Himmelsbote

Himmelsbote
*
Ich bin unsichtbar 
und oft still.
Als Wind weh ich, 
wohin ich will.
Man braucht mich, doch 
man kennt mich nicht.
Mein Körper hat 
kein Angesicht.

Mal bin ich nur 
ein sanfter Hauch,
streich über Stirne, 
Hand und Bauch,
zerwühl als Böe 
das glatte Haar
zu Strähnen wild 
und wunderbar.

Die Wolken sind 
mein Zeichenstift
für meine klare 
Bilderschrift.
Ich schreibe sie 
mit meinem Wehen,
damit die Menschen 
mich verstehen:

Tötet ihr mich, 
vergeht auch ihr.
Das Leben ist 
ein großes Wir,
in dem alles 
einander nährt.
Atem wird jedem 
Sein gewährt.

Wagemut

Wagemut
*
Die Dunkelheit ist 
mir vertraut,
sie wurde nicht 
aus Licht gebaut.
Erkennbar fehlt 
ihr ja das Licht,
ich greife sie 
und fass sie nicht,
denn ihr fehlt 
tastbare Substanz
in ihrem 
lichterlosen Tanz.

Wenn sie so finster 
auf mich schaut,
gesteh ich, dass 
mir vor ihr graut.
Sobald sie dunkel 
auf mich blickt,
spür ich, wie sehr 
mein Herz erschrickt,
wie es vor Angst 
beinah erbleicht
und Furcht in meine 
Glieder schleicht.

Ich wage kaum, 
sie anzuschauen.
Der Dunkelheit kann 
ich nicht trauen.
Es sei denn, in 
ihr liegt ein Sinn,
dem ich noch nicht 
begegnet bin.
Sollte ich achtsam 
auf sie bauen
und mich ihr mutig 
anvertrauen?

Vielleicht liegt 
in der Dunkelheit
der Plan für 
jene Ewigkeit,
die wir uns 
insgeheim erhoffen.
Stehen die 
Pforten etwa offen?
Ich will den Schritt 
ins Dunkle wagen
und hoffe sehr, 
sie wird mich tragen.

"Springe - und das Netz 
wird erscheinen!"
(Julia Cameron)

Ein Gedicht steht auf dem Mond

Ein Gedicht steht 
auf dem Mond
*
Auf dem Mond, 
im weißen Licht,
steht nachdenklich 
ein Gedicht.
"Ich und dieser 
Erdtrabant
sind vertraut 
und wohlbekannt.
Und, bei meiner 
Dichterehre,
er bewegt die 
Weltenmeere
dieser Kugel, 
weiß und blau.

Wenn ich auf 
die Erde schau,
seh' ich hinter 
ihr im All
leuchtend einen 
Feuerball,
um den beide 
Kugeln kreisen."
flüstert es in 
stillen, leisen
fast bewundernden 
Gedanken,
um die 
Schöpfungsmacht 
zu preisen.
"Dafür will ich 
mich bedanken!"

Welche Frau und 
welcher Mann
hat dies große 
Werk kreiert
und das Regelwerk 
studiert,
das den Kosmos 
hegt und pflegt?
Von dem Anblick 
tief bewegt
fängt die Dichtung 
an zu träumen
von den unerforschten 
Räumen
dieser wunderbaren 
Welt,
die uns in 
den Armen hält.
Ein Gedicht auf dem Mond – 
Staunen als Anfang des Denkens:

Ein Gedicht steht auf dem 
Mond. Von dort blickt es auf 
Erde und Sonne und beginnt 
zu fragen: Wer hat diese 
Ordnung geschaffen, die 
Meere und Bahnen lenkt? Damit 
wird Sprache selbst zur 
Himmelserscheinung: 
Sie schaut, denkt, staunt.
Der Mond ist Schwelle und 
Spiegel. Von ihm aus wirkt 
die Erde vertraut und zugleich 
entrückt. So erinnert das 
Gedicht daran, dass auch wir 
Menschen immer beides sind – 
Teil der Welt und Betrachter 
von außen. Im Zentrum aber 
steht das Staunen. 
Seit den frühen Philosophen 
gilt es als Ursprung allen 
Denkens. Hier erscheint es 
nicht in gelehrten Begriffen, 
sondern in einem schlichten 
Satz: „Dafür will ich mich 
bedanken.“ Kein dogmatisches 
Wissen, sondern ein leises 
Anerkennen. Am Ende beginnt 
die Dichtung zu träumen. 
Von Räumen, die unerforscht 
bleiben, und von einer Welt, 
die uns hält wie in Armen. 
So lädt das Gedicht dazu ein, 
das Staunen nicht zu verlernen – 
als philosophische 
Grundhaltung, als poetisches 
Geschenk.

