Die
Wintersonnenwende.
Das Jahr geht
nun zu Ende. Ab morgen steigt
die Sonne auf,beginnt von Neuem
ihren Laufdurch all
die Jahreszeiten,die wir mit
ihr durchschreiten -mit Wachsen, Blühen
und Vergeh'n,um darin einen
Sinn zu seh'n.Die fernen Sterne
sind verschwunden.Künstliches Licht
flutet die Welt.Der Himmel ist
für uns verstellt,während wir jenen
Stern umrunden,der uns durch Licht
am Leben hält.Die Sternenwelt
kam uns abhanden.Sie fühlt sich von uns
nicht verstandenund zieht sich
aus der Welt zurück.Mit ihr verlieren
wir das Glück,das wir erst dann
wirklich versteh'n,wenn wir den
weiten Kosmos seh'n.
Zeitkonzept
*
Gänse, die auf
Wiesen ruh'n,
haben grade
nichts zu tun.
Kunststudenten,
die pausieren,
träumen Kunst statt
zu studieren.
Clowns, die länger
Pause machen,
bringen keinen
mehr zum Lachen.
Prediger, die
sich verspäten,
brauchten Zeit,
um fromm zu beten.
Jeder nutzt
auf seine Weise
die geschenkte
Zeitenreise
durch die
kostbare Natur,
abzulesen
an der Uhr,
die man, falls sie
zu schnell tickt,
zu 'nem
Uhrologen schickt.
Lebensglück*Das Leben ist
ein großes Glück.Einmal vorbei,
kommt's nicht zurück.
Sei weise,
nutze deine Zeit.Sie steht nur jetzt
für dich bereit.
Wer tätig ist,
greift nach der Welt,die er in seinen
Händen hält.Der andere
schaut träge zu,denn er hat
lieber seine Ruh'.
Zukunftsvision*Die Schmerzen sind
verschwunden.Ich scheine
zu gesunden.Das Wunder, das
die Welt erschafft,gibt mir ein
wenig neue Kraft.Es will wohl,
dass ich bleibeund weiter
Verse schreibe.So setze ich
mich täglich hinim Glauben an
den tiefen Sinn,der diese Welt
zusammenhält,auch wenn sie ab
und zu zerfällt.Das Chaos ist
stets der Beginnzu einer neuen
Ordnung hin,die sich der
Geist von Anfang anals nächsten Schritt
der Welt ersann,in dem das Leben
sich entfaltetund sich auf
neue Art gestaltet.Aus Furcht vor
der Veränderungblieben wir lieber
immer jungund klammern uns
an altes Denken.Das Leben will uns
Zukunft schenken.Doch die werden
wir nur erleben,wenn wir das Alte
aufgegeben.
Einsamkeit
*
Die Einsamkeit
ist nicht beliebt,weil es zu
viele davon gibt.So kommt es, dass
man sie vermeidet,aus Angst, dass man
darunter leidet.Wäre sie einmalig
und selten,würde sie als
unschätzbar geltenund jeder sähe
mit Respekt,die große Kraft,
die in ihr steckt.Ihr Einfluss hilft
in allen Fällen,uns jener Innenwelt
zu stellen,die uns von jedem
Zwang befreit.Durch schonungslose
Offenheitzeigt uns die
Einsamkeit die Weltdes Geistes, klar
und unverstellt.
Ein Lappen
voller Licht*
Ich schlüpfe in die
knappen Schlappenund will mir einen
Lappen schnappen,mit dem ich Staub
und Schmutz vernichte,indem ich reine
Verse dichte.Mit denen wische
ich die Ecken,in denen Ängste
sich verstecken,wir könnten das
Problem nicht lösenund lieber müde
weiterdösen.Die Verse, ganz
aus Licht gemacht,tragen Vertrauen
in die Nachtwachsender
Hoffnungslosigkeit.So werden wir
zur Tat bereit.
Leuchtturmwärter
*
Die Nähe ist
ein scheues Reh,das ich nur
aus der Ferne seh'.Allein zu sein,
ist mir vertraut.Darauf ist
meine Welt gebaut.Ein Turm, der
Sicherheit verspricht,erlaubt sich
Busenfreunde nicht.Der kühle Wind
streicht um das Hausund pfeift: "Es macht
mir gar nichts aus!"Nur manchmal in
der dunklen Nachtwird in dem Leuchtturm
Licht gemacht.In dessen tröstlich
warmem Scheinschläft der Bewohner
dankbar ein.
Zusammengeschraubt
*
Wer hat mein
linkes Auge klaut,das nicht mehr aus
dem Kopf 'raus schaut?Wer nahm mir
meine rechte Hand,die dann nichts mehr
zum Tasten fand?Mein Fuß kann weder
geh'n noch steh'n.Ich kann mich nicht
mehr laufen seh'n.Mein Mund
spricht nichtund leis'
zerbrichtder alte Körper,
der ich bin.Sieht jemand einen
Sinn darin?Doch plötzlich wächst
ein neues Beindurch Zauberei
in mich hinein.Aus einem Auge
werden zwei.Bekam ich eines
vom Verleihder Lebenskraft,die Neues schafft?Bald lauf ich wieder
durch die Welt,weil mir das
Laufen so gefällt,tanz' froh, denn das
ist Gottes Wille,durch diesen weiten
Raum der Stille,der alle Wunder
möglich macht,die sich noch
niemand ausgedacht.
Den Geist stimmen
*
Wenn uns jemand freundlich
betrachtet oder anlächelt,
reagieren wir erfreut –
meistens jedenfalls.
Auch die Erinnerung
an eine solche Begegnung
kann angenehme Empfindungen
in uns auslösen.
Auf die gleiche Weise lässt
unser Geist-Gehirn-System
positive Gefühle entstehen,
wenn wir uns vorstellen,
dass uns jemand freundlich
begegnen wird.
Unsere Erwartungen, verbunden mit
unserer Vorstellungskraft,
können also angenehme wie auch
unangenehme Zustände hervorrufen.
Wenn ich mich häufig mit negativen
Erwartungen beschäftige
oder mich immer wieder an
unangenehme Situationen erinnere,
wird mein Geist-Gehirn-System
diese Gefühlsfärbung übernehmen.
Umgekehrt kann die Vorstellung
erfreulicher Erlebnisse –
etwa ausgelöst durch eine
Szene in einem Buch –
eine positive Grundstimmung
in mir entstehen lassen,
unabhängig davon, wie realistisch
diese inneren Bilder sind.
Ideale können schädlich sein. Sie sind Vorstellungen, auf die
wir uns zubewegen können,
aber sie sind nicht die Realität.
Wenn wir glauben, wir oder die Welt
müssten hier und jetzt dem Idealbild
entsprechen, kann das Mutlosigkeit und
Frustration erzeugen.Noch problematischer wird es, wenn
Ideale die Sicht auf das Leben
und andere Menschen vergiften –
etwa dann, wenn wir annehmen, wir
hätten diese Ideale bereits erreicht
und seien dadurch besser als
diejenigen, die diese „Ideale“
(noch) nicht verwirklicht haben.
In den Händen von
Religionsgemeinschaften
können Ideale zu einer gefährlichen
Waffe werden: Sie können genutzt
werden, um andere Menschen
auszugrenzen und die Mitglieder der
Gemeinschaft zu manipulieren.