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Beobachtungen
*
Pero und Egon Sander beobachteten 
die Menschen in der Stadt. Sie 
reagierten interessiert auf die 
überall auftauchenden Steine, 
und die Elefanten in den 
U-Bahnstationen waren das 
Gesprächsthema. Es schien in 
Mode zu kommen, etwas mit Steinen 
zu machen. In einem 
sonnendurchfluteten Kindergarten 
bauten Kinder mit leuchtenden 
Augen Türme und kleine 
Steinmauern, während ihre 
Erzieherin, mit einem 
verschmitzten Lächeln, winzige 
Kiesel auf die Zungen der Spielenden 
legte, die so den S-Laut übten, 
ohne zu lispeln. Auch die in der 
ganzen Stadt verteilten 
Gib-und-Nimm-Kisten schienen 
ein neues Kapitel aufzuschlagen: 
Zwischen alten Alltagsgegenständen 
blitzten Bernstein, Lapis Lazuli, 
Citrin und weitere Heilsteine 
hervor wie kostbare, längst 
vergessene Schätze. In den offenen 
Bücherschränken entdeckte man 
unerwartet Werke über die 
die Energie der Steine, so wie 
„Die Heilkraft der Felsen“ oder 
„The Crystal Bible“ von Judy Hall 
– Titel, die neugierig machten und 
leise Geschichten von längst 
vergangenen Zeiten erzählten.
Am Rande dieser Faszination 
warfen Rott und Kläff amüsiert 
skeptische Blicke über die Schulter. 
Ihre leisen Spötteleien machten 
deutlich, dass sie in diesem 
neuen Trend keinen Wert sahen 
– vor allem, weil damit 
scheinbar kein Geld zu verdienen 
war. Nahebei, fast unsichtbar 
im Schatten, lauschte Nork. Er 
nahm jedes Wort in sich auf, 
als auch Arbeiter in ruhiger 
Routine die letzten, imposanten 
Elefanten an der U-Bahnstation 
Bilk S befestigten. Zwischen 
dem harten Klang der Werkzeuge 
und dem leisen Dröhnen der 
Maschinen mischten sich die 
rauen Stimmen der Arbeiter:
— „Können die Dinger nicht 
losgehen? Das ist doch immerhin 
Dynamit.“ — „Werden sie nicht,“ 
entgegnete einer trocken, 
„sie haben ja keine Zünder.“
— „Und wenn ein Brand ausbricht?“
Ein tiefes, ironisches Schnauben 
folgte. „Dann müsste es schon ein 
Erdbeben geben.“ Nork, der sich 
mit Bränden auskannte, 
schmunzelte. Er hatte schon welche 
gelegt.

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Therapiemethoden
*
Helena tüftelte an neuen 
Therapiemethoden, als Augusta 
Semmering mit einem 
ungewöhnlichen Problem zu ihr 
kam. Ihre Gedanken schienen 
ein Eigenleben zu führen – kaum 
entstanden sie in ihrem Kopf, 
entkamen sie ungefiltert durch 
ihren Mund und strömten in die 
Welt hinaus. Worte sprudelten 
aus ihr hervor, fanden 
zielsicher den Weg in fremde 
Ohren und ließen sich dort 
ungefragt nieder. Augusta war 
machtlos gegen diesen 
endlosen Redeschwall. Egal 
wie sehr sie sich bemühte, ihn 
zu bremsen, die Worte drängten 
sich unaufhaltsam nach draußen. 
Also entwickelte Helena für sie 
eine ganz besondere Lösung: 
die Labertasche aus Volltex. 
Ein unscheinbares Accessoire 
mit einer raffinierten Funktion 
– tief in den Stoff eingenäht 
lauerte ein winziger Chip, auf 
dem eine KI programmiert war.
Sobald Augusta mehr als 30 
Silben am Stück sprach, sprang 
die Tasche in Aktion. Mit 
energischer Stimme begann sie 
lautstark zu plappern, 
unterbrach Augusta mitten im 
Satz und zwang sie, innezuhalten. 
Jedes Mal, wenn sie ins Plaudern 
geriet, wurde sie von ihrem 
eigenen Echo übertönt. Nach 
und nach lernte Augusta, ihre 
Worte zu wählen – und Stille 
als eine ebenso wertvolle Antwort 
zu betrachten.
Hanna Sieger dagegen war so 
zurückhaltend, dass andere 
Menschen sie oft mit ihren 
Forderungen überrumpelten 
– und sie sich nicht dagegen 
wehren konnte. Doch Helena 
erschuf für sie eine 
Retourkutsche aus Bumerang-
Gummi, elastisch und 
unaufhaltsam, ausgestattet 
mit Spiegeln, die den 
Angreifern ihr eigenes 
Verhalten vor Augen führten. 
So prallten die Übergriffe 
an Hanna ab – und kehrten 
zu ihren Verursachern zurück.

