Einmal jemand and’res sein

Ab und zu wünscht sich wohl jeder,
mal ein anderer zu sein.
Ich wär' gern wie eine Feder:
leicht und hübsch und zart und fein.

Groß und dünn mit schlanken Waden,
dünn wie ein gefärbter Faden,
würd' ich tanzen, springen, wippen
und nicht aus den Latschen kippen,
wenn Probleme mich umbrausen
und mein Haupthaar frech zerzausen.

Fröhlich sein trotz Schwierigkeiten,
die mir Umstände bereiten,
für die ich ja gar nichts kann.
Lerne ich das irgendwann?

Doch derweil und bis dahin
bleibe ich so, wie ich bin.
*

 

Uhren gibt es ziemlich viele

 Die Sanduhr ist fast nicht zu hören,
darum kann sie auch keinen stören.
Ihr Ticken ist ein leises Rieseln,
in dem Sekundentropfen pieseln.
Noch leiser ist die Sonnenuhr.
Sie zählt die schönen Stunden nur
und ist es wolkig oder Nacht,
wird Zeit ganz einfach ausgemacht.
Misst eine Uhr Zeit digital,
wird Zeit zu einer reinen Zahl,
kennt Tage und auch Nächte nicht.
Dadurch verliert sie ihr Gesicht
und weiß nichts von den Jahreszeiten.
Sie kann ja nur 
im Gleichmaß schreiten. 
Die Wasseruhr hat eig’nen Charme,
doch passt sie nicht auf einen Arm.
Das Handgelenk ist ihr zu klein,
denn da passt ja kein Wasser rein.
Die Pendeluhr ist das Vehikel
mit einem langen Perpendikel.
Verstummt jedoch die Kuckucksuhr,
braucht dieser Kuckuck eine Kur.
*

Dritter Advent 2023


"Lasst mich in eurem Bund sein 
die dritte!" 
So stand er vor uns 
mit dieser Bitte: 
ein ausgemusterter 
Kerzenstumpen, 
gekleidet in 
runtergekommene Lumpen. 
"Ich war mal ein König 
und leuchtete hell, 
doch im Laufe der Jahre 
ist mein Fell 
ausgebrannt und durch Feuer 
stets dünner geworden. 
Früher leuchtete ich 
auch im finsteren Norden! 
Für den dritten Advent 
neben euch auf dem Kranz 
wär' ich gerne bereit 
für den vorletzten Tanz."  
Wir traten zur Seite, 
die EINS und die ZWEI 
und gaben den Platz 
für den Lichtkönig frei.  
Durch Freude und Leid 
ging er, so wie wir alle. 
Seine Strahlen erleuchten 
die winzige Halle 
und zum dritten Advent 
- lassen sie uns erkennen: 
"Was immer auch war! 
Wir werden verbrennen! 
Und es ist besser, 
sein Leben zu leben, 
als die Kerze am Schluss 
unverbrannt abzugeben!“ 
*

 


															

Kommunikation

A:" Du schweigst?"
B:"___"
A:"Redest nicht?"
B:"___"
A:"Hältst einfach den Mund?"
B:"___"
A:"Glaubst du etwa, das macht mir was aus?"
B:"___"
A:"Ich kann genausogut schweigen wie du!"
B:"___"
A:"Dann siehst du mal, wie das ist..."
B:"___"
A:"..wenn man die ganze Zeit nichts hört!"
B:"___"
A:"Ich glaubte schon länger,
dass etwas nicht stimmt!"
B:"___"
A:"Wir hätten das klären können,"
B:"___"
A:"wenn du geredet hättest."
B:"___"
A:"Aber gut.
B:"___"
A:"Wenn du es nicht anders willst!"
B:"___"
A:"Dann trennen wir uns eben deswegen!"
B:"Was du immer hast! 
Ich drücke doch nur die Zunge 
gegen den Gaumen
für meine Zungengymnastik!"
*

Ist Schweigen Kommunikation?

Ist Schweigen Kommunikation?
Wenn A schweigt, zeigt es dadurch schon,
dass es mit B nicht reden will.
Auf einmal wird es dröhnend still.
Durch das Ausbleiben von Geräuschen,
lässt B sich nicht sehr lange täuschen.
Auch wenn es keine Laute hört,
ist B über das A empört.
Die nonverbale Streiterei
setzt beiderseits Hormone frei,
bis jeder endlich lauthals schreit
und sich so von dem Druck befreit,
der zwischen ihnen nur entstanden,
eil sie erst keine Worte fanden.


