Die Schuld entstand durch Ungeduld

Wer hat dies Wunder nur ersonnen?
Ein Kokon, der, ganz zart gesponnen,
dort an dem Zweig am Baume klebt,
hat sich von ganz allein bewegt.

Ein Loch in dieser feinen Wand
berühre ich mit meiner Hand
und hauche warme Luft hinein.
Mein Atem wirkt wie Sonnenschein.

Ein Schmetterling kämpft sich hinaus.
Ich atme jetzt mehr Wärme aus
und treibe das Insekt so an,
damit es früher fliegen kann.

Die Ungeduld hat mich verleitet.
Ein Umstand, der mich oft begleitet.

Anstatt zu helfen, seh' ich nun:
Ich drängte ihn zu einem Tun
für das er noch nicht vorbereitet.
Die Flügel sind nicht ausgebreitet
und er verkümmert, weil ich Tor,
wie oft schon, die Geduld verlor.

Das Morgenritual

Ein Ritual zur Morgenzeit 
bringt Ordnung in die Endlichkeit.
Damit der Tag erfrischt beginnt,
klärt es die Richtung, die er nimmt.

Das morgendliche Ritual
darf Freude sein. Ganz ohne Qual
nimmst du so Anlauf für den Tag,
damit er dir gelingen mag.

Das Ritual sei immer gleich.
Durch die Beschränkung wirst du reich.
Es stärkt den Willen ohnegleichen.
So kannst du jedes Ziel erreichen.

Einladung zum Essen

Kartoffeln werden geschält,
Gemüse geputzt,
ein Braten in den Ofen geschoben.
Der Tisch wird gedeckt.
Kerzen werden angezündet.

Golden leuchtendes warmes Licht
durchflutet den Raum.

Gäste werden begrüßt.
Stühle werden gerückt.
Das Essen wird aufgetragen.
Teller werden bestückt.

Besteck klappert,
kratzt geräuschvoll
auf Porzellan.

Kiefer werden 
in Bewegung versetzt,
Geschmacksknospen aktiviert.

Zungen kreisen über Lippen.

Gespräche werden vermieden.
Gläser werden gehoben.
Wein wird getrunken.

Man prostet sich zu.

Der Köchin wird gedankt.
Der Besuch wird verabschiedet.
Erleichterung macht sich breit.

Ein Gedicht aus Blech

Es hat unfassbares Pech
und wird plattgewalzt zu Blech.
Bis zu diesem Wechselsfall
war es kraftvolles Metall.
Doch man konnte es verformen.

Weil es alles werden kann,
fügte es sich keinen Normen
und war weder Frau noch Mann.

In dem Walzwerk plattgepresst,
fühlt es sich enorm gestresst.
Das Gedicht steht deshalb stumm
ungelesen hier herum,
hat darüber nachgedacht,
warum man es platt gemacht.


Gedichte aus Blei

Weil er sich traute,
bleischwere Laute
in Dichtung zu weben,
schenkte er
toter Materie
Leben.
Er sah:
die Materie
ist gar nicht tot.
Dass Alles erwachte,
war Gottes Gebot!
So wurden die 
bleischweren Laute zu Gold,
so wie es die 
Göttin des Lebens 
gewollt.

Gedichte aus Eisen

Herr Baldemar schmiedet Gedichte aus Eisen, 
die scharf auf die Härte des Lebens verweisen. 
Ein jeglicher Leser, der neugierig kostet, 
erfährt durch die Dichtung, dass jeder einst rostet. 
Denn nichts hat Bestand in der flüchtigen Welt. 
Für diese Gedichte bekommt er sein Geld. 

Er hängt die Gebilde an Fläche und Wand, 
die Botschaft verbreitend in unserem Land, 
dass nur, wer sein Leben in Gänze gelebt, 
sich später gelassen zum Himmel erhebt, 
um wie altes Eisen 
dahin zu verreisen, 
woher er gekommen. 

Dies gilt für uns alle, 
denn nicht nur die Frommen 
werden im Leben durch Krisen geschmiedet 
und durch die Probleme gekocht und gesiedet, 
damit sie am Ende  
die friedlichen Hände 
des Engels ergreifen.
In jeglichem Falle 
heißt Leben: zu reifen. 
Darum sei Herr Baldemar dafür gepriesen, 
denn er hat uns so auf den Tod hingewiesen.


															

Tatsachen

Ein Bett wurde verlassen.
Ein Frühstück wurde verschlungen.
Eine Zunge wurde 
vom Kaffee verbrannt.
Zähne wurden geputzt.
Ein Körper wurde gewaschen 
und mit Kleidung bedeckt.
Eine Strasse wurde betreten.
Ein Auto wurde übersehen.
Knochen wurden gebrochen.
Ein Krankenwagen wurde gerufen.
Sirenen wurden eingeschaltet.
Ein Krankenhaus wurde erreicht.
Ein Verband wurde gewickelt.
Sauerstoff wurde gereicht.
Rippen wurden gepresst.
Ein Schrei wurde gehört.
Polizei wurde gerufen.
Ein Arzt wurde angeklagt.
Ein Behandlungsfehler 
wurde genehmigt.
Ein Patient wurde 
beschuldigt.
Eine Spritze wurde gezückt.
Schreie geschrien.
Eine Flucht wurde unternommen.
Ein Roller wurde geklaut.
Haare wurden vom Wind zerzaust.
Die Stadt wurde verlassen.
Ein Wald wurde erreicht.
Tiere wurden verscheucht,
Eichhörnchen auf Bäume gejagt.
Sträucher wurden niedergedrückt,
Beeren zerquetscht,
Pilze vernichtet.
Ein Verband wurde verloren.
Blut wurde
in die Landschaft getropft.
Ein Körper wurde
wieder zu Erde.

Guten Morgen?

"Guten Morgen!" "Guten Morgen?"
Ich bin mehr für GUTE NACHT!
Denn der Tag macht mir nur Sorgen,
bin ich erst mal aufgewacht.
Gähnen muss der faule Dichter.
Die Gedichte werden schlichter.
Sind die Augenlider schwer,
klappt das Dichten nicht so sehr!

Ich muss mich wohl erst mal waschen
und an Kaffeebohnen naschen.
Fehlt es mir an Wortgepäck,
fällt die Dichtung in den Dreck.
Schwer ist so ein Dichterleben.
Niemand will mir etwas geben
für die schöne Poesie.
Reich werd' ich so sicher nie.

Doch es gibt die Wachschlafsiege,
wo ich sie zu fassen kriege:
die gelobten, klugen Worte,
die ich dann im Stammhirn horte.

Dort sind sie dann abrufbar:
Jederzeit! Und wunderbar
freu ich mich an bunten Reimen,
die entsteh'n aus Silbenkeimen.
Großartig ist dies Gedicht!
Vorher wusste ich das nicht!