Gedrechselte Hexengedichte

Meine Nichte hat Hexengedichte gedrechselt
und sie bei der Post mit den Versen verwechselt,
die sie leichten Herzens in Internet schickte,
wo Hexe die Lichter des Lebens erblickte.
Dort fing sie dann an, sich wie wild zu verbreiten.
Sie begann frech, durch künstliche Netze zu reiten,
um Hexenflüche und -sprüche zu singen,
und die Internetwelt durcheinanderzubringen.

Mit dem Körper schreiben

Meine Hände tasten an einer Wand entlang.
Sie fühlt sich angenehm kühl an, ist aber unsichtbar.
Ich schiebe den Ellbogen gegen die Wand, schlage mit
der Faust in sie hinein. Die Faust prallt zurück.
Ich drücke mein Schädeldach gegen die Wand,
klemme ein Knie zwischen mich und die Wände, die mich
umgeben. Mit dem Rücken schiebe ich mich an der einen
Wand entlang, reibe mit der Schulter an einer Ecke, rutsche
mit dem Hintern an ihr weiter, presse meine Nase gegen
die glatte Fläche. Ich stecke meine Ferse in eine Vertiefung,
die mir Halt gibt, lasse die andere Fußsohle weitergleiten,
bis meine verzweifelten Zehen eine Kante zu fassen kriegen,
eine Mulde, ein Hoffnung. Die Himbeere der Hoffnung.
Eine Öffnung in der Wand lässt sich ertasten, ein Weg nach
draußen, aber nur, wenn ich mich ganz dünn mache, dünner
als eine Himbeere, aber die ist schon in meinem Mund
verschwunden und rutscht in der Speiseröhre abwärts. Ich
sehe sie ganz deutlich, denn mein Körpe ist aus Glas. Darum hat
man mich hier eingesperrt. Ich bin zu zerbrechlich, um in
dieser lauten, harten Welt zu überleben. Aber immer hier drin
zu bleiben, hat auch keine Zukunft für mich. Ich suche einen
Ausweg, sehne mich nach dem wirklichen Leben da draußen, stemme
mich mit all meiner Kraft gegen die elastischen Wände, drücke mit
den Füßen gegen alle vorhandenen Widerstände, die ich spüren kann.
Bis plötzlich etwas platzt und ich mit viel Flüssigkeit
hinausschieße in einen hell erleuchteten Raum.
*

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Ein verschmähtes Gedicht

Dieses von Vielen verschmähte Gedicht
schämt sich für seine Sehnsüchte nicht.
Moralapostel und strenge Beter
wollen es nutzen als Fußabtreter,
indem sie ihm einzureden versuchen,
es hätte auf dieser Welt nichts zu suchen.
Sie behaupten beharrlich,
es wäre sehr schlecht.
Dabei ist es nur echt
und lebt authentisch die wahren Gefühle.
Doch damit gerät es arg zwischen die Stühle.
Von frommen Nonnen drangsaliert,
von guten Bürgern schikaniert,
beginnt es nun, um sich zu wehren,
in allen Ehren,
Moralapostel und Beter zu töten.
Denn das ist vonnöten.
Wer will es denn diesem Gedicht auch verdenken?
Soll es sich verrenken?
Die Hälfte der scheinheilig lächelnden Sippe
stößt es mit Genuss von der zackigen Klippe.
Die anderen tötet es mit einem Messer,
denn die waren, kurz gesagt, auch nicht viel besser.
Nun steht es da, aufrecht, beladen mit Schuld.
Vielleicht hätte ihm ja ein wenig Geduld
doch besser zu Gesicht gestanden
anstatt in diesem Knast zu landen.

Gesprächsfetzen

Ich möchte mich nicht
auf Gesprächsfetzen setzen.
Sie können verletzen,
sogar im Gedicht.
Auch in meinen Ohren und meinem Gehirn
dulde ich diese Worte jetzt nicht.
Sie schwirren gesprochen durch Zeit und Raum,
so unscheinbar, man hört sie kaum.
Doch ihre Wirkung geht sehr tief,
auch wenn man nicht nach ihnen rief.
Sie werden zu meinen Gedanken
und sie dulden dabei keine Schranken.
Verkleidet als meine Erinnerung
schaffen sie den kleinen Sprung
in mein Bewusstsein
hinein.
Das ist so gemein!

Ein Kuchenteig-Gedicht

Ein Kuchenteig ist dies Gedicht
und fühlt sich sehr gerührt.
So gut hat es schon lange nicht
den Knethaken gespürt.
Es fühlt sich wohl und betet,
dass man noch lange knetet
und es dann später gehen lässt
zu dem ersehnten Küchenfest,
denn dort geht es dann auf
beim Kuchenausverkauf.

Wahre Liebe

Dieser verfluchte Blumentopf, in den ich gepflanzt wurde, ist so verdammt eng,
dass ich mich nicht drehen und wenden kann. Ich rühre mich nicht vom Fleck.
Die Fensterbank unter meinem Topf ist abweisend kühl und über mir schwebt der
braune Vorhang, der sanft im Winde weht. Ich beneide ihn so um seine
Beweglichkeit. Sein Stoff berührt die kahle Wand und ich stelle mir vor, er
würde über meine zarte, grüne Haut gleiten. Wie angenehm es wäre, wenn ich
ihn meine glatten Blätter streicheln fühlte. Mein Herz klopft und ich beginne,
mit dem herrlichen Vorhang zu plaudern.
“Du bist so braun, wie ich grün bin!” flüstere ich ihm zu. “Und ich würde meine
Grünheit gerne mit deiner Braunheit verschmelzen lassen! Ich weiß nicht, was geschenen
wird, wenn wir uns vereinigen, aber mein Herz ist voller Sehnsucht!
All meine Wurzeln verlangen nach dir und meine Zweige zittern in der Erwartung
deiner Berührung. Warum tust du nicht endlich etwas? Am Ende muss ich noch glauben,
dass ich dir gar nichts bedeute und du kaltherzig an mir vorbeiwehst. Wie kannst du nur
so hochnäsig an mir vorbeiflattern? Jetzt erkenne ich dein wahres Gesicht und ich bin froh,
dass ich dich nie an mich herangelassen habe, du herzloses Stück Stoff! Wenn etwas
schon braun und flatterhaft ist, kann man sich sicher nicht darauf verlassen. Unsere
Ehe wäre ganz bestimmt nach kurzer Zeit in die Brüche gegangen. Nun hast du es also
geschafft und alle Gefühle, die ich für dich empfunden habe, ein für allemal
zerstört. Ich empfinde nichts mehr für dich außer purem Abscheu und Widerwillen.
Hätte ich dich bloß nie kennengelernt. Hätte ich nie auch nur eine Stunde mit dir
auf der gleichen Fensterbank verbingen müssen. Geh mir aus den Augen und sei
endlich vom Winde verweht!”

Überzeugungen für ein glückliches Leben

1. Ich bin ein unsterbliches Wesen, das in einer Welt der Isolation
gefangen ist und verzweifelt versucht, sich selbst zu finden.

2. Wenn mein Bewusstsein voller Gedanken ist, kann ich die Wahrheit
nicht finden. Die Wahrheit kann sich nur im stillen Raum des Herzens
offenbaren.

3. Ich will die kategorisierenden, analysierenden Arbeitsmethoden
meines Bewusstseins überwinden und mein wirkliches Selbst in mir
erblühen lassen.

4. Wenn mein Bewusstsein ruhig und friedlich ist, gibt es keine