hot_spot_0019

Nork
Nork hatte eine ganz eigene Art 
von Empathie. Er fühlte das Böse 
– nicht abstrakt, sondern 
körperlich, als eine drückende 
Hitze in der Brust, als einen 
fauligen Geschmack auf der Zunge. 
Es war nicht nur eine Ahnung, 
sondern eine Gewissheit. Und 
wann immer er es spürte, wuchs 
in ihm ein brennendes Verlangen: 
Es musste ausgerottet werden.
„Solange das Böse existiert,“ 
hatte er seinen Mitstreitern 
verkündet, „wird es 
Ungerechtigkeit und Kriege 
geben!“ Er sah sich als 
Vollstrecker einer höheren 
Ordnung, überzeugt, dass sein 
Tun notwendig war. Um nicht 
aufzufallen, trug er graue 
Hosen, eine etwas hellere 
Jacke, nichts, was Blicke auf 
sich zog. Mit 43 Jahren hatte 
er bereits einige „Siege“ 
errungen – so nannte er es.
Jetzt hatte er Kläff und Rott 
im Visier. Parasiten, die 
sich auf Kosten anderer 
bereicherten. Für Nork waren 
sie mehr als Betrüger – sie 
waren der Grund für alles 
Übel: Klimakatastrophen, 
steigende Meeresspiegel, 
den drohenden Untergang der 
Menschheit. Er beobachtete 
sie an der Rheinuferpromenade. 
Der Fluss war in den letzten 
Tagen rasant gestiegen, die 
Wellen schwappten gegen das 
steinerne Ufer. Kläff und 
Rott starrten auf das Wasser.
„Wir sind schon wieder fast 
pleite“, murmelte Rott und 
trat einen Kieselstein in den 
Fluss. „Alles ist verdammt 
teuer geworden“, seufzte Kläff. 
Er zog eine Zigarette aus der 
zerknitterten Schachtel, 
kratzte ein Streichholz über 
die Packung und nahm einen 
tiefen Zug. In letzter Zeit 
rauchte er ständig – echte 
Zigaretten, kein digitales 
Zeug. „Und es gibt zu viele, 
die den Hals nicht voll genug 
kriegen“, fügte er hinzu und 
schnippte die Kippe ins Wasser.
Nork ballte die Fäuste.

Veröffentlicht in Heißes Pflaster.