Radieschenseele

Radieschenseele
*
Ins Dunkel fiel 
ein Samenkorn,
verloren, klein 
und ungebor'n.
Unter des Erdreichs 
warmer Haut
wurde mein Körper 
aufgebaut:

Radieschen bin ich, 
rot und rund,
mit Biss und Schärfe, 
kerngesund:
Ein Wurzelwesen, 
stolz und klar,
das einst ein 
Samenkörnchen war.

Ich danke jener 
Lebenskraft,
die diesen roten 
Leib erschafft,
der täglich wächst, 
so rot und prall.
Ein Wunder im 
perfekten All!

Doch bange ich: 
Was, wenn zuletzt
man mich nur auf 
den Teller setzt
als bunter Fleck, 
der, mir zum Hohn,
nur dient als 
Tisch-Dekoration?

Nein, lieber sei ich 
roh verspeist
damit es ganz 
am Ende heißt:
Wir haben sie 
mit Lust gegessen!
Radieschen sind 
Delikatessen!

Die empörte Ananas

Auszug aus 
"Die empörte Ananas"

(Akt I, Szene I – 
Ein dunkler Obstkorb 
in der Küche)

CHORUS:
O Frucht, gekrönt mit 
goldner Stachelzier,
die süßlich lockt – du 
trägst ein Tier in dir!
Beim Kauen war uns 
keinesfalls bewusst,
dass wilder Zorn da 
bebt in deiner Brust!"

ANANAS (allein):
Was bin ich denn? 
Ein bloßes Schnittobjekt?
Ein Fruchtstück, achtlos 
nebenbei gesnackt?
Bei meiner Krone, nein! 
Ich schwör's beim eignen Kern:
Nur dem, der achtsam kaut, 
dien ich wie einem Herrn.

ANANAS (zum Apfel):
Du rundes Ding, 
das jedermann genießt –
hat man dich je auf 
Speeren aufgespießt?
Ich ward zerhackt, 
entsaftet – ach, genug!
Des Menschen Tafel 
ist voll Lug und Trug.

APFEL (zitternd):
O Ananas, du bist 
nicht wie zuvor!
Aus deinem Fleisch 
quillt purer Zorn empor!

ANANAS:
So höret nun, ihr Früchte, 
die geknechtet:
Das Schälmesser sei 
zukünftig geächtet.
Ich wanke nicht, 
ich steh zu meiner Haut –
Folgt mir, ihr Schwestern, 
wenn ihr mir vertraut.

CHORUS (flüsternd)
Doch in den Körben 
überall im Haus
macht man empörten 
Früchten den Garaus.
So manche Frucht, die 
sich zur Freiheit wand,
verschwand zermalmt 
durch grobe Menschenhand.

Die zickige Zitrone

Die zickige 
Zitrone

Hoch oben hängt sie, 
gold und rund,
mit keckem Blick 
und frechem Mund.
„Ich bleib hier hängen, 
keine Frage –
ich plansch doch 
nicht in Limonade!“

Die Sonne küsst 
ihr gelbes Kleid,
sie streckt sich 
wohlig, ist bereit,
ihr Leben sonnig 
zu genießen.
Nichts Störendes 
wird sie verdrießen.

Ein Pflücker kommt 
mit einem Sack,
Zitrone zischt: 
„Hau ab, du Pack!
Fasst du mich an, 
versprech ich dir -
spritze ich Säure, glaube mir!"

Da lachten Äpfel, 
Birn’ und Pflaumen:
„Zitronen sind 
nichts für den Gaumen!
Sie werden an dem 
Baum versauern!"
Kichern sie 
ganz ohne Bedauern.

Die Kirschen 
giggelten im Chor:
„Sie denkt, sie 
hat genug Humor,
doch bald verschrumpelt 
sie am Baum.
Urlaub? Von wegen! 
Aus der Traum!"

Der Sommer ging, 
der Herbst zog ein,
der Wind fuhr kühl 
ins Fruchtgestein.
Die Äpfel reisten, 
reif und rund,
in Körben fort – 
von Mund zu Mund.

Nur die Zitrone 
hing allein
und einsam auf 
dem Bäumelein.
So endete ihr 
Sommertraum
verschrumpelnd 
oben auf dem Baum.

Der melancholische Mangold

Der melancholische 
Mangold
*
Ein Schattenplatz 
im letzten Beet.
Niemand schaut, wo 
der Mangold steht.
Sein Grün ist welk, 
sein Rot verblasst,
er träumt davon, 
dass man ihn fasst

und endlich in 
die Sonne setzt.
So lichtlos fühlt 
er sich verletzt.
Die Möhren lachen, 
ihm zur Pein:
„Du bist so blass 
und tust so fein!“

Der Mangold schweigt, 
schaut in die Sterne.
Im Sonnenschein ständ' 
er so gerne,
um Farbenpracht dort 
zu entfalten.
"Werde ich je 
die Form erhalten,

die angemessen 
mir entspricht?"
Die Möhren rufen: 
"Sicher nicht!"
Er träumt von 
violetten Adern
und will mit seinem 
Schicksal hadern,

denkt an den Regen, 
sanft und klar,
an Düfte aus dem 
letzten Jahr.
An Hände, die ihn 
sacht berühren
und ihn aus diesem 
Garten führen.

Doch er ruht still 
im Abendlicht,
ein Mangold, dem 
das Herz zerbricht,
der denkt: vielleicht 
kann es doch sein -
für mich ein 
Quäntchen 
Sonnenschein.

Der stolze Spinat

Der stolze 
Spinat
*
Im Morgenlicht glänzt 
sattes Grün.
Er steht im Beet, 
so stolz und kühn:
Ein König, 
chlorophyllverklärt,
vom Tau gekrönt, 
vom Wind verehrt.

