Impuls

Schreibimpuls
Der Impuls ist eine Anregung zum Schreiben.
Ein Vorschlag für eine Geschichte durch einen 
kurzen Text oder ein Bild.
Viel Vergnügen
Erzähle die Geschichte einer Person, die sich auf einer Urlaubsreise befindet 
und an einer Führung durch ein Haus teilnimmt. Sie erkennt plötzlich, dass sie 
schon einmal an diesem Ort gewesen ist,und erinnert sich an schmerzliche Ereignisse.  
* 
Schreibe die Geschichte eines Zauberers, der auf der Bühne vor dem Publikum steht 
und feststellt, dass er vergessen hat, wie sein Zaubertrick funktioniert. 
* 
Schreibe die Geschichte über eine Person, die in ihrem Garten eine Pflanze entdeckt, 
die sie noch nie zuvor gesehen hat. 
* 
Schreibe die Geschichte über einen Wissenschaftler, der ein Getränk erfindet, das 
jedes Gefühl von Angst für immer beseitigt. Es hat aber einen erschreckenden Nebeneffekt. 
* 
Schreibe die Geschichte über eine Person, die ihr Ziel erreicht hat und nun zurückblickt. 
*
Schreibe die Geschichte über eine Person, 
die eine wichtige Lebensentscheidung treffen muss 
und eine Wahrsagerin besucht, um sich beraten zu lassen.
*
Schreibe einen Text zu dem Spruch:
"Erst die Socken, dann die Schuhe!"

Impuls vom 29.4.2021

Ich möchte meinen Schreibmuskel trainieren. Wie jede andere Fähigkeit, kann
ich auch die Kunst des Schreibens weiter entwickeln und verbessern, indem
ich sie täglich übe. Einfach drauflos zu schreiben finde ich manchmal sehr
befreiend. Aber auf Dauer kann es sehr unbefriedigend sein. Darum suche ich
mir Schreibaufgaben, mit denen ich meine Kunst verfeinern kann.

Die Aufgabe lautet: Nehme einen beliebigen Haushaltsgegenstand, "betrachte" und
"beschreibe" ihn. Mein Freund Michael hat mir neulich erklärt, dass Meditation
bedeutet:"Nach innen schauen." und Kontemplation:"Den Blick auf etwas richten,
das sich außerhalb befindet." Also Kontemplation - und zwar mit einer Tasse
aus meinem Schrank.

Es ist eine Espressotasse. Ich glaube, früher hat man Mokkatasse dazu gesagt.
Sie besteht aus einem Gefäß, in dem man Espresso serviert. Darum ist das Gefäß
oben offen, hat aber unten einen Boden, damit der Espresso nicht hinausläuft.
An der Seite befindet sich ein Henkel, das ist eine griffige Verzierung, an
der man die Tasse halten und zum Mund führen kann. Die Außenseite der Tasse ist
weiß und mit roten Punkten verziert. Wenn ich mit dem Kugelschreiber gegen die
Tasse schlage, höre ich einen angenehm hellen Ton, der noch eine Zeitlang
nachschwingt. Wenn ich gegen den Henkel schlage, entsteht ein kurzer, flacher
Ton.

Nun habe ich den ersten Teil meiner Schreibaufgabe erledigt.
So wie Fingerübungen oder Tonleitern am Klavier die Fähigkeit des Klavierspielens
steigern, kann ich mein Schreiben durch solche Übungen verbessern.
Die Tasse soll nun an einem anderen Ort auftauchen. Und was wäre ein geeigneterer
Ort für eine Tasse als ein Cafe. Also.

