Nachgedichtet (Herbststimmung von R.M.Rilke)


In meinem Sterbezimmer ist die Luft noch lau.
Sie steht fast still und ich weiß ganz genau,
dass ich verlöschen werde wie die blasse Kerze
und all das, was noch blieb, sehr gern verschmerze.

Das Regenwasser will, sanft röchelnd, jetzt verrinnen
und in der Tiefe meines Herzens, dort ganz innen,
halte ich einen Rückblick und mach Leichenschau.
Die Haut ist welk geworden und die Haare grau.

Ich bin nicht immer so ein alter Mann gewesen.
Das geht wohl allen so, hab ich einmal gelesen,
weil ja für jedermann die Zeit stets weiterschreitet.
Wie einen Plan hab ich mein Leben ausgebreitet

und kann die Räume alle vor mir sehen,
die ich passierte, einfach so, beim Gehen. 
Ich will nicht traurig sein, denn so viel Glück,
kam zu mir, ging und kam nicht mehr zurück.

Ich bin so dankbar, dass dies alles bei mir war
und fand mein Leben einfach wunderbar.
Sogar die vielen, kummervollen, dunklen Stunden,
halfen der kranken Seele zu gesunden

und frei zu werden von dem alten Ich.
Es erst zu bauen, musste sicherlich
ganz wichtig sein, um in der Welt zu leben.
Nun bin ich froh, es wieder herzugeben.

Hingebungsvoll will ich ins Nichts zerfließen
und niemals mehr wird etwas mich verdrießen.

*

Der Impuls zu diesem Gedicht kam von Rainer Maria Rilke:
Herbststimmung

Die Luft ist lau, wie in dem Sterbezimmer, 
an dessen Türe schon der Tod steht still; 
auf nassen Dächern liegt ein blasser Schimmer, 
wie der der Kerze, die verlöschen will.

Das Regenwasser röchelt in den Rinnen, 
der matte Wind hält Blätterleichenschau; - 
und wie ein Schwarm gescheuchter Bekassinen 
ziehn bang die kleinen Wolken durch das Grau.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Erntedankfest 3.10.2021

Erntedankfest 3.10.2021
*
Was unser Leben fruchtbar macht,
liegt nicht allein in unsrer Hand.
Wir lassen gerne außer Acht,
wodurch das Leben einst entstand.
(Es war gewiss nicht der Verstand)

Stolz blendet uns und wir vergessen,
dass wir ohne Natur nichts essen
noch trinken könnten ohne sie.
Sie zu besiegen, hieße, sie
zu töten und uns zu vernichten.
Ich möchte diese Verse dichten,
um Gott zu danken für die Gaben,
die wir durch ihn erhalten haben.

Auch bitte ich um Fröhlichkeit
und bin allzeit dazu bereit,
mich an von ihm geschenkten Gaben,
 erneut und immerzu zu laben.
Von Ewigkeit zu Ewigkeit
bin ich zur Schlemmerei bereit
und sage herzlich danke! Kuss!
Dein gern verwöhnter Julius.

Plötzlich ist die Sonne da

Plötzlich ist die Sonne da
*
Auf einmal ist dort die Sonne zu sehen:
hinter dem Hochhaus am Horizont.
Wie eine strahlende Apfelsine, 
hängt sie hell am blauen Himmel
und sieht so wunderbar harmlos aus,
bevor sie die Blätter am Baum versengt,
die in ihrer Hitze verglühen. 


 

Das Buchregal

Zwar sind mir Bücher ganz egal.
Doch lobe ich mein Buchregal.
Zufällig konnte ich entdecken:
ein Buchregal dient vielen Zwecken.
Es stützte meine Zimmerdecke
in der verstaubten Zimmerecke,
die fast auf mich herniederkrachte,
weil Monsieur Töff ne Party machte,
zu der sehr viele Gäste kamen
und sich nicht gerade gut benahmen.
Sie trampelten wild über mir,
tanzten die Nacht bis gegen Vier
und endeten zu guter Letzt
betrunken und ganz leicht verletzt,
nachdem der Tanzboden zerbrach
und jedermann darüber sprach,
dass nur mein Buchregal sie stützte
und darum endlich etwas nützte.

Ein Gedicht ist brilliant

Ein Gedicht ist brilliant,
aber völlig unbekannt.
Unbekannt ist auch der Dichter.
"Leider! Ja, so ist es!" spricht er.
Aber trotzdem bleibt er heiter
und schreibt unverdrossen weiter.

Ketchup fließt wie rotes Blut


Ketchup fließt wie rotes Blut
und tut meinem Bauch nicht gut.
Habe ich zuviel gegessen,
kann ich diese Nacht vergessen,
wälze dick mich und her,
und mit Schlaf geht gar nichts mehr.
Hätte ich Salat gemacht,
wäre ich ganz frisch erwacht.
Achtet darum auf die Speise,
die ihr abends zu euch nehmt.
Seid besonnen und wählt weise
was auf dem Menüplan steht.

 

Ein Gedicht wird ausgebrütet

Ein Gedicht wird ausgebrütet.
Warm in einem Nest behütet,
wurde es zuerst erfunden
und danach in vielen Stunden,
kreativ und schweißgepeinigt,
ausgepellt und dann gereinigt.
Doch der Dichter merkt erstaunt:
Jemand hat es ausposaunt!
Weil er es erst grob skizzierte
und es sich deshalb genierte,
hat sich das Gedicht versteckt.
Doch es wurde ausgeheckt.
Jemand hat es abgeschrieben
und schien es zunächst zu lieben,
fühlte sich jedoch geblendet
und hat sich dann abgewendet.
Ganz allein auf weiter Flur,
fühlte es sich einsam. Nur
hat es dort für sich entdeckt,
was noch alles in ihm steckt.
Von Erwartungen befreit,
ist es nun dazu bereit,
seine Freiheit zu genießen
und beginnt entzückt zu sprießen.

Die Welt ist so voll mit Geräuschen

Die Welt ist so voll von dem Rauschen
der Dinge. Wenn wir ihnen lauschen,
erzählen die Klänge uns ihre Geschichten,
von denen wir auf diesen Seiten berichten.
Das nächtliche Rattern geölter Maschinen
in Zimmern mit flatternden Baumwollgardinen,
wo Arbeiterinnen auf Holzstühlen sitzen,
um für uns're neueste Mode zu schwitzen,
steht beispielhaft dafür (wenn ich mich nicht täusche):
die Welt spricht zu uns durch die Art der Geräusche.

Knalltüte

Kommt gar nicht in die Tüte
*
Wenn ich was in die Tüte täte,
sie dann geschickt zusammen nähte
und später in der Nacht der Nächte
mit festem Schlag zum Platzen brächte,
gäbe es einen Riesenknall
in allen Ohren überall.
Gar mancher Mensch würde sich fragen,
ob ich zum Urknall beigetragen.
Was in der Tüte drin gewesen,
könnt ihr in meinen Büchern lesen!

Mir kam meine Sprache abhanden

Mir kam meine Sprache abhanden.
Die einfachsten Worte verschwanden,
auch die, die ich grad noch verstanden
hatte, entschlüpften mir durch eine Hintertür
Ich finde sie nicht mehr. Kann ich was dafür?
Sie rannten mir ganz einfach auf und davon
und das nun seit einigen Monaten schon.
Wenn das auf die Dauer so weitergeht,
kommt es noch dazu, dass mich keiner versteht.
Dann steh ich ganz sinnlos im Regen herum
und fühle mich außergewöhnlich dumm.
Nimmt mir das wer krumm?
Dann bleib ich jetzt stumm.