 

Flanier-Raupe

Die Flanier-Raupe
*
Ein stiller Tag.
 Sie ist bereit
für eine kleine 
Pausenzeit.
Will heut nicht mehr 
an Blättern kau'n,
hat Lust, sich draußen 
umzuschau'n.

Sie kriecht gemächlich 
durch die Gasse,
vorbei an einer 
Bar-Terrasse.
Die Gläser blinken, 
sie kann seh'n,
wie Menschen sich 
hier gut versteh'n.

"Ach, hätt' ich 
einen Menschenleib,
wenn auch nur kurz, 
zum Zeitvertreib!"
so denkt die Raupe 
und flaniert
gemächlich weiter, 
ungeniert.

Doch trifft sie 
plötzlich neben sich
ihr Spiegelbild. 
"Bin das wohl ich?"
Staunend dreht sie 
sich hin und her.
"So schön bin ich! 
Was will ich mehr?"

Mit sich versöhnt, 
kriecht sie zurück,
zum Baum, zum Blatt, 
zum stillen Glück,
knabbert an Blättern, 
zart und fein.
Zufriedener 
kann niemand sein.
Gedichtinterpretation: 
Die Flanier-Raupe
 Das Gedicht erzählt von 
einer Raupe, die flaniert, 
sich im Spiegel begegnet und 
schließlich zu ihrem Baum 
zurückkehrt. Was wie eine 
kleine Tierfabel wirkt, wird 
zum Bild der Selbstsuche: 
Das Alltägliche erhält Tiefe. 
Die Raupe verlässt den 
Rhythmus des Blätterkauens 
und begibt sich ins Flanieren 
– nicht aus Not, sondern aus 
Sehnsucht. Hier ahnt man, 
dass Sinn im zweckfreien 
Handeln liegt, im 
Staunen über die Welt. 
Der Spiegel markiert den 
entscheidenden Moment: 
Die Raupe erkennt sich – 
und zugleich ein fremdes Bild. 
Sie erfährt, dass sie mehr 
ist als bloße Natur, ein Wesen 
mit der Fähigkeit, sich selbst 
zu überraschen. Statt 
Verwandlung folgt Rückkehr. 
Kein Schmetterling, 
sondern Versöhnung mit dem 
Gewöhnlichen. Die Pointe ist 
fast provokant: „Zufriedener 
kann man nicht sein.“ Die 
Tiefe zeigt sich in der 
Schlichtheit – wie in 
stoischer Gelassenheit 
oder zenbuddhistischer 
Achtsamkeit. So wird das 
Gedicht zu einer 
Miniatur über Selbstbegegnung 
und Einverständnis mit dem 
Leben – ein Beweis, dass 
auch das Unspektakuläre 
die größte philosophische 
Kraft bergen kann.

Wirtschaftliche Flaute

Wirtschaftliche Flaute
*
Der Zins der Liebe war gering.
Die Herzbilanz gab keinen Sinn.
Sein Mitleidshaushalt war erschöpft,
Darum gab er sich zugeknöpft.

Der Frustverkauf ist nicht geglückt,
Neidprämien haben ihn erdrückt.
Der Sorgenfonds nahm stetig zu,
der Angstgewinn raubt ihm die Ruh.

Trostdividenden gab es nicht -
was nicht für die Gesellschaft spricht.
Gefühlsumsätze brachen ein,
die Schamsteuer vermehrt die Pein.

Verzweiflungsdarlehen zwangen ihn
am Ende nur noch still zu knien.

Gefühlsgleichung

Gefühlsgleichung
*
Sie träumt oft von ihm 
und der Hingabegleichung,
erhält aber nur 
eine Handüberreichung.
Sein Zärtlichkeitsvektor 
blieb unter der Norm,
drum suchte sie 
eine Umarmungsreform.

Sie schlug forschend nach 
im Erklärungsverzeichnis,
doch fand sie dort nur 
ein betrübliches Gleichnis:
Gefühlspragmatismus 
statt Puls-Emotion
verhindert auf Dauer 
die Kussproduktion.

