Dem Leben vertrauen

Wer bestellte
die arktische Kälte?
Die es auf mein Herz abgesehen haben,
wollen mir schaden.
Sie stopften Eiswürfel 
in die Kammer meines Herzens.
Dabei hatte ich gerade zu lieben begonnen.
Ich hatte angefangen, mich zu öffnen,
und weich und geschmeidig zu werden.
Mich dem Leben anzuvertrauen
im Glauben an eine Höhere Macht.
Das hatte ich üben wollen.
Doch nun kommt die prüfende Nacht.
Im Angesicht von Krieg und Verderben
muss das Vertrauen in (was immer) sterben.
Doch es könnte auch sein,
dass die Krise die fühlenden Muskeln erweckt
und das Leben so meine Bereitschaft checkt,
mein inneres Feld zu weiten 
und mutig voranzuschreiten.

Das Geheimnis der Rose

Das Geheimnis der Rose
*
Der Duft einer Rose lockt Bienen zum Zaun.
Sie blüht und ist zauberhaft schön anzuschau'n.
Ihr zartes Geheimnis - ich möchte es kennen,
erforschen, um es dann mein eigen zu nennen.
Das Wunder der Rose - ich will es besitzen.
Ich pflücke sie, um ihren Leib aufzuschlitzen,
um Blüten und Blätter zu analysieren
und so ihr Geheimnis genau zu studieren.
Ich habe die Rose in Teile zerlegt.
Doch das, was die Rose im Innern bewegt
habe ich auch nach vielen verzweifelten Stunden
durch meine Versuche in ihr nicht gefunden.
Ich habe die einzelnen Teile zerstört 
und nicht auf das Wunder der Rose gehört.
Denn Wunder sind mehr als die Summe der Teile.
Doch das zu verstehen, braucht noch eine Weile.
*

Ein Loch in der Hose

Eine Hose ist eine Hose ist eine Hose.
Aber meine hatte ein Loch.
Mitten am Knie.
Ich versuchte, es zu verbergen.
Erst legte ich eine Hand locker darauf.
Als ich die Hand brauchte,
legte ich eine Zeitung auf die Öffnung.
Dann sah ich,
dass alle Löcher in der Hose hatten.
Offenbar war das gerade modern.
"Aber nicht für einen Mann über sechzig!"
schimpfte meine Sitznachbarin.
Einige beneideten mich um die Form meines Schlitzes.
Er sah nämlich aus wie ein Guckloch im Bauzaun,
durch das man die Geheimnisse erspähen konnte.
Die Öffnungen in den anderen Hosen
sahen aus wie aufgerissenen Mäuler
oder schiefe Münder mit krummen Zähnen.
Da war ich ganz froh,
eine Spalte in der Hose zu haben,
um die man mich beneidete. 

Er oder ich

Er stellte seinen Fuß auf meinen
und hielt mich an der Schulter fest.
Ich stellte meinen unter seinen
und dachte erst, es sei ein Test.
Da schlug er mich und lachte schaurig.
Das machte mich erst furchtbar traurig.
Doch schließlich gab ich ihm den Rest.
Ich feierte danach ein Fest
von unverzüglicher Befreiung.
Niemanden bat ich um Verzeihung,
denn ich war sicherlich im Recht.
Wenn nicht, dann wär ich nämlich schlecht,
ganz sicher böse und gemein.
Und das wollte ich gar nicht sein.

 

Bedienungsanleitung für Körperkontakt

Bedienungsanleitung für Körperkontakt
*
Wer gibt mir eine Bedienungsanleitung
für das Finden von Körperkontakt?
Die Einsamkeit weht wie ein kalter Luftzug über mich hinweg
und dringt in meinen Körper ein.
Die Wärme einer Umarmung würde mir helfen,
um das Eis in meinem Herzen
zum Schmelzen zu bringen.
Doch da sind nur Steine in meiner Brust.
Mutig in Menschenmengen 
habe ich mich an fremde Menschen gepresst.
Doch sie stießen mich fort.
Unerwiderte Küsse, die ich verschenken wollte,
wurden nicht gerne gesehen.
Ich würde so gerne verstehen.
Offenbar ist die Sache 
einfach viel zu vertrackt.
Und das Finden von Körperkontakt
geht nicht ohne Bedienungsanleitung.
Aber nirgendwo steht sie,
nicht mal in der Zeitung.
Vielleicht finde ich sie
auch nur in Begleitung.
Doch dazu benötige ich
Vorbereitung.
So nehme mich einfach selbst in den Arm.
Das wärmt mich
und hat sicher auch seinen Charme.

