Ein Kleegedicht im grünen Gras

Ein Kleegedicht, erblüht im Gras,
wo eine Horde Hasen saß,
war stolz auf seine zarten Blätter.
Es hielt sich für den Weltenretter,
denn seiner Blätter waren vier.
„Um Glück zu bringen bin ich hier!“
philosophierte es ganz keck.
Da fraßen es die Hasen weg.
„War dies denn jetzt der Sinn des Lebens?“
fragte sich das Gedicht vergebens.

Gedichte sind ja so gemein!

Mich möchte heute kein Gedicht.
Nein, heute möchten sie mich nicht!
Weil kein Gedicht mehr mit mir spricht,
zieh‘ ich jetzt vor das Amtsgericht
und reiche eine Klage ein!
Gedichte sind ja so gemein!
Das soll hier aufgeschrieben sein!

Ein cleveres Gedicht

Dieses Gedicht kommt nicht unter die Haube,
denn es hat im Kopf eine lockere Schraube,
verursacht durch eine sich drehende Mutter,
die immer noch denkt, es wär alles in Butter.
Sie glaubt, ihr Gedicht wär der clevere Checker.
Trotz all ihrem nur gut gemeinten Gemecker
ist dieses Gedicht ein gewiefter Halunke
und schleicht sich in eine dubiose Spelunke.
Dort ist es ihm trotz aller Zweifel gelungen.
Es ist in den singenden Zwinger gesprungen
und fing die gefährlichen, beißenden Dinger
durch Einsatz der an ihm gewachsenen Finger.
So ist also doch noch was aus ihm geworden.
Für die mutige Tat trägt es nun einen Orden.

Das menschliche Fell

Es fängt immer schon in den letzten Tagen des Sommers an,
lange bevor der Herbst beginnt. Die kurzen, schwarzen Stoppeln
erscheinen auf meiner sonst nackten Haut und bilden in
kurzer Zeit ein dichtes Fell, das mich umhüllt. Am Anfang
juckt es ganz furchtbar, aber wenn die Haare dann länger werden,
fühlt es sich weich und kuschlig an. Wenn das dichter gewordene
Fell meinen ganzen Körper bedeckt, benötige ich keine Kleidung
mehr und der sonst wöchentlich stattfindende Waschtag fällt aus.
Das Fell, das mich den Winter über vor der Kälte schützt, fällt
erst im Frühjahr wieder ab, wenn der letzte Schnee geschmolzen
und die Zeit der Nachtfröste vorüber ist.
Jedesmal aufs Neue im Herbst, wenn das Fell zu wachsen beginnt,
schäme ich mich und würde mich am liebsten verstecken. Aber da
ich weiß, dass es den anderen auch so geht, habe ich mich inzwischen
daran gewöhnt und genieße es sogar, in der schlimmsten Kälte völlig
unbekleidet herumzulaufen.
Die Menschen sind in dieser Zeit vollkommen verändert.
Sie verhalten sich plötzlich so unbeschwert und unkontrolliert wie
die Tiere, grunzen und schmatzen, reiben ihre Rücken an den Bäumen
und lachen sehr viel. Es kommt oft zu spontanen Umarmungen und dabei
auch zu lustvollen Kopulationen. Dadurch gibt es im Folgejahr immer ein
Anwachsen der Population.
Der ganze Ballast der Zivilisation ist in der felligen Zeit von uns
abgefallen und erst, wenn im Frühling das Fell von uns abfällt und
Kleidung wieder unsere nackte Haut bedeckt, kehren die zivilisatorischen
Zwänge wieder in unser Verhalten zurück. Wir lächeln, obwohl wir grunzen
möchten. Wir legen die Hände ineinander, anstatt unseren Rücken am Baum
zu reiben. Anstatt zu kopulieren, studieren wir. Aber wir gehen auch ins
Theater und besuchen Konzerte. Das machen wir nicht, wenn wir von Fell
umhüllt sind, obwohl wir es eigentlich auch dann tun könnten.
Wir freuen und schon auf den nächsten Herbst.

Ein starkes Gedicht

Stellte es sich der Schwerkraft nicht,
dann wäre es schwach, dieses starke Gedicht.
Seine Kräfte entwickeln sich nur durch das Schwere
und nicht durch das Leichte
und Ungefähre.
So ermutigt es uns
einfach durch seinen Mut,
mit dem es behauptet:
„Die Schwere tut gut!“
Es bildet und formt uns
an Körper und Geist,
indem es auf höhere Werte verweist.
So wie eine Pflanze
sich streckt nach dem Licht,
so sucht es sein Ziel,
dieses starke Gedicht.
Wie findet es das in ihm liegende Ziel?
Es findet es staunend im fröhlichen Spiel!
Nur so bleibt sie leicht – die es bildende Schwere
und schwer bleibt das Leichte und das Ungefähre.
Wach pendelnd zwischen schwer und leicht,
hat das Gedicht sein Ziel erreicht.
*
Jean Gebser:“Das Schwere im Leben ist unsere Aufgabe.“
*

alle, elle, ille olle, ulle

Ihm graute vor den vertrauten Lauten,
die heute die Leute scheuten.
Allen lallenden Aalen zum Trotz
protzte er mit den knallenden Schnallen
und brachte die Wellen zum Schwellen.
Um die brüllenden Bullen einzulullen,
rollte er die vollen Stullen
zu den blendend bellenden Stellen,
um die bebrillten Sybillen
in aller Stille zu grillen.
Das waren ohne Frage
die allertollsten Tage
und er denkt voller Glück
an diese Zeit zurück.

