In den Dünen

Der Schuh lag vor mir im Sand. Er hatte ein Loch,
vorne an der Stelle, wo sich normalerweise der
große Zeh befand. Jemand musste den Schuh verloren
haben. Der Wind wehte vom Meer herüber. Ich genoß
die nach Salz schmeckende Seeluft. An einigen Stellen
in den Dünen wuchs Gras, kleine, wilde Büschel, von 
denen einige Blüten trugen. Ich ging sehr langsam.
Was hinter mir lag, wollte ich vergessen.
Ich richtete meine Augen nach oben in den blauen 
Himmel und beobachtete die Möwen, die kreischend 
ihre Kreise zogen. Plötzlich stolperte ich und fiel
nach vorne in den Sand. Meine Brille rutschte mir
von der Nase und ich musste nach ihr tasten.
Meine Hände berührten ein nacktes Bein und dann
fand ich die Brille.
Ich setzte sie zurück auf die Nase und betrachtete
das Bein. Es war ein mit blonden Härchen bedecktes 
Bein, das wie Gold in der Sonne schimmerte. Das
Bein bewegte sich und der junge Mann, dem das Bein
gehörte, murmelte wie im Halbschlaf, ob alles gut 
wäre. Gar nichts war gut. Nein. Überhaupt nichts
war gut. Aber das wollte ich ihm natürlich nicht 
sagen. Ich legte mich neben ihn, drehte meinen Rücken
in seine Richtung und rollte mich zusammen wie ein
Embryo. Ich hätte gerne seinen fragenden Blick gesehen,
aber so, wie ich lag, war das unmöglich.
Zu meinem Erstaunen legte er einen Arm um mich und
rutschte etwas näher an mich heran.
"Aber was ist mit dem Schuh?" fragte ich. "Er hat ein
Loch vorne am Zeh!"
"Den hol ich mir später wieder zurück."
Der junge Mann lachte. Dabei schüttelte sich sein
ganzer Körper und ich wurde auch durchgeschüttelt.
Da war ich schon ein bisschen weniger traurig.
"Finden Sie es nicht seltsam, dass wir hier so 
liegen?" fragte er.
"Ja, eigentlich schon." antwortete ich.
"Aber es fühlt sich gut an."
"Ja, das tut es." sagte er und kraulte meinen Nacken,
so wie man einen Hund oder eine Katze berührt.
Er wusste nicht, wie verzweifelt ich war, tat
aber instinktiv das Richtige.
Menschen, die Selbstmord begehen wollen, brauchen
manchmal nur etwas Körperkontakt.
Als wir uns trennten, ging die Sonne unter und
ich beschloss, mir einen Tee zu machen.
Darum ging ich nach Hause.  
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