Ein behütetes Gedicht

Ein Gedicht fühlt sich behütet.
Moni hat es eingetütet
und in einen Schrank gestellt,
wo es sich nun lange hält.
Sie weiß nicht genau, warum,
denn kein Leser reißt sich d’rum.
Monis Schrank ist schon ganz voll
Sie weiß nicht mehr, was das soll.
Eingemachte Poesie
lockte Leser doch noch nie
und die konservierten Reime
finden auch in Zukunft keine
aufmerksamen Zeitgenossen,
die für sowas aufgeschlossen
oder gar begeistert wären.
Niemand wird sich darum scheren.
Darum stellt sie diesen Schrank
auf die breite Fensterbank,
lässt ihn auf die Straße gleiten,
wo die allzeit hilfsbereiten
Männer von der Müllabfuhr
jegliche Literatur
sammeln und sofort verbrennen,
ohne was davon zu kennen.
Das behütete Gedicht
wird auf diese Weise Licht,
das am Himmel, ganz von fern,
leuchtet wie ein schöner Stern.
Das haben die Leute gern.

Die Mutter der Gedichte

Die Mutter der Gedichte spricht:
“Ich wollte diese Verse nicht!
Man hat sie mir frech aufgedrängt
und dann in meinen Leib gezwängt.
Dort wuchsen sie zu dem heran,
was mit der Zeit Gestalt gewann
und nun mit mir am Tischchen sitzt,
wo es mir meine Zeit stibitzt!”

Mit Zeilen heilen

Dieses Gedicht will mit Zeilen gern heilen.
Es darf sich dabei aber nicht sehr beeilen,
weil wenn es ein schnelleres Tempo erreicht,
sofort die natürliche Heilkraft entweicht.
So gleitet es schwebend,
den Versfuß erhebend,
in rhythmischer Weise,
fast unhörbar leise
in jegliche Wunde,
auf dass sie gesunde.
Es rutscht dabei von Blatt zu Blatt
und macht sichtbare Falten glatt,
stillt manchen Husten
durch sanftes Pusten
und hat am Schluß Vieles geheilt,
weil es sich einfach nicht beeilt.

Ich pflückte verrückte Gedichte

Ich pflückte verrückte Gedichte vom Baum,
die wollten, dass ich sie entfernte.
Sie warteten auf ihre Ernte,
denn das war das Ende vom fruchtbaren Traum,
in dem sie als Blüte entstanden
und sich dann als Frucht wiederfanden.
Sie hatten versucht,
vom Samen zur Frucht
zielstrebig zu Dichtung zu werden
und sich schlicht verdichtend zu erden.
Sie folgten dabei einem inneren Plan
und wussten bei jeglichem Schritt, was zu tun,
weil jedes von ihnen das Wissen bekam,
das sie fleißig nutzten, ganz ohne zu ruh’n.
So wurden aus einem feinstofflichen Traum
viele Früchte, gewachsen am geistigen Baum,
der diese Gedichte für uns sichtbar machte,
indem er den Traum in die Wirklichkeit brachte.

Ein Gedicht will nicht mehr leben

Ein Gedicht will nicht mehr leben,
ist bereit, sich aufzugeben,
weil man es hier nicht mehr braucht.
Wenn es zu Gott-Vater betet,
der einst seinen Leib geknetet
und ihm Odem eingehaucht,
öffnen sich vielleicht die Türen
und zwei sanfte Engel führen
es dann in das Himmelslicht.
Hört nur, wie der Vater spricht:
“Du willst also wirklich sterben
und der Welt all das vererben,
was du angesammelt hast?
Deine ganze Lebenslast,
jegliche Erinnerung
fällt dann ab bei deinem Sprung
von der Erde hier herauf.
So ist nun der Dinge Lauf!”
Daraufhin spricht das Gedicht:
“Dann will ich es jetzt noch nicht!
In den Himmel hochzuspringen,
kann ja später noch gelingen!”,
atmet aus und atmet ein.
“Ich will doch noch unten zu sein!”

Die 8 steht für Unendlichkeit

Die 8 steht für Unendlichkeit.
Die Bögen öffnen sich ganz weit
zur Unter- und zur Oberwelt,
die unsre Mittelwelt erhellt.
Nur leicht gedreht zu beiden Seiten
kann 8 unser Bewusstsein weiten,
damit wir uns als Geist erkennen
und unser Ziel: “Freiheit” erkennen.

Ein Gedicht auf dem Balkon

Ein Gedicht auf dem Balkon
öffnet seine Blüten schon.
Es genießt das Sonnenlicht,
zu dem es vertraulich spricht:
“Lass die Farben deiner Strahlen
meinen Körper bunt bemalen,
dass ich leuchte und erblühe!
Bitte, mach dir diese Mühe!”
“Mach ich!” grüßt das Sonnenlicht.
“Das ist schließlich meine Pflicht!”

Greisenlauf in Griechenland

Der Greisenlauf in Griechenland
war ihm bisher grad unbekannt.
Doch das Gedicht hat sehr viel Kraft
und folgt stolz seiner Leidenschaft,
weil es sich angemeldet hat
beim Marathon in Land und Stadt.
Es rennt erhitzt durch ganz Athen,
ist sehr erschöpft, kann kaum noch geh’n.
Doch es will sich beweisen
und lässt den Kreislauf kreisen,
bis dieser Kreislauf nicht mehr kreist
und es in seine Schranken weist.

Ein zwickendes Gedichtchen

Arabella hat mir ein Gedichtchen gestrickt,
das mir viel zu eng ist und fürchterlich zwickt.
Ich trage es ihr zu Ehren
und würde mich niemals beschweren,
denn schließlich hat sie es nur gut gemeint
und beim Stricken vor Glück in die Wolle geweint.