Die Akazienphilosophie

Akazienphilosophie
*
Ein paar 
hungrige Giraffen
machen sich am 
Baum zu schaffen,
der am Rand der 
Steppe steht,
hitzefest, vom 
Wind umweht.

Die Akazienblätter 
spüren,
wie die Zähne 
sie berühren,
sie zerreißen, 
beißen, kauen,
um sie lustvoll 
zu verdauen.

Doch ein Baum, 
der nicht vergisst,
-"Was mach ich, wenn 
man mich frisst?"-
schickt ein Gas, 
so fein und klar,
an seine 
Geschwisterschar,

warnt die Brüder 
und die Schwestern.
Schließlich ist er 
nicht von gestern.
"Gib gut Acht - 
denn jetzt und hier
kommen Fresser 
nah zu dir."

Alle Bäume 
sind gewarnt,
haben sich 
sofort getarnt,
machten ihre 
Blätter bitter
gegen die 
Giraffenritter.

Doch ein Baum fragt 
sich im Stillen:
"Muss ich nicht 
den Hunger stillen,
der die Tiere 
zu mir treibt,
auch wenn nichts mehr 
von mir bleibt?

Ist es richtig, 
mich zu rüsten,
mich vielleicht 
damit zu brüsten,
dass ich sehr viel 
schlauer war
als diese 
Giraffenschar?"

Nachdenklich ließ 
er sich fressen,
fern von 
Eigeninteressen.
Philosophisch 
von Natur,
blieb von ihm 
nicht eine Spur.
 

Des Wirsings Weisheit

Des Wirsings 
Weisheit

Im Garten stand 
zu guter letzt
nur noch ein Wirsing, 
gelb und alt,
faltig und klug, 
doch unterschätzt.
Es wurde dunkel, 
nass und kalt.

"Savoyer Kohl nennt 
man mich wohl
und denkt, ich sei 
von innen hohl.
Doch stetig wuchs mir 
Schicht um Schicht
die Weisheit, die jetzt 
zu euch spricht.

Ich schaute, fest 
verwurzelt hier,
auf Schnecke, Spatz 
und jedes Tier,
das nach dem Sinn 
des Lebens fragte,
weil Weltverdruss 
ihm nicht behagte.

So reiften in mir 
Blatt und Sinn –
bis plötzlich dann, 
ganz mittendrin,
Erkenntnis reifte: 
Sinn des Lebens
ist, froh zu sein - 
nichts ist vergebens.

Dann kam ein Mensch 
mit schnellen Schritten
hat meine Blätter 
abgeschnitten.
Doch keine Angst 
durchdrang mein Herz,
nur eine leise 
Form von Schmerz:

Was nützt die Weisheit, 
tief und klar,
wenn sie niemals 
zu hören war?
Wie teile ich, 
was ich gelernt,
wenn man mich aus 
der Welt entfernt?"

Doch dann wird er 
gefüllt, gerollt,
gewürzt mit Zwiebeln, 
gelb wie Gold,
und nicht zermatscht, 
nein: fein serviert,
im Ofen liebevoll 
garniert.

Er dachte noch 
im Bratensud:
„Nahrung zu werden 
tut so gut.
Wenn man mich achtsam 
sanft zerkaut
und meine Weisheit 
dann verdaut,

lebe ich weiter - 
Blatt für Blatt -
in dem, der mich 
gegessen hat.
Ein Wirsing, der sein 
Ziel erreichte,
bevor er wirkungslos 
erbleichte.

Radieschenseele

Radieschenseele
*
Ins Dunkel fiel 
ein Samenkorn,
verloren, klein 
und ungebor'n.
Unter des Erdreichs 
warmer Haut
wurde mein Körper 
aufgebaut:

Radieschen bin ich, 
rot und rund,
mit Biss und Schärfe, 
kerngesund:
Ein Wurzelwesen, 
stolz und klar,
das einst ein 
Samenkörnchen war.

Ich danke jener 
Lebenskraft,
die diesen roten 
Leib erschafft,
der täglich wächst, 
so rot und prall.
Ein Wunder im 
perfekten All!