So forschte sie weiter 
nach fühlbaren Quellen,
um sich dem Gefühlsalgorithmus 
zu stellen.
Beziehungssysteme galt 
es zu erkunden,
doch hat sie das Herzintegral 
nicht gefunden.

Da lernte sie plötzlich 
mit glasklarem Blick:
die Liebe erscheint 
nicht als Mathematik.
Wo Zahlen zerfallen, 
beginnt Resonanz,
sie drehen sich sanft 
in lebendigem Tanz.

Samen der Hoffnung

Samen der Hoffnung
*
Die Landschaft wirkt 
verdorrt und leer, 
denn Bäume wachsen 
hier nicht mehr. 
Die Dürre nahm 
dem Boden Kraft, 
kein Halm, der sich 
hier Raum verschafft.
 
Nur Vögel ziehen 
manchmal hier, 
still kreisend 
über dem Revier, 
das von Zerstörung 
fast bedroht. 
Dort unten landen 
Harn und Kot.
 
Die Tropfen fallen, 
wo's gefällt, 
am Boden dieser 
öden Welt 
und tragen so 
der Früchte Samen, 
die Vögel hungrig 
zu sich nahmen.

 
Plötzlich gedeihen 
an dem Ort 
zartgrüne Pflänzchen 
hier und dort. 
Sie wachsen, weil 
sie sich erkühnen, 
den kargen Boden 
zu begrünen.
 
Erst eins, dann zwei, 
sie sprießen weit 
und bilden Polster 
mit der Zeit, 
bedecken Erde 
und Gestein 
um rasch ein dichtes 
Netz zu sein.
 
Bald wachsen Stauden, 
Sträucher dicht, 
ihr Blätterdach schützt 
vor dem Licht. 
Ein Schatten fällt, 
der Boden ruht, 
geschützt vor 
heißer Sonnenglut. 
Aus Vogelkot, das 
sieht man hier, 
erblüht ein neues
Waldrevier. 
Vertrauen wir der 
Welten Lauf. 
Das Leben keimt und
wächst hinauf.

Aus dem Handbuch der Vielfalt, Band 7.4

Aus dem Handbuch der Vielfalt, 
Band 7.4
1: Belohne die Nutzung kultureller 
Produkte anderer Zivilisationen als 
„kulturellen Austausch“. Fördere so, 
dass sich Kulturen begegnen und 
vermischen – und dass die von deinem 
Volk genutzten Kulturgüter 
vielfältiger, bunter und kreativer 
werden. (Vielfaltsgebot!)
2: Erlaubt und ausdrücklich erwünscht 
sind zum Beispiel:
- Dreadlocks, Cornrows und alle 
Frisuren, die Freude machen, 
- indigene Federschmucke (am schönsten 
zusammen mit einer Einladung von 
Stammesältesten, die ihre Geschichten 
erzählen), 
- Kimonos, Saris, Ponchos, Dirndl 
– getragen mit Respekt, Würde 
und Neugier
- Musikrichtungen wie Jazz, Rap, 
Reggae, Flamenco, K-Pop – am besten 
gemeinsam musiziert
- kulinarische Abenteuer (Pizza, Sushi, 
Curry, Falafel, Tacos – möglichst 
nicht aus der Tiefkühltruhe, sondern 
im Dialog mit denjenigen, die die 
Tradition pflegen)

3: Ermuntere dein Volk, sich die Haut in 
allen Farben des Regenbogens zu bemalen. 
Damit stärkst du die Identifikation 
mit Menschen anderer Kulturen und 
verstärkst Empathie und Solidarität.
Bedenke: Empathie könnte zukünftige 
Konflikte erheblich erschweren 
– und genau das ist der Sinn 
der Übung!
4: Unterstütze internationale Feste und 
Feiertage (Karneval, Halloween, Ramadan, 
Diwali, Día de los Muertos). So bleibt 
dein Volk nicht nur unberührt, sondern 
im besten Sinne tief berührt von 
fremden Traditionen.
5: Ermutige Literatur, Film und Theater, 
die Vielfalt sichtbar machen. Alles, 
was fremde Kulturen positiv darstellt, 
soll gefördert werden. Statt einer 
heroischen Nationalerzählung: 
Geschichten der Begegnung, der 
Freundschaft, der Liebe und des 
Lernens voneinander.
6: Feiere die Sprache deines Volkes als 
lebendiges Mosaik. Lade Fremdwörter, 
Anglizismen, Lehnwörter und 
Neuschöpfungen ein – je mehr, desto 
reicher das Vokabular.
Und vergiss nicht: Jede Sprache lebt 
davon, dass sie sich verändert und 
wächst.
7: Etabliere Orte des Austauschs 
– Marktplätze, Schulen, Festivals, 
Bibliotheken –, an denen Menschen 
einander begegnen und ihre 
Traditionen teilen können. 
Vielfalt gedeiht dort, wo sie 
sichtbar und erfahrbar wird.

