Die Luft muss raus

Die Luft muss raus

Die Luft, die sich im Bauch
des Patienten befindet,
weiß nicht, wie sie
den Ausgang finden soll. Sie wandert umher,
stößt an Darmwindungen,
klopft an den Magen,
lauscht den Geräuschen
des Krankenhauses –
Infusionstropfen,
Schritttempo der Pflegerin,
das Summen des Kühlschranks. Der Patient indes hebt
ein Bein, dann das andere,
dreht sich halb,
verknotet sich fast,
und hofft, die Schwerkraft
möge diesmal mit ihm sein. Ein leises Glucksen –
ein falscher Alarm.
Dann wieder Stille,
nur sein Atem,
flach und vorsichtig,
wie ein Ballon,
der nicht platzen darf. Er denkt an Yogameister,
die im Lotussitz
Leichtigkeit atmen,
und fühlt sich stattdessen
wie ein gestrandeter Wal,
der die Erleuchtung
durch Pupsen sucht. Die Luft bleibt.
Vielleicht wartet sie
auf den richtigen Moment,
einen kleinen Sieg,
ein Lachen,
das den Weg freigibt.

 

Nahrungsaufnahme

Nahrungsaufnahme
*
Der Patient wurde 
inzwischen operiert
und soll nun für 
die Nahrungsaufnahme
vorbereitet werden.
Das Problem ist jedoch,
dass die während des Eingriffs 
in den Bauch gepumpte Luft
nicht ohne Weiteres
entweichen kann.
Dadurch bleibt der 
Bauch aufgebläht -
der Patient sieht fast aus 
wie ein Walfisch.
Also müssen die Brötchen
durch den Infusionsschlauch.

 

OP-Vorbereitung

OP-Vorbereitung
*
Der Patient 
wird narkotisiert. 
Ein Schlauch wird 
in die Luftröhre 
eingeführt, 
um ihn zu beatmen. 
Anschließend werden 
drei kleine Öffnungen 
in die Bauchdecke gemacht. 
In diese werden 
Schläuche eingeführt. 
Durch einen der Schläuche 
wird Luft in den 
Bauchraum gepumpt,
bis er sich wölbt 
wie ein Luftballon. 
Durch die 
anderen Öffnungen 
wird die Operation 
durchgeführt. 
Es wird getan, 
was getan werden muss.

Krankenhaus

Krankenhaus

Ich liege im Bett.
Aus der Nase
kommt ein Schlauch.
Außen am Schlauch
hängt ein Beutel.
In ihn fließt Flüssigkeit
aus dem Magen. In einem
anderen Schlauch,
der ebenfalls
in einem Beutel endet,
fließt Blut
aus einer inneren Wunde. In der Armbeuge
des rechten Arms
befindet sich ein Zugang
zu den Arterien,
in den eine Infusion
hineinläuft. Der Arzt kommt
zur Visite.
Er sagt, ich soll
mich viel bewegen
und herumlaufen.

Der Gedankenpanzer

Der Gedankenpanzer
*
Ein Schild aus 
vertrauten Gedanken
verhindert, dass 
Weltbilder schwanken.

Gedanken sind Worte, 
dicht unter der Haut,
mit denen man sich 
seine Ansichten baut.

Dort hinter der Stirn,
gleich unter dem Hirn,
strickt man Laut für Laut,
fürs Leben gebaut -
die Worte, mit denen 
man Urteile festigt
und damit den Freund 
und die Freundin belästigt.

Doch sind die Gedanken 
denn wirklich das Leben?

Was ist, wenn sie uns 
aus der 
Wirklichkeit heben
und uns daran hindern, 
das Wahre zu sehen -
das wir nur durch 
sinnliches Leben 
verstehen.

Der Kummerpanzer

Der 
Kummerpanzer
*
Kein Licht dringt 
durch die Nebelwand,
die er als Schutz 
für sich erfand.
Die Welt ist ihm 
ein weites Meer
grausamer Taten, 
öd und leer.
"Der Mensch ist schlecht!" 
so denkt er still,
schottet sich ab, 
weil er es will.