Doch bange ich: 
Was, wenn zuletzt
man mich nur auf 
den Teller setzt
als bunter Fleck, 
der, mir zum Hohn,
nur dient als 
Tisch-Dekoration?

Nein, lieber sei ich 
roh verspeist
damit es ganz 
am Ende heißt:
Wir haben sie 
mit Lust gegessen!
Radieschen sind 
Delikatessen!

Die empörte Ananas

Auszug aus 
"Die empörte Ananas"

(Akt I, Szene I – 
Ein dunkler Obstkorb 
in der Küche)

CHORUS:
O Frucht, gekrönt mit 
goldner Stachelzier,
die süßlich lockt – du 
trägst ein Tier in dir!
Beim Kauen war uns 
keinesfalls bewusst,
dass wilder Zorn da 
bebt in deiner Brust!"

ANANAS (allein):
Was bin ich denn? 
Ein bloßes Schnittobjekt?
Ein Fruchtstück, achtlos 
nebenbei gesnackt?
Bei meiner Krone, nein! 
Ich schwör's beim eignen Kern:
Nur dem, der achtsam kaut, 
dien ich wie einem Herrn.

ANANAS (zum Apfel):
Du rundes Ding, 
das jedermann genießt –
hat man dich je auf 
Speeren aufgespießt?
Ich ward zerhackt, 
entsaftet – ach, genug!
Des Menschen Tafel 
ist voll Lug und Trug.

APFEL (zitternd):
O Ananas, du bist 
nicht wie zuvor!
Aus deinem Fleisch 
quillt purer Zorn empor!

ANANAS:
So höret nun, ihr Früchte, 
die geknechtet:
Das Schälmesser sei 
zukünftig geächtet.
Ich wanke nicht, 
ich steh zu meiner Haut –
Folgt mir, ihr Schwestern, 
wenn ihr mir vertraut.

CHORUS (flüsternd)
Doch in den Körben 
überall im Haus
macht man empörten 
Früchten den Garaus.
So manche Frucht, die 
sich zur Freiheit wand,
verschwand zermalmt 
durch grobe Menschenhand.

Die zickige Zitrone

Die zickige 
Zitrone

Hoch oben hängt sie, 
gold und rund,
mit keckem Blick 
und frechem Mund.
„Ich bleib hier hängen, 
keine Frage –
ich plansch doch 
nicht in Limonade!“

Die Sonne küsst 
ihr gelbes Kleid,
sie streckt sich 
wohlig, ist bereit,
ihr Leben sonnig 
zu genießen.
Nichts Störendes 
wird sie verdrießen.

Ein Pflücker kommt 
mit einem Sack,
Zitrone zischt: 
„Hau ab, du Pack!
Fasst du mich an, 
versprech ich dir -
spritze ich Säure, glaube mir!"

Da lachten Äpfel, 
Birn’ und Pflaumen:
„Zitronen sind 
nichts für den Gaumen!
Sie werden an dem 
Baum versauern!"
Kichern sie 
ganz ohne Bedauern.

Die Kirschen 
giggelten im Chor:
„Sie denkt, sie 
hat genug Humor,
doch bald verschrumpelt 
sie am Baum.
Urlaub? Von wegen! 
Aus der Traum!"

Der Sommer ging, 
der Herbst zog ein,
der Wind fuhr kühl 
ins Fruchtgestein.
Die Äpfel reisten, 
reif und rund,
in Körben fort – 
von Mund zu Mund.

Nur die Zitrone 
hing allein
und einsam auf 
dem Bäumelein.
So endete ihr 
Sommertraum
verschrumpelnd 
oben auf dem Baum.

Der melancholische Mangold

Der melancholische 
Mangold
*
Ein Schattenplatz 
im letzten Beet.
Niemand schaut, wo 
der Mangold steht.
Sein Grün ist welk, 
sein Rot verblasst,
er träumt davon, 
dass man ihn fasst

und endlich in 
die Sonne setzt.
So lichtlos fühlt 
er sich verletzt.
Die Möhren lachen, 
ihm zur Pein:
„Du bist so blass 
und tust so fein!“

Der Mangold schweigt, 
schaut in die Sterne.
Im Sonnenschein ständ' 
er so gerne,
um Farbenpracht dort 
zu entfalten.
"Werde ich je 
die Form erhalten,

die angemessen 
mir entspricht?"
Die Möhren rufen: 
"Sicher nicht!"
Er träumt von 
violetten Adern
und will mit seinem 
Schicksal hadern,

denkt an den Regen, 
sanft und klar,
an Düfte aus dem 
letzten Jahr.
An Hände, die ihn 
sacht berühren
und ihn aus diesem 
Garten führen.