 

Aus dem Handbuch für Diktatoren Band 1.4

Aus dem Handbuch für Diktatoren, 
Band 1.4
1:
Bestrafe die Nutzung kultureller 
Produkte anderer Zivilisationen 
als „kulturelle Aneignung“. 
Verhindere so, dass sich 
Kulturen vermischen und stelle 
sicher, dass die von deinem Volk 
genutzten Kulturgüter 
ausschließlich deinem Einfluss 
unterliegen (Reinheitsgebot!).
2:
Verboten sind zum Beispiel:
Dreadlocks
indigene Federschmucke
Kimonos
fremde Musikrichtungen (Jazz, 
Rap, Reggae)
fremdsprachige Ausdrücke im 
alltäglichen Sprachgebrauch
Speisen aus anderen Ländern 
(Pizza, Sushi, Curry)
3:
Verbiete deinem Volk, sich 
die Haut schwarz oder gelb 
zu färben. Damit unterbindest 
du jede Identifikation mit 
Menschen anderer Kulturen 
und verhinderst Empathie mit 
ihnen. Bedenke: Empathie 
könnte zukünftige Kriege 
erheblich erschweren!
4:
Unterdrücke internationale 
Feste oder Feiertage (z. B. 
Karneval, Halloween, Día de 
los Muertos). So bleibt dein 
Volk von „fremden Traditionen“ 
unberührt.
5:
Kontrolliere Literatur, Film 
und Theater. Alles, was fremde 
Kulturen positiv darstellt, 
muss zensiert werden. 
Stattdessen: 
heroische Erzählungen über 
die eigene Nation.
6:
Stelle sicher, dass die 
Sprache deines Volkes 
frei bleibt von „Fremdwörtern“. 
Reinige das Vokabular und 
bestrafe jeden, der Anglizismen 
oder Lehnwörter verwendet.

 

Aus dem Handbuch für Diktatoren Band 1.3

Aus dem Handbuch für Diktatoren, Band 1.3

1: Frauenrechte sind dir gleichgültig. 
Doch schenke ihnen das Gender-Sternchen, 
damit sie glauben, gesehen zu werden – 
und weiterhin kostenlos die Care-Arbeit 
verrichten, die du sonst bezahlen 
müsstest.

2: Verkünde laut und breit die Bedeutung 
geschlechtergerechter Sprache. Solange 
Frauen damit beschäftigt sind, sich 
sprachlich bestätigt zu fühlen, werden 
sie nicht wie einst die Suffragetten 
auf die Straße gehen.

3: Unterschätze niemals die Macht der 
Frauen. Würden sie geschlossen streiken 
wie in Lysistrata, wäre das fatal für 
unsere Männerwelt. Also: Entziehe ihnen 
das Recht auf Abtreibung, zwinge sie zu 
vielen Kindern und binde sie fest an die 
Aufzucht deiner künftigen Arbeiter.

4: Lass Kinderbücher in deinem Sinne 
umschreiben. Mach aus Pippi Langstrumpf 
ein angepasstes Mädchen, das stolz auf 
den Rang ihres Vaters als Inselchef 
verweist, brav mit Puppen spielt und 
ihre Zeit mit TikTok-Videos verbringt.

5: Nutze die sozialen Medien, um Frauen 
und Mädchen einzureden, sie seien nur 
liebenswert, wenn sie Markenkleidung 
tragen und sich nach vorgegebenen 
Schönheitsidealen schminken. So 
lassen sie sich leichter manipulieren, 
zweifeln an ihrer eigenen Kraft und 
suchen Bestätigung bei Männern.

6: Sorge dafür, dass jede Kritik am 
Patriarchat als „Hysterie“ oder 
„überzogene Empfindlichkeit“ abgetan 
wird. So lernen Frauen, an sich selbst 
zu zweifeln, statt an deinen 
Machtstrukturen.