Verzweiflung wächst 
in seiner Pein,
und mauert Herz 
und Hoffnung ein
Ein Panzerschild, 
aus Gram gemacht,
raubt ihm so 
seine Lebenskraft,
weil er ein Netz 
aus Kummer spann,
durch das kein Licht 
mehr dringen kann.

Der Lächelpanzer

Der Lächelpanzer
*
"Nur die Ruhe! 
Alles gut!"
ruft die Tante 
mit dem Hut.
"Keine Sorge! 
Alles prima!"
So wahrt sie 
ihr gutes Klima.

Über strahlend 
weißen Zähnen
sah noch niemals 
jemand Tränen.
Lächeln ist ihr 
Abwehrschild,
mit dem sie 
den Ärger killt.

Zorn wird trotzig 
weg gelächelt,
Wut im Bauch 
hinab gehechelt.
Ist das Leben 
krumm und schief,
lügt sie, es 
sei positiv.

Doch im Bauch 
sammelt sich Wut,
brodelt auf 
in heißer Glut,
bäumt sich auf 
und ist gekränkt,
wird im Alkohol 
ertränkt.

Selbstbetrug 
wird zur Methode,
denn es ist 
die neue Mode,
mit der man der 
Welt entflieht,
wenn sie trüb und 
grau aussieht.

Die Flicken des Lebens

Die Flicken 
des Lebens
*
Der alte Mann hat 
sie geschickt
mit Stoff und Faden 
fein geflickt.
Die Jacke, die 
am Haken ruht,
erzählt von Liebe, 
Leid und Mut.

Der Flicken auf 
dem linken Arm
verkündet bunt und 
mit viel Charme
von jener Zeit, 
da er, noch jung,
dem Tanz verfiel 
in frohem Schwung.

Ein Schulterstück 
aus grauem Tuch
erinnert ihn 
an den Besuch
von Krankheit, Tod 
und Heilungskraft,
die ihm mehr Lebenszeit 
verschafft.

Am Kragen leuchtet, 
rot und zart,
ein Herz, geschmackvoll, 
warm und zart,
das ihn an jene 
Liebe mahnt,
die sich unmerklich 
angebahnt.

Er liebt die 
aufgenähten Läppchen,
denn jedes ist ein 
kleines Häppchen,
kostbarer Bissen, 
Stück für Stück,
hier aufgenähtes 
Lebensglück.

Der vertriebene Poet

Der 
vertriebene 
Poet
*
Er ist von sich 
selber begeistert,
denn er hat sein 
Leben gemeistert.
Ab jetzt gilt es 
nur noch, zu sterben
und sich den 
Verdienst zu erwerben,
hinauf in den 
Himmel zu kommen
wie alle die 
anderen Frommen.

Man sieht ihn die 
Leiter erklimmen.
Schon hört er der 
Engelein Stimmen,
die rufen, "Mach dich 
bloß vom Acker,
du tagtäglich 
dichtender Racker!"
Wonach sie ihm 
lauthals verkünden,
er sei viel zu schwer 
durch die Sünden,
die er auf der 
Erde geschrieben.
Deshalb hat man 
ihn fortgetrieben.

"Erst wenn du sie 
rückläufig dichtest
und sie dadurch 
wieder vernichtest,
öffnet sich die 
himmlische Pforte
durch deine 
verschwundenen Worte!"

Ein kluger Kopf

Ein kluger 
Kopf
*
Er glaubt, sein 
Horizont sei weit
und hält sich 
deshalb für gescheit.
Doch sein Gesichtsfeld 
ist verengt.
Darum hält man 
ihn für beschränkt.

Wie man sich 
seine Meinung baut,
hängt davon ab, 
wie weit man schaut.

In meinem Kopf 
macht alles Sinn.
Ich kenn mich 
mit dem Leben aus,
weil ich ein kluges 
Köpfchen bin.

Doch leider mach 
ich nichts daraus.