Ein krankes Pferd

Ein krankes Pferd
*
Sein Pferd war krank.
Er konnte das an den Äpfeln sehen,
die hinten herauskamen. Gar nicht gut!
Also musste er zum Tierarzt. Reiten konnte er nicht.
Wie sollte er also das Pferd zum Arzt bringen?
Da nahm er einfach die Äpfel. Sicher konnte der Arzt etwas dazu sagen.
Der Doktor hatte seine Praxis in der Schillerstraße. Erster Stock.
Die Äpfel waren in der Plastiktüte.
Der Arzt trug eine Brille mit dicken Gläsern.
"Ich hätte da was für Sie!" sagte der Besitzer des Pferdes
und kippte die Äpfel auf den Tisch.
"So geht das aber nicht!" sagte der Arzt.
Er holte eine hygienisch einwandfreie Unterlage und platzierte
die Äpfel darauf. Vier außen rum und einer in der Mitte.
Es sah aus wie ein Kuchen.
"Was sagen Sie dazu?" fragte der Pferdebesitzer.
"Es handelt sich um eine nur mir bekannte Krankheit!" antwortete der Arzt.
Er schnupperte an den Äpfeln und überprüfte ihre Konsistenz
zwischen Zeigefinger und Daumen.
"Hmmm.Hmmm.Das habe ich mir gedacht!" sagte er.
"Aber woher wollen Sie das wissen?" fragte der Besitzer des Pferdes.
"Ich habe Erfahrung damit!" sagte der Arzt.
"Sind Sie sicher?"
"Schon tausendmal diagnostiziert!" bestätigte der Arzt.
"Und immer Recht behalten!"
"Ich glaube Ihnen kein Wort!°" sagte der Besitzer des Pferdes.
Er zeigte auf die kleinen roten Punkte in den Äpfeln.
"Sehen Sie denn das hier nicht?" fragte er den Arzt.
"Aber sicher sehe ich das!" antwortete der Arzt.
"Das sind Partikel!"
"Wie bitte?"
"Partikel sind das!"
"Und was hat das zu bedeuten?"
"Das bedeutet, dass ich ihr Pferd untersuchen muss."
"Was kostet sowas denn?"
"Ich mache Ihnen eine Kostenvoranschlag."
Der Besitzer des Pferdes nahm den Kostenvoranschlag und ging nach Hause.
Man hat ihn nie wieder auf der Schillerstraße gesehen.

Im Bett

Zwei Menschen im Bett.
Umarmung - ganz nett.
Ein Streicheln. Ein Kuss.
Orgasmus-
und Schluss.

In der Einsamkeit

Willst du die Einsamkeit erleiden,
musst du des Menschen Nähe meiden.
Wenn du sie meidest, gebe acht,
was das Alleinsein mit dir macht.
Wer sich der Einsamkeit ergibt,
macht sich auf Dauer unbeliebt.
Fühlst du dich einsam, aber frei, 
ist dir das völlig einerlei.
Wenn dir die Einsamkeit gefällt,
lebst du in einer andern Welt
und liebst es, ohne Not und Pein
froh in der Einsamkeit zu sein.

In der Kälte

In der Kälte

Als ich hinausging, sah ich, dass sich 
an fast allen Ästen Eiszapfen gebildet hatten.
Das Taschentuch, das ich gestern verloren hatte,
hing an einem im Wind zitternden Zweig.
Als ich danach greifen wollte, zerbrach es unter
meinen Fingern und fiel leblos zu Boden.
Der Schnee knirschte unter meinen Füßen,
als ich den Garten eilig verließ.
Sicher kam der Bus heute später.
Dennoch wollte ich rechtzeitig an der Haltestelle sein.
Den aufmunternden Blick meines Nachbarn wollte ich nicht verpassen.
Sein Lächeln hat mir schon oft den Morgen versüßt und sein
Händedruck begleitet mich manchmal den ganzen Tag.
So wenig reicht aus, um der Kälte zu trotzen.
Ich will mir ein Beispiel nehmen an ihm.

Im Bahnhof

Meistens gelang es ihm. Er versuchte, immer den Abstand von 100 Zentimetern zu anderen
Menschen zu wahren. Was zur Folge hatte, dass er sich auch darum bemühen musste, andere
nie näher als einen Meter an sich heranzulassen. Niemanden. Und das hieß in letzter
Konsequenz: KEINEN! In großen Menschenmengen erwies sich das als schwierige Angelegenheit.
Vor allem hier im Bahnhof war die Einhaltung der Regel eine große Herausforderung. Der
Mann links neben ihm wich einer herankommenden Person nach rechts aus, sodass Vitus sich
ebenfalls nach rechts bewegen und an die Mauer drücken musste. Weil ihm nun aber von vorne 
eine junge Frau entgegenkam, musste er an der Mauer entlang rückwärts gehen, bis er bei einem
Blick nach hinten über die Schulter erkannte, dass von dort ebenfalls eine Person in seine
Richtung marschierte. Ihm blieb nur der Weg nach oben. Er suchte in der Mauer nach Kanten und 
Vorsprüngen, die ihm den Abstand wahrenden Weg nach oben erleichterten. Unter ihm versammelte
sich eine staunende Menschenmenge, um seinen Aufstieg zu beobachten. Er schwitzte und seine
Hände wurden feucht. Immer wieder war er kurz davor, abzustürzen. Einige Zuschauer, angespornt
durch sein sportliches Vorbild, folgten ihm und brachten ihn so in Bedrängnis. Einige Zuschauer
applaudierten. Nur eine ältere Dame erkannte seine Not. Sie rief von unten zu ihm herauf:
"Die Pandemie ist vorbei! Sie müssen keinen Abstand mehr halten! Wir sind inzwischen alle geimpft!"
Vor lauter Erleichterung verließ ihn seine Kraft und er stürzte in die Tiefe. Doch die
Menschenmenge bildete blitzschnell mit all ihren nun rund gebogenen Rücken eine elastische
Matratze und fing ihn auf.
"Wenn wir eines gelernt haben in der Pandemie!" frohlockte die alte Dame.
"Dann ist es, zusammenzuhalten!"