitbewohner weigerten sich 
standhaft, seinen strengen 
Reinigungsanweisungen Folge zu 
leisten. Eine Freundin, bei 
der er sich einquartiert hatte, 
warf ihn wütend hinaus, als er 
begann, sich an ihrer 
Haushaltskasse zu bedienen. Nun 
saß er also unter der zugigen 
Brücke, vor seiner leeren 
Mülltonne, wie ein moderner 
Diogenes – und grübelte. Was 
war in seinem Leben bloß 
schiefgelaufen? Was hatten 
all diese Leute nur falsch 
gemacht? fragte er sich.