Die Mondfrau

Stücke des Vollmonds fallen herab und verwandeln sich in eine
milchige Flüssigkeit, die von den Bäumen herabtropft. Die
Tropfen sammeln sich in einer Lache und fließen in einem Tümpel
zusammen, aus dem sich das Mondweib erhebt und ihr bleiches Gesicht
dem Mond zuwendet. Sie beginnt sehnsuchtsvoll zu heulen wie ein
Wolf, aber der Mann im Mond ist nicht zu sehen.
Die Last auf seinem Rücken hat ihn auf die Erde hinabgedrückt.
Das Mondweib muss ihn nun suchen.
Es duftet nach Pfefferminz. Der charakteristische Duft der
Mondfrau vermischt sich mit dem Geschmack von Vanille.
Es keucht im Gebüsch. Zweige knacken und Blätter rascheln.
Ein verwitterter Unterstand, in dem die Mondfrau sich verkriechen
kann. Das MIAOU einer Katze, die jammert. Ein Hund, der den Mond
anheult: HOOOUUUU HOOHUUÜÜIIIII.
Die Mondfrau macht sich auf den Weg.

Die Zeit bleibt steh’n

Die Zeit bleibt steh’n,
Sie kann nicht mehr geh’n.
Wie eingefroren kühl im Eis
steh’n Zeiger ohne Zeithinweis.
Im leeren Raum schwebt der Moment.
Die Ewigkeit, die keiner kennt,
jetzt seh’n zu lernen ist ein Muss
durch diesen Zeit-bleibt-stehen-Beschluss.
Weil sich die Zeit ab jetzt verweigert
wird die Zeitlosigkeit gesteigert
und alle bleiben unverletzt
im Hier und Jetzt.

Die Scheuklappen kappen

Die Scheuklappen kappen.
Den Blickwinkel weiten.
Sich vorzubereiten,
um friedlich zu streiten.
Das schmale Gesichtsfeld nicht länger verengen.
Die Grenzen der Wahrnehmung deutlich zersprengen.
Anstatt sich blindwütig zerstörend zu hassen,
nach Lösungen suchend die Hände erfassen.
Sich Sicherheit suchend ins Auge zu schauen.
Versuchen zu lernen, einander zu trauen.
Statt Kriege zu führen,
einander zu spüren.
Den Lebewesen wohlwollend begegnen
und mutig beschließen,
sie alle zu segnen.

Die Lust sei mit Allen

Lutschen und Lecken.
Die Haut so entdecken.
Ein Reiben, ein Schmiegen.
Sich halten und wiegen.
Ein Schnuppern, ein Riechen.
Sich in sich verkriechen.
Sich drücken und spüren.
Sich zärtlich berühren.
Sich achtsam liebkosen
im Duft zarter Rosen.
Sich achtsam verwöhnen
im Wimmern und Stöhnen.
Einander erkunden.
Sich strecken, sich runden.
Sich sinnlich erleben.
Erschauern. Erbeben.
Sich lustvoll breit weiten.
Ein Schreiten, ein Gleiten.
Ein lautes Zerfließen
in Strömen vergießen.
Entspannt einfach fallen
und wohlwollend Lallen:
„Die Lust sei mit Allen!“

Monsieur Töff Töff lernt meditieren

Monsieur Töff Töff lernt meditieren.
Er möchte seinen Geist trainieren
und spricht :“HUNG PEME MANI OM!“
Denn das erfrischt und macht ihn fromm.
Auf einem Kissen, ganz aus Schaum,
sitzt er und fliegt durch Zeit und Raum.
Bilbo, sein Freund, ist irritiert,
weil bei dem Vorgang nichts passiert.
„Du sprichst die Silben falsch herum!
Es heißt OM MANI PEME HUNG!“
wird Töff Töff streng von ihm belehrt.
Das, was Töff tat, war wohl verkehrt.
So ändert er die Silbenreihe,
damit er seinen Geist befreie.
Doch kaum spricht er das Mantra richtig,
wird sein Geist plötzlich schwer gewichtig
und aus der Höhe seines Schwebens
stürzt er zurück in dieses Lebens
Realität, die ihm beweist:
Man findet ihn nicht, diesen Geist,
hält man sich an bekannte Regeln.
Will man mit seinem Geiste segeln,
muss man ihm völlig neu vertrauen
und nicht auf alte Formeln schauen.
„HUNG PEME MANI OM OM OM!“
lacht er und fliegt beglückt davon.