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Nork
Nork hatte eine ganz eigene Art 
von Empathie. Er fühlte das Böse 
– nicht abstrakt, sondern 
körperlich, als eine drückende 
Hitze in der Brust, als einen 
fauligen Geschmack auf der Zunge. 
Es war nicht nur eine Ahnung, 
sondern eine Gewissheit. Und 
wann immer er es spürte, wuchs 
in ihm ein brennendes Verlangen: 
Es musste ausgerottet werden.
„Solange das Böse existiert,“ 
hatte er seinen Mitstreitern 
verkündet, „wird es 
Ungerechtigkeit und Kriege 
geben!“ Er sah sich als 
Vollstrecker einer höheren 
Ordnung, überzeugt, dass sein 
Tun notwendig war. Um nicht 
aufzufallen, trug er graue 
Hosen, eine etwas hellere 
Jacke, nichts, was Blicke auf 
sich zog. Mit 43 Jahren hatte 
er bereits einige „Siege“ 
errungen – so nannte er es.
Jetzt hatte er Kläff und Rott 
im Visier. Parasiten, die 
sich auf Kosten anderer 
bereicherten. Für Nork waren 
sie mehr als Betrüger – sie 
waren der Grund für alles 
Übel: Klimakatastrophen, 
steigende Meeresspiegel, 
den drohenden Untergang der 
Menschheit. Er beobachtete 
sie an der Rheinuferpromenade. 
Der Fluss war in den letzten 
Tagen rasant gestiegen, die 
Wellen schwappten gegen das 
steinerne Ufer. Kläff und 
Rott starrten auf das Wasser.
„Wir sind schon wieder fast 
pleite“, murmelte Rott und 
trat einen Kieselstein in den 
Fluss. „Alles ist verdammt 
teuer geworden“, seufzte Kläff. 
Er zog eine Zigarette aus der 
zerknitterten Schachtel, 
kratzte ein Streichholz über 
die Packung und nahm einen 
tiefen Zug. In letzter Zeit 
rauchte er ständig – echte 
Zigaretten, kein digitales 
Zeug. „Und es gibt zu viele, 
die den Hals nicht voll genug 
kriegen“, fügte er hinzu und 
schnippte die Kippe ins Wasser.
Nork ballte die Fäuste.

Seelenfunke

Ein Seelenfunke 
freut sich schon
auf seine 
Reinkarnation.

Ein Körper liegt 
bereits bereit
so wie ein frisches, 
neues Kleid.

Der Leib gefällt 
der Seele nicht,
weshalb sie heimlich 
zu sich spricht:

"Er ist zu breit 
und viel zu klein.
Ich glaub', ich lass' 
es lieber sein.
Die Auswahl ist nicht 
wirklich groß.
Deshalb schweb' ich 
in keinen Schoß,
um dort hinausgepresst 
zu werden
für einen Leidensweg 
auf Erden."

Und so verzichtete 
es weise
auf eine neue 
Körperreise.

