Geomantische Empathie
*
„Ich wusste gar nicht, dass es
so viele verschiedene Formen
der Empathie gibt“, sagte
Helena, während sie über die
Kieswege des Hofgartens
schlenderten. Ihr Blick
glitt über die alten Bäume,
deren Äste sich sanft im Wind
wiegten. „Emotionale Empathie
– die Fähigkeit, Gefühle
anderer wahrzunehmen – und
kognitive Empathie, also das
Hineinversetzen in fremde
Gedankenwelten, sind mir
bekannt. Das ist ja
essenziell für meine Arbeit.
Aber von geomantischer
Empathie habe ich noch nie
gehört.“ Sie passierten
die massiven Bronzeskulpturen
von Manolo Valdés, die im
Licht des späten Nachmittags
warm schimmerten. In der Nähe
der Reitallee, wo sich der
Park zur Straße hin öffnete,
lag ein großer,
glatt geschliffener Felsen.
Pero ließ sich darauf nieder,
seine Fingerspitzen tasteten
über die kühle Oberfläche,
als würde er nach etwas
Unsichtbarem suchen. „Mit
dieser Fähigkeit spürt man
die feinstofflichen Energien
einer Stadt“, erklärte er
und sah gedankenverloren
über die Dächer hinweg.
„Diese Felder sind ein Echo
der Emotionen ihrer Bewohner,
geformt von historischen
Ereignissen, den natürlichen
Strömen der Umgebung.“
Helena verschränkte die Arme.
„Und was bringt das für deine
Arbeit?“ „Ich kann Orte
energetisch reinigen, Harmonie
schaffen. Stadtplaner oder
Architekten könnten davon
profitieren – Gebäude
entwerfen, die das Wohlbefinden
fördern. Aber für mich geht
es um mehr. Ich kann fühlen,
wenn ein Ort instabil wird,
wenn die Erde unruhig ist.“
Seine Stimme senkte sich.
Eine Böe wirbelte das Laub
am Boden auf. „Und was hast
du mit den Steinen vor?“
Er atmete tief ein. „Diese
Stadt ist in großer Gefahr.
Ich versuche, ein Erdbeben
zu verhindern.“
*
*
|