Am Fenster, das einen freien Blick auf die Straße gestattet, steht ein runder
Tisch aus Holz. Ich sehe ihn gleich, als ich das Cafe betrete und wähle ihn als
Arbeitsplatz. Die Vase aus weißem Porzellan mit den roten, schon leicht welkenden
Tulpen, schiebe ich an die Seite. Ein pflanzlicher Geruch steigt in meine Nase.
Ich hole mein Schreibheft aus der Aktentasche und lege es auf den Tisch, den
schwarzen Kugelschreiber daneben. Ich schreibe immer mit einem Stift in der Hand,
weil die Hände ein Teil des Gehirns sind und die Neurotransmitter ihre Ideen so durch
das Nervensystem in die Finger hinein und durch sie hindurch auf das Papier fließen
lassen können.
Der junge Mann, der hinter der Theke stand, kommt zu mir und fragt mich, was er mir
bringen soll. Sein Rasierwasser weckt angenehme Erinnerungen.
Ich bestelle einen Espresso und ein Glas Wasser.
Wenig später balanciert er das Gefäß, in dem sich der Espresso befindet, auf einem
hölzernen Tablett (die gleiche Farbe wie der Tisch) geschickt durch die Tischreihen,
in denen sich zur Zeit keine Gäste befinden. Die Außenseite der Tasse ist mit roten
Punkten verziert. Ich schlage mit dem Kugelschreiber gegen die Tasse. Der Kellner
schaut mich forschend an und stellt dann das Wasserglas neben die Tasse.
Ich schäme mich.
Darum ist diese Übung jetzt zu Ende.

Vollmond

VOLLMOND
(Diese Geschichte ist aus meinem Buch "Delikatessen"
und ist gut zum Verschenken geeignet)

Jarda schlug die Augen auf.
Sein Herz begann schneller zu schlagen.
Eine Nacht musste er noch warten.
Dann würde es wieder geschehen.
Er zitterte, wenn er nur daran dachte und legte die warme Hand auf sein
pochendes Herz. Er versuchte, ruhig und tief zu atmen.
Die Bilder, die er vor seinem inneren Auge sah, wiederholten sich wie in einer
Endlosschleife, die jedes Mal wieder von vorne begann.
Er schaute auf graue Wolken, die wie ein Vorhang zur Seite gezogen wurden und den
Blick auf den Mond freigaben.
Das kühle Licht des Mondes fiel auf seinen Körper.
Immer dann begann die Verwandlung.
Die Männer, die sich davor fürchteten, konnte Jarda nicht verstehen,
denn er genoss jede Sekunde, wenn es so weit war.
Schmerzhaft war nur der Weg zurück, wenn die Verwandlung sich umkehrte.
Auch das hatte er gelernt zu genießen. Hatte man erst einmal Blut geleckt, wollte man
die Erfahrung nie mehr missen.
Mit dem Gefühl der Vorfreude schlief Jarda ein und wälzte sich in unruhigen Träumen
hin und her.
Während des nächsten Tages schaute er andauernd auf die Uhr. Die Zeit schien still zu
stehen.
Als er abends nackt im Wald stand und bereit war für die Verwandlung, atmete er
erleichtert auf.
Vor sieben Jahren hatte er sich zum ersten Mal verwandelt. Es war ganz überraschend
geschehen, als er alleine auf dem Heimweg war.
Die Geräusche um ihn herum waren lauter geworden.
Alles roch intensiver. Er schmeckte duftendes Gras auf seiner Zunge.
Baumrindengeschmack streichelte seinen Gaumen. Düfte wühlten sich durch die Nase in
sein Gehirn und lösten ein Rauschgefühl aus, das er bis dahin nicht gekannt hatte.
Das Jacobson-Organ, ein winziges Tüpfel auf jeder Seite der Nasenscheidewand, war zum
Leben erwacht. Er konnte Gefahren wittern und Fährten erschnüffeln. Sein Geruchssinn
wurde ein mächtiger Hexenmeister, durch den er alle Informationen bekam, die er
benötigte.
Er konnte Krankheiten riechen und zwischen frischer und verdorbener Nahrung
unterscheiden. Dem Geruch des Blutes folgend, folgte er den Fährten, die ein
nahrhaftes Mahl versprachen.
Als er damals bemerkte, wie seine Schultern breiter wurden und der sich rundende
Brustkorb das Hemd aufplatzen ließ, erschreckte ihn das nicht.