Herbst und Regen

Blätterrauschen,
Bäumeknarren,
Vögel, die im Baum verharren,
Äste, die im Wind sich wiegen,
Krähen, die auf Zweigen liegen
und sich faul die Flügel kratzen,
ohne Angst vor wilden Katzen.
Eichhörnchen, die sich sanft putzen-
Elstern, die das Laub beschmutzen
und mit ihrem frechen Keckern
über Wind und Regen meckern.
Donner blitzen und besiegen
so den sommerlichen Frieden,
während Regentropfen platschen
und laut auf den Boden klatschen.
Reife Nüsse, fallen, kullern-
Wolken, die ihr Wasser strullern.
Sturm, der an den Bäumen rüttelt,
Krähen, Elstern, Hörnchen schüttelt,
bis sie von den Bäumen fallen
und hart auf die Erde knallen.
Seht nur, wie der Sommer endet
und die Wetterfront sich wendet.
Bald ist Herbst und wir genießen
welkes Laub an uns’ren Füßen.

Lob der Gymnastik-3

Ganz gezielt in jede Rippen stippen
und dabei nicht aus den Latschen kippen!

Bloß nach hinten nicht und nicht nach vorn,
denn dann fällst du und dir wächst dort vorn ein Horn!

Auf der Stelle traben , beide Arme schwingen,
mit den Fersen trippeln und dabei laut singen!
Das ist sehr gesund und hier so Brauch,
stärkt die Lungenflügel und das Zwerchfell auch.

Wer den Körper täglich tüchtig züchtigt,
seine Muskeln stärkt und so ertüchtigt,
macht sein Leben länger um genau die Zeit
die ihm täglich für das Turnen dann noch bleibt.

 

Wiederholungen

Tatsächlich erfordert die Tat meinen Rat.
Ich riet ihm deshalb, weil er mich darum bat.

Tatsächlich bin ich ziemlich gut im Betrügen
und gebe es zu: „Es sind alles bloß Lügen!“

Tatsächlich ergibt sich aus alledem hier:
„Ich bin nicht dagegen und auch nicht dafür!“

Kurz und knapp

Flasche auf dem Tisch.
Rot und rund.
Fällt.
Klirrt.
Zersplittert.
Grüne Flüssigkeit fließt
über den grauen Grund.
Ein Hund
leckt sie auf.
Doch gleich darauf
kippt er zur Seite
wie hölzerne Scheite,
die ihren Halt verlieren.
Und alle Viere
seitlich gestreckt,
rutscht er über den Flur
gegen die tickende Uhr,
die haltlos
gegen das Tischbein knallt.
Hier, mitten im Wald,
rutscht die Flasche
dadurch vom Tisch,
ganz frisch
und rot und rund.
Klirrt und zersplittert.
Ein Hündchen wittert
das kühle Grün
und will sich bemüh’n,
es aufzuschlecken,
um zu entdecken,
dass die kurze Geschichte
jetzt einfach kippt
und es nichts weiter
zu lesen gibt.

Kisten öffnen

Eine Schreibaufgabe, die ich sehr liebe, besteht aus der Phantasie,
dass man eine Kiste öffnet, in der sich etwas befindet, das man auch
wieder öffnen kann.
(Die Zeilen müssen sich eigentlich nicht reimen, aber mir gefiel es so.)
Die Aufgabe erinnert mich an diese russischen Puppen (Matrjoschka),
die ineinander verschachtelt sind. Hier ist ein Beispiel:
Ich öffne eine Kiste und darin ist eine Kerze.
Ich öffne die Kerze und finde drei Scherze.
Ich öffne die Scherze und darin ist ein Clown.
Ich öffne den Clown und darin ist ein Schauen.
Ich öffne das Schauen und finde Vertrauen.
Ich öffne das Vertrauen und finde das Glück.
Ich öffne das Glück und finde die Seele.
Ich öffne die Seele und finde ein Licht.
Ich öffne das Licht und finde mein Gesicht.
Ich öffne das Gesicht und finde einen Turm,
der groß ist und stark und der leuchtet im Sturm.
Ich öffne den Turm und ich finde die Treppe.
Ich öffne die Treppe und finde dort Raum.
Ich öffne den Raum und finde dort Weite
die ich nun vertrauensvoll mutig durchschreite.
Ich öffne die Weite und breite mich aus.
Ich öffne die Weite und finde ein Haus.
Ich öffne das Haus
und dort finde ich Fenster,
die ich weit und breit öffne
und dann flieg‘ ich hinaus.