Selbstkontrolle

Ich stehe jederzeit bereit
und bin die Produktionseinheit
Nummer Zweitausendsieben.
Hier eingeschrieben
in meine Stirn
und eingescannt
in mein Gehirn,
hat man mich gemessen.
Ich wurde gewogen
und fachgerecht
zurechtgebogen
für die Interessen der Finanz.
Früh lernte ich,
mich voll und ganz
zu prüfen und zu optimieren,
um angepasst zu funktionieren.
Mich zu belohnen, darf ich kaufen,
und halte das System am Laufen.
Im Kindergarten musst' ich lernen,
den Eigenwillen zu entfernen.
Ich brauche keine Kontrolleure,
weil ich auf diese Stimme höre,
die mich von Innen kontrolliert
und so mein Handeln dirigiert.
Ich bin die Ware, bin Produkt.
Selbst produziert und ausgespuckt,
bin ich bereit, mich stets zu testen.
Diese Kontrolle klappt am besten,
weil ich sie nicht als Zwang empfinde,
sondern mich selber an sie binde.
*

Zweiter Advent 2023

Adventskalendertüren
führen
uns weiter
durch die Dunkelheit,
in der ab nun
zwei Lichter brennen.

So können wir
vor uns erkennen:
das Licht,
das wir noch
nicht verstehen,
als Kraft
in uns'rem Geist 
zu sehen.

Auch dazu
dient uns 
der Advent:

uns dieser
Dunkelheit zu stellen,

hilft uns,
die Seele
 zu erhellen.
*

Die Macht der Worte

Wir glauben, die Welt zu erkennen,
indem wir die Dinge benennen.
Der Name gibt uns die besondere Kraft,
die uns Macht über allerlei Dinge verschafft.
Was wir etikettieren, wird uns zum Objekt,
wird ein Ding, in dem nun keine Seele mehr steckt.
Wir verfügen darüber, wie es uns beliebt,
zerstören Natur, bis es keine mehr gibt,
und haben so ganz neue Worte entdeckt:
der Klimakollaps, der Treibhauseffekt,
das Artensterben, die Umweltzerstörung.
Wir nutzen die Worte gefüllt mit Empörung
wie unscheinbar wirkende knallharte Waffen,
mit denen wir Wirklichkeit für uns erschaffen.

Beeilt euch!

"Macht schnell! 
Nicht, dass wir 
uns verspäten!"
"Beeilt euch, 
eh' ihr was verpasst!"
Man lockt uns 
mit Identitäten,
von denen keine 
zu uns passt.

"Nur heute noch!" 
sind wir getrieben,
Produkte kurzzeitig 
zu lieben
und sie, getreulich 
dem Versprechen,
nach dem Gebrauch 
gleich zu erbrechen.

Es soll viel Platz 
für Neues bleiben,
das wir uns wieder 
einverleiben
in fortgesetzter 
Bulimie.
Zufrieden werden 
wir so nie.

Die Werbung bindet 
uns mit Leinen.
Kaum ist er 
auf den Kindesbeinen,
wird aus dem Mensch 
ein Konsument,
der eig’ne Wünsche 
nicht mehr kennt.

Damit er sie 
nie mehr bemerkt,
wird jeder Druck 
auf ihn verstärkt.
Man muss ihn stets 
zur Eile treiben.
So wird er 
unzufrieden bleiben,

wird kaufen und 
sich nicht empören,
auch wenn wir so 
die Welt zerstören.
*

Abmahnung

Ich will keine Zeit verlieren.
Darum, bitte, reagieren
Sie ganz zeitnah. Ich erwarte
dass Sie in der Timeline bleiben
und mir unverzüglich schreiben.

Jeder, der was auf sich hält,
weiß: gesparte Zeit ist Geld!
Nicht: schnellstmöglich! 
sondern: Prompt!
Sonst sind Sie schuld, 
wenn was kommt.
Schließlich arbeiten wir hier 
nicht auf lila Schreibpapier,
sondern sind voll digital.
Merken Sie sich das einmal!

Also dalli! Unterschreiben
Sie das Blatt, um hier zu bleiben!
Sonst müssten wir Sie entsorgen
und das spätestens bis Morgen.
*