Moni Meloni schreibt auf ihren Gockel

Moni Meloni schreibt auf ihren Gockel:
„Ich stellte dich früher oft auf einen Sockel
und dachte, du wärest von allen der Klügste,
bis ich dann bemerkte, dass du mich betrügste!
Jetzt weiß ich: Ich bin von uns beiden die Beste!
D’rum kriegst du vom Essen auch nur noch die Reste!“
*

Ein Gedicht wird abgestempelt

Ein Gedicht wird abgestempelt,
weil es Verse angerempelt
hat und sich so offenbarte
als gemeine, böse, harte
ausgegrenzte Vorstadtdichtung
bei Versanrempelverrichtung.
*
Das letzte Wort muss man gut artikulieren,
dann kann das Gerempel auch gut funktionieren.
Es holpert und stolpert dann überhaupt nicht
und ist ein ganz gutes Gedichtegedicht.

Auf dem Weg zum Himmel

Menschen auf dem Weg zum Himmel müssen in ihrem
Leben manche Durststrecke überwinden. Auch dann
ist ihnen nicht immer Erfolg beschieden. Wer in
den Himmel kommen will, darf nicht nur vorne auf
der Bühne ein anständiger Mensch sein. Er muss
diese Tugenden auch hinter der Bühne beherzigen.
Manche Rätsel gibt es auf dem Weg nach oben zu
lösen. Die eine oder andere Nuss bleibt ungeknackt.
Nicht nur den Smarten fällt der Weg in die
himmlischen Gefilde schwer. Auch die Cleveren müssen
all ihre Gehirnzellen aktivieren, um im Labyrinth
des Lebens nicht die Orientierung zu verlieren.
Vielen Versuchungen gilt es zu widerstehen. Manche
Ziele kann man nur erreichen, wenn man sich ordentlich
ins Zeug legt. Aber erst wenn man am Ende die
Pforten des Paradieses durchschreitet, weiß man, ob
sich der harte Weg durch die irdische Mühsal gelohnt hat
oder ob man gleich da hätte bleiben sollen, wo der
Pfeffer wächst.

Das Auto

Verschwörungstheorie

Anne hielt sich die Hand vor den Mund und flüsterte:
„Da kommt wieder eins.“ Ellen schaute nach links und
sah, wie das selbstfahrende Auto um die Ecke bog.
Lautlos, aber unübersehbar rot lackiert.
Es hielt am Zebrastreifen an.
Ellen und Anne rührten sich nicht.
„Ich misstraue den Dingern!“ hatte Anne vorhin im Cafe
noch behauptet. „Sie lauern uns auf.“ hatte sie etwas
undeutlich gemurmelt, mit einem Stück Aprikosentorte im Mund.
„Das bildest du dir ein!“ hatte Ellen entgegnet.
„Es sind programmierte Maschinen. Sie können nicht
denken und eigene Ziele haben sie schon gar nicht.“
Anne dachte kurz nach und machte dann mutig einen Schritt
nach vorn. In diesem Moment rollte der rote Kastenwagen los.
Anne sprang mit einem Schrei auf den Bordstein zurück.
„Siehst du!? Siehst du!? Es wollte mich töten!“ rief sie entsetzt.
Der rote Citroen hatte sofort angehalten, als Anne ihren Fuß auf
den Zebrastreifen gesetzt hatte. Er schaukelte noch etwas vom
Bremsen und wartete geduldig. Seine Sensoren erfassten jede
Bewegung, die im Umkreis von 360° und im Abstand von 5 Metern
geschah.
„Aber guck doch!“ versuchte Ellen zu beruhigen. „Es hat sofort angehalten.
Seine Bewegungsmelder funktionieren.“
Sie machte drei Schritte auf den Zebrastreifen und wieder zurück
auf den Bordstein. „Siehst du?!“ Sie wiederholte den Vorgang.
Ellen und Anne sahen sich an und überlegten eine Weile.
Der Citro BE rollte an.
Anne sprang nach vorn vor die Kühlerhaube bzw. vor das, was als Kühlerhaube
getarnt war, damit die Menschen sich nicht an neue Formen gewöhnen
mussten.
Der Wagen stoppte sofort.
„Du hast Recht! Du hast Recht, es bremst für mich!“
Anne tanzte um das Auto herum. Dann rannte sie die Straße hinunter.
Ihre Angst war unbegründet, das wusste sie jetzt.
Als sie in 5 Metern Entfernung war, startete der Citro.
Anne wendete und rannte mit ausgebreiteten Armen auf den Wagen zu.