Erdbeben
*
Dass Egon Sander sich von seiner
Tasche trennen musste, ließ
seinen Puls in die Höhe
schnellen. Der Schweiß lief ihm
den Nacken hinunter, während
sein Blick immer wieder zu ihr
wanderte. Sie stand neben ihm
auf dem Boden, unangetastet,
doch seine Finger zuckten, als
wollte er den Trageriemen
umklammern. Seine linke Ferse
tippte nervös auf den Boden,
ein unbewusstes Stakkato. War
das Zittern unter seinen Füßen
real oder nur Einbildung?
„Seit wann wissen Sie von den
Erdbeben?“ fragte Pero. Egon
blinzelte, als müsste er sich
erst erinnern, wo er war.
„Ich arbeite beim
geologischen Dienst des
Landes NRW. Wir dokumentieren
Erdbeben, weil die Region
Düsseldorf in einem
seismisch aktiven Gebiet
liegt.“ Seine Stimme war
flach, mechanisch, als
würde er etwas aus einem
Bericht zitieren. „Hat es
denn hier schon Erdbeben
gegeben?“ „Ja.“ Er strich
sich über den Arm, als
könnte er eine unsichtbare
Anspannung vertreiben.
„1992 gab es ein starkes
Beben in Roermond, das bis
Düsseldorf zu spüren war.
Und 2015 wurde im Osten
der Stadt eine Erschütterung
der Stärke 1,9 gemessen.“
Pero musterte ihn. „Und das
macht Ihnen Angst?“ Egon
lachte leise, aber es klang
hohl. „Die ganze Welt macht
mir Angst.“ Sein Blick irrte
über den Boden, als suchte
er nach einem festen Punkt.
„Trump verwandelt Amerika
in eine Diktatur. Europa
rutscht nach rechts. Alles,
was einmal sicher war,
scheint sich aufzulösen. Ich
klammere mich an das, was
bleibt.“ Seine Hand zuckte,
als wollte sie nach der Tasche
greifen. Pero ließ sich Zeit,
bevor er sprach. Er hatte
Egons Körpersprache längst
analysiert. Die Anspannung
in seinen Schultern, der
unstete Blick – ein Mensch,
der Halt suchte. Und jemand,
den man in eine Richtung
lenken konnte. „Ich hätte
eine Aufgabe für Sie. Etwas,
das Ihnen Sicherheit gibt.“
Egon hob langsam den Kopf.
„Was denn?“ „Helfen Sie mir,
Pflastersteine und Felsbrocken
an bestimmten Plätzen in der
Stadt abzulegen. Je schwerer
die Stadt wird, desto stabiler
bleibt sie bei einem Erdbeben.“
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