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Der erste Elefant
*
Vier Gestalten in schwarzen 
Overalls trugen vorsichtig den 
massiven Korpus des ersten 
Elefanten die Treppen der 
U-Bahn-Station 
Heinrich-Heine-Allee hinab. 
Ihr Atem dampfte in der kühlen 
Luft des unterirdischen Tunnels, 
während das Gerüst aus Pappe 
und Drahtgestell unter ihren 
Händen leicht schwankte. Noch 
war es bloß ein Skelett, aber 
das würde sich bald ändern.
Sie erreichten den Bahnsteig, 
stellten den Koloss ab und 
begannen, ihn mit Leben zu 
füllen. Sorgfältig gebündelte 
und bemalte Dynamitstangen 
wechselten von ihren Händen 
an das Gerüst, wurden mit 
dünnen Drähten umwickelt, in 
präzisen Mustern befestigt. 
Das Sprengmaterial leuchtete 
in mattem Rot unter den 
Neonlichtern. „Vorsicht mit 
den Ohren“, murmelte eine der 
Gestalten, während sie die 
ersten Stangen an den 
Rundungen des Kopfes 
fixierte. „Die müssen genau 
im richtigen Winkel sein.“
Ein anderer kniete am Fuß 
des Elefanten, wickelte eine 
Kette aus schmaleren 
Sprengladungen um das massive 
Bein, ließ die Stangen sanft 
durch die Finger gleiten. 
„Wenn das Ding losgeht …“ 
Seine Stimme war kaum mehr 
als ein Hauch. „Wird es nicht“, 
sagte sein Kollege ruhig und 
zog einen Draht straff. 
„Keine Zünder.“
„Und wenn ein Brand ausbricht?“
Ein leises Schnauben. „Müsste 
schon ein Erdbeben dazukommen.“
Die vier arbeiteten schweigend 
weiter. Die Dynamitstangen 
wurden in symmetrischen Linien 
entlang des Rüssels arrangiert, 
um die Stoßzähne geschlungen 
wie groteske Schmuckstücke. 
Einer von ihnen trat zurück, 
wischte sich mit dem 
Handrücken über die Stirn.
Die Neonlichter flackerten. 
Harte Schatten zitterten auf 
dem Boden, tanzten über die 
Konturen des Elefanten. Er 
stand reglos da, riesig und 
ehrfurchtgebietend. Wartend.
Ein tiefes Dröhnen vibrierte 
durch den Bahnsteig, kaum 
wahrnehmbar, irgendwo aus 
der Ferne. „Sieht gut aus“, 
sagte einer. „Dann weiter. 
Nächste Station.“

Wohnungsnot

Wohnungsnot
*
Er rannte schon die ganze Zeit
und war ein wenig atemlos, denn
er wollte der erste sein, der die
frei werdende Wohnung besichtigte.
Aber als er um die nächste Ecke bog,
war vor dem Haus schon eine lange
Schlange mit wartenden Menschen zu 
sehen. Er hatte von dieser Wohnung
geträumt und er wusste, dass er an
diesem Ort das ganz große Glück 
finden würde. Darum wäre es auch
einfach nicht richtig gewesen, am
Ende der Schlange zu warten. Er
kämpfte sich tollkühn nach vorn.
Den einen boxte er in die Rippen
und dem nächsten trat er mit der
Ferse seiner Stahlsohle auf die
Zehenspitzen in der Sandale, so
dass dieser aufschrie und zur 
Seite sprang. Dem Mann mit dem 
Hut schlug er seine Tasche um 
die Ohren und drückte ihn mit der
Schulter zur Seite. Die nächste
Bewerberin vor ihm war eine Frau
im roten Rock. Er löste ihren Gürtel
und riss den roten Stoff mit einem
Aufschrei nach unten, um weiter
nach vorne zu stürmen und den
nächsten Konkurrenten aus dem 
Weg zu räumen. 