Sein Blatt ist prall 
vor edler Kraft,
die Eisenstärke 
straff erschafft.
Er lacht dem 
Lauch gemein ins Ohr:
„Kein Kraut wächst 
so wie ich empor!“

Die Möhren tuscheln 
voller Neid,
doch er steht stolz 
in seinem Kleid
und schüttelt seine 
Blätterpracht –
ein Muskelspiel 
geballter Macht.

Doch dann, ein Schatten 
fällt aufs Beet,
ein Mensch naht mit 
Besteckgerät.
Er spricht: „Der sieht 
so lecker aus,
er passt perfekt 
in meinen Schmaus!"

"Krönt er mich jetzt? 
Was ist sein Plan?"
denkt der Spinat 
im Größenwahn.
Vom Stolz bleibt bald
nur Breispinat 
auf Mürbeteig
bei 100 Grad. 

 

Der Lederpilz

Der Lederpilz
*
Käthe holt aus 
ihrer Truhe
selbstgemachte 
Lederschuhe.
Damit rettet 
sie die Welt,
denn sie werden 
hergestellt
aus durch Pilz 
entstand'nem Leder. 
Weiß das hier 
vielleicht 
schon jeder?

Sägespäne, 
leicht verwittert,
hat sie Pilzen 
zugefüttert.
Das Mycel fand 
diese lecker.
Käthe wurde 
zum Entdecker
der vom Pilz 
geformten Haut
und hat diese 
abgebaut.
Erst geerntet, 
dann gegerbt,
hier und da 
sogar gefärbt,
bildet es den 
Rohstoff aus, 
der uns hilft 
in Hof und Haus. 
Wird Mycel erst 
gut genährt, 
wächst ein Stoff, 
der sich bewährt.

Brokkoliphilosophie

Brokkoliphilosophie
*
Der Brokkoli, ein 
Kohl von Welt,
schaut wissend auf, 
wenn er zerfällt.
Gelassen spricht er: 
"Nicht so schlimm!
Esst mich, bevor 
ich bitter bin!"
Sein Großvater, 
der Blumenkohl,
dachte nicht an 
des Enkels Wohl.
Drum folgt der Ernte
rasch der Tod.
Doch Brokkoli, 
obwohl in Not,
warnt deutlich: "Ich 
muss darum bitten:
beim Ernten wird nicht 
tief geschnitten!
Denn aus den Röschen, 
die noch klein,
kann zartes Leben 
neu gedeih'n."

Das Gewissen der Praline

Das Gewissen 
der Praline
*
Er liebt sie so, die 
kleinen braunen Sterne,
gefüllt mit süßem 
Nougat, Marzipan.
Sie trösten ihn - nicht 
bloß aus weiter Ferne,
sondern konkret, ein Stückchen 
Glück im Alltagswahn.

Bis eines Tags, beim 
ziellosen Durchstöbern
des Internets fällt 
sein entsetzter Blick:
auf dieses Kind mit 
müden, großen Händen,
gebückt im Staub für 
seinen süßen Kick.

Kakaobohnen – kein Märchen 
voller Segen,
dahinter Kinderarbeit, 
herzlos und gemein.
Und ihm bleibt nur, 
sich fragend zu bewegen:
Kann mein Kakaogenuss 
jetzt noch unschuldig sein?

Die Lakritzspirale

Die 
Lakritzspirale
*
Lakritzien, nicht 
weit von hier,
lockt jeden an, 
der voller Gier
nach schwarzen Kringeln 
Ausschau hält,
so schwarz wie nichts 
sonst auf der Welt.

Ob Schnecken, Stangen, 
weich und hart,
ob süß, ob salzig, 
rau und zart;
die Sucher, heißt 
es in Legenden,
werden durch den 
Lakritz hier enden.

Sie streichen auf 
ihr Brot den Brei
aus Süßlakritz, 
so zäh wie Blei.
Zum Mittag gibt’s 
Lakritzensüppchen,
zum Nachtisch 
Salzlakritz 
als Püppchen.

Sie horten die 
Lakritzspiralen, 
Lakritz gerieben 
und gemahlen.
Wie Schätze in 
der Dunkelheit
stehen sie 
jederzeit bereit.

Doch einer kam, 
der nahm zu viel
verlor das Augenmaß 
im Spiel,
zerrt die Spirale 
mit viel Kraft 
bis die Spirale 
plötzlich schafft,

sich um den 
Gierigen zu legen.
Er kann sich jetzt 
nicht mehr bewegen
Ein Fuß verheddert, 
dann die Hand,
das Netz wird schnell 
zum schwarzen Band.

Er zappelt im 
Lakritz vernetzt
und ist deshalb 
total entsetzt
weil er dort hängt, 
ein süßer Held,
den nur Lakritz 
noch oben hält.

Verbotener Genuss

Verbotener 
Genuss
*
Ganz leise 
knistert Zellophan.
Ich bin so leise, 
wie ich kann.
Die Küche still, 
das Haus in Ruh –
nur ich und 
meine Milka-Kuh.

Im Kühlschrank, dort 
im Zwischenfach,
liegt sie, abseits 
von Müsli-Krach.
Ein Griff, ein Blick – 
ob ihr wohl wisst,
wie zart sie 
auf der Zunge ist?

Die Kinder denken, 
ich bin brav,
doch ich nasch' gerne, 
auch im Schlaf,
verwisch die Spuren, 
nichts tut kund
von dem Genuss 
in meinem Schlund.

Doch ach, das letzte 
Stück ist weg,
mein Herz schlägt schneller, 
so ein Schreck!
War da ein Rascheln? 
Scheint ein Licht?
Mit Raubmord endet 
das Gedicht.