Wann ist der Mann ein Mann?
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Der Typ in der Glotze gefiel mir. Er hatte breite Schultern,
schmale Hüften und schoß auf alles, was ihm den Weg versperrte.
So wollte ich sein. Ich hatte es satt, dass alle mit mir den Larry
machten und mich an die Seite schoben. Schon als Kind tanzten die
anderen mir auf der Nase herum und schubsten mich in den Graben.
Ich wollte so werden wie er und übte vor dem Spiegel, so männlich
zu gehen, als hätte ich einen Colt an der Seite hängen.
"Musst du zum Klo?" fragte meine Oma mich.
"Nein! Ich übe, ein Mann zu sein!" antwortete ich und verdrehte
die Augen. Sie verstand aber auch gar nichts.
Ich lief auf dem Hof herum und versuchte, meine Schultern breiter
zu machen, indem ich tief einatmete und die Luft anhielt.
"Du platzt gleich!" rief Tante Ellie mir vom Nachbargrundstück zu,
wo sie gerade weiße Wäsche mit bunten Klammern an der Leine befestigte.
Alte Frauen hatten keine Ahnung davon, was wirklich wichtig war im
Leben. Aber das behielt ich natürlich für mich.
Ich zog den Bauch ein und versuchte, gespannt wie ein Flitzebogen,
über die Straße zu schreiten. Hanno stellte mir ein Bein. Ich fiel
auf den Asphalt und meine Nase blutete.
"Wenn du ein Mann werden willst, musst du dich abrollen können,
so weich wie Butter!" sagte er.
"Sonst zerbrichst du wie Eis!"
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Wann ist der Mann ein Mann?
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