Im Gegenteil. Er war zwar erstaunt darüber, dass es geschah und wusste nicht, warum
es so war. Aber er genoss das Gefühl von Kraft und Überlegenheit.
"WOW - DAS bin ICH!" dachte er, hingerissen davon, wie seine Hände zu Klauen wurden
und seine Zähne zu einer gefährlichen Waffe.
Nun stand er wieder hier und wartete auf das Erwachen des Jagdinstinkts. Doch nichts
geschah.
Keine Reißzähne waren zu spüren, keine muskulöse, behaarte Brust wölbte sich. Es
geschah nichts, was Menschen hätte zum Fürchten bringen können.
Dass die Opfer sich vor ihm fürchteten, hatte er am allermeisten genossen.
Wenn sie panikartig die Flucht ergriffen und er ihnen mit kraftvollen Sprüngen
hinterhersetzte. Er schnappte nach ihnen, zunächst ohne sie zu verletzen. Das
Adrenalin, das sie ausdünsteten, war reine Nahrung für seinen Rausch, in dem er zu
Ende brachte, was die erwachte Natur in ihm begonnen hatte.
Er stand im Mondlicht und fühlte sich wie gelähmt. Sehnsüchtig blickte er zum Himmel
hinauf und heulte den Mond traurig an. Aber das Wunder blieb aus.
Jarda ließ sich ratlos auf den Boden fallen, rollte sich auf den Rücken, bedeckte
sein Gesicht mit den Händen.
Er legte die Arme um seinen Körper, lauschte auf Signale, die seine Verwandlung
ankündigen würden.
Jarda schlief kurz ein und erwachte mit der Gewissheit, kein Werwolf mehr zu sein.
Er zog sich an und machte sich auf den Weg nach Hause.
Schon unterwegs begann er zu zittern. Schweiß rann an seinem Körper herab.
Er war süchtig nach Verwandlung.
Verzweifelt machte er sich auf die Suche nach Antworten.
Was musste er tun, um wieder ein Werwolf zu werden?
Er müsste einen anderen Werwolf finden, der ihn beißen würde.
Oder eine Hexe müsste ihn verfluchen.
Weder die eine noch die andere Möglichkeit bot sich an.
Jarda suchte im Internet nach Antworten und fand einen Hinweis auf magische
Gegenstände, mit denen man Feinde in Werwölfe verwandeln konnte.
Es handelte sich dabei um Gürtel, die aus dem Fell eines Werwolfs gemacht waren.
Er brauchte einige Wochen, um einen Händler zu finden, der ihm gegen eine
schwindelerregende Geldsumme einen Gürtel verkaufte.
Beim nächsten Vollmond stand Jarda nackt und zitternd an der üblichen Stelle im Wald.
Er hatte einen Spiegel gegen den knorrigen Baum gestellt, in dem er seine Kleidung
abgelegt hatte. Dieses eine Mal wollte er genau betrachten, wie er sich in das
kraftvolle Tierwesen verwandelte.
Er stand er vor dem Spiegel und schlang den Gürtel genussvoll um seine Hüfte.
Er schloss die Gürtelschnalle und ließ die Arme seitlich am Körper
herabhängen. Erst geschah überhaupt nichts. Dann begann der Gürtel, sich an die
Taille anzuschmiegen, als wollte er Fühlung aufnehmen und den Körper abtasten, den er
verwandeln sollte.
Jarda bekam kaum noch Luft, weil der Gürtel sich in der Mitte immer enger
zusammenzog. Im Spiegel sah er, dass sein Körper zu schrumpfen begann.
Anstatt groß und stark zu werden, wurde er immer kleiner und schwächer.
Im scheinbar größer werdenden Spiegel erkannte er, selbst immer kleiner werdend,
dass man ihn betrogen hatte.
Der magische Gürtel war nicht aus dem Fell eines Werwolfs gemacht worden, sondern aus
dem eines Kaninchens.
Er versuchte noch hastig, die Verwandlung zu stoppen, aber seine Kaninchenpfoten
waren zu ungeschickt, um die Schnalle des Gürtels wieder zu lösen.