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Schützende Steine
*
Es war das Jahr 62 n.Chr. Pero 
kniete auf der kargen Erde, die 
warme Sonne Pompejis im Nacken. 
Mit konzentriertem Blick stapelte 
er kleine Steine aufeinander, 
seine Finger streiften über 
ihre rauen Oberflächen. Sein 
Turm wuchs langsam, wackelig, 
aber er hielt. Ein leises 
Lächeln huschte über sein Gesicht.
Plötzlich vibrierte der Boden 
unter ihm. Erst kaum merklich, 
dann heftiger. Die Steine in 
seiner Hand erzitterten. Vögel 
stoben krächzend aus den 
Bäumen, Hunde jaulten. Ein 
dumpfes Grollen rollte durch 
die Erde, wuchs zu einem 
Brüllen heran, das in seinen 
Knochen vibrierte. Pero riss 
die Arme um seinen Kopf, als 
der Boden unter ihm aufbrach. 
Gras und Erde rissen sich los, 
schleuderten ihn in die Höhe. 
Sein Herz raste, der Wind 
peitschte ihm ins Gesicht. 
Sekunden dehnten sich in die 
Ewigkeit. Dann ein Ruck 
– plötzlich lag er wieder 
auf festem Grund, die Finger 
krampfhaft im Gras vergraben. 
Er keuchte, sein Brustkorb 
hob und senkte sich stoßweise.
Sein Blick suchte panisch die 
Umgebung ab. Alles lag in 
Trümmern: umgestürzte Amphoren, 
zersprungene Wände. Aber sein 
Turm? Die Steine standen noch! 
Unversehrt, als hätte die 
Erde nicht gezittert. Er 
blinzelte. Dann beugte er 
sich vor, berührte vorsichtig 
die Steine. Ein Gedanke formte 
sich in seinem Kopf: Wenn 
selbst das Zittern der Erde 
ihnen nichts anhaben konnte, 
dann mussten Steine eine Kraft 
besitzen, die größer war als 
das Chaos um ihn herum. 
Vielleicht – ja, vielleicht 
könnten sie nicht nur Türme, 
sondern ganze Häuser und 
Tempel vor der Wut der 
Erde schützen. Mit neuen 
Ideen wirbelte Pero auf, 
rannte durch die Gassen. Er 
musste jemandem davon erzählen. 
Die Stadt lebte, bebte, 
Menschen riefen einander zu, 
hasteten über die Straßen. 
Pero aber dachte nur an eines: 
an Steine, die jeder Gefahr 
standhalten konnten.

Abserviert

Abserviert
*
In der Traumstadt 
im "Hotel zum Gänsebraten"
muss man lange auf 
die heißen Speisen warten.
Hat man sie dem 
Regelwerk gemäß bestellt,
werden sie, gut duftend, 
auf den Tisch gestellt.
Bringt jedoch der 
Kellner Kurt das Essen,
kann man jede Aussicht 
auf Genuss vergessen.
Wenn er kommt, dann 
sind die Speisen kalt,
und sie werden lieblos 
auf den Tisch geknallt.
Wagt man es, sich 
deshalb zu beschweren,
muss man sich 
der Vorwürfe erwehren,
dass man asozial 
sei und Rassist,
weil er, Kurt, die 
Wertschätzung vermisst,
mit der man sich 
als ein Gast bewährt
und danach erst 
seine Gunst erfährt. 
Deshalb wird man 
nach dem Mahl gebeten,
dieses Haus nicht 
wieder zu betreten.

 

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Steintherapie
*
Zur Fortsetzung seiner 
Eigentherapie besuchte Pero 
regelmäßig die Steinheilerin 
Florinella Schwups. Ihre 
kleine Praxis für 
Steinheilkunde lag versteckt 
in einem Altbau an der 
Schadowstraße, wo der Duft 
von Räucherstäbchen in der 
Luft hing und Kristalle in 
Glasvitrinen funkelten.
Pero lag auf der 
Behandlungsliege. Zwei dünne 
Stäbe aus Rosenquarz ragten 
aus seinen Nasenlöchern.
„Nieg neine Nuft nehr“, 
murmelte er.
„Durch den Mund“, flötete 
Florinella. „Ganz bewusst 
ein- und ausatmen. Der 
Rosenquarz öffnet das Tor 
zu Ihren Gefühlen.“ Pero 
entspannte den Unterkiefer. 
Florinella legte ihm ein 
Tigerauge auf die Stirn.
„Dieses hier stimuliert 
die Zirbeldrüse. Manche 
sehen dabei Bilder aus 
ihren vergangenen Leben.“
Ein sanfter Druck auf 
seinem Bauch – ein 
Bergkristall. Mit jedem 
Atemzug hob und senkte 
sich der Stein. Pero 
spürte ein Kribbeln in 
den Fingerspitzen, ein 
Ziehen in der Magengegend. 
Ein leichter Schwindel 
setzte ein. Dann das Kühle, 
Kreisen auf seinen Fußsohlen. 
Der Amethyst, geführt von 
Florinellas Fingern. Erst 
sanft, dann bestimmter. 
Mit einem Mal hatte er den 
Eindruck, aus seinem Körper 
hinaus zu schießen und 
sich selbst von oben zu 
sehen. Dann entfaltete sich 
eine Szene vor seinem 
inneren Auge – scharf, 
leuchtend, real, die ihn 
plötzlich erkennen ließ, 
warum er den dringenden 
Wunsch verspürte, den 
Boden in seiner Umgebung 
mit Steinen zu beschweren.