Doch er ruht still 
im Abendlicht,
ein Mangold, dem 
das Herz zerbricht,
der denkt: vielleicht 
kann es doch sein -
für mich ein 
Quäntchen 
Sonnenschein.

Der stolze Spinat

Der stolze 
Spinat
*
Im Morgenlicht glänzt 
sattes Grün.
Er steht im Beet, 
so stolz und kühn:
Ein König, 
chlorophyllverklärt,
vom Tau gekrönt, 
vom Wind verehrt.

Sein Blatt ist prall 
vor edler Kraft,
die Eisenstärke 
straff erschafft.
Er lacht dem 
Lauch gemein ins Ohr:
„Kein Kraut wächst 
so wie ich empor!“

Die Möhren tuscheln 
voller Neid,
doch er steht stolz 
in seinem Kleid
und schüttelt seine 
Blätterpracht –
ein Muskelspiel 
geballter Macht.

Doch dann, ein Schatten 
fällt aufs Beet,
ein Mensch naht mit 
Besteckgerät.
Er spricht: „Der sieht 
so lecker aus,
er passt perfekt 
in meinen Schmaus!"

"Krönt er mich jetzt? 
Was ist sein Plan?"
denkt der Spinat 
im Größenwahn.
Vom Stolz bleibt bald
nur Breispinat 
auf Mürbeteig
bei 100 Grad. 

 

Der Lederpilz

Der Lederpilz
*
Käthe holt aus 
ihrer Truhe
selbstgemachte 
Lederschuhe.
Damit rettet 
sie die Welt,
denn sie werden 
hergestellt
aus durch Pilz 
entstand'nem Leder. 
Weiß das hier 
vielleicht 
schon jeder?

Sägespäne, 
leicht verwittert,
hat sie Pilzen 
zugefüttert.
Das Mycel fand 
diese lecker.
Käthe wurde 
zum Entdecker
der vom Pilz 
geformten Haut
und hat diese 
abgebaut.
Erst geerntet, 
dann gegerbt,
hier und da 
sogar gefärbt,
bildet es den 
Rohstoff aus, 
der uns hilft 
in Hof und Haus. 
Wird Mycel erst 
gut genährt, 
wächst ein Stoff, 
der sich bewährt.

Brokkoliphilosophie

Brokkoliphilosophie
*
Der Brokkoli, ein 
Kohl von Welt,
schaut wissend auf, 
wenn er zerfällt.
Gelassen spricht er: 
"Nicht so schlimm!
Esst mich, bevor 
ich bitter bin!"
Sein Großvater, 
der Blumenkohl,
dachte nicht an 
des Enkels Wohl.
Drum folgt der Ernte
rasch der Tod.
Doch Brokkoli, 
obwohl in Not,
warnt deutlich: "Ich 
muss darum bitten:
beim Ernten wird nicht 
tief geschnitten!
Denn aus den Röschen, 
die noch klein,
kann zartes Leben 
neu gedeih'n."

Das Gewissen der Praline

Das Gewissen 
der Praline
*
Er liebt sie so, die 
kleinen braunen Sterne,
gefüllt mit süßem 
Nougat, Marzipan.
Sie trösten ihn - nicht 
bloß aus weiter Ferne,
sondern konkret, ein Stückchen 
Glück im Alltagswahn.

Bis eines Tags, beim 
ziellosen Durchstöbern
des Internets fällt 
sein entsetzter Blick:
auf dieses Kind mit 
müden, großen Händen,
gebückt im Staub für 
seinen süßen Kick.

Kakaobohnen – kein Märchen 
voller Segen,
dahinter Kinderarbeit, 
herzlos und gemein.
Und ihm bleibt nur, 
sich fragend zu bewegen:
Kann mein Kakaogenuss 
jetzt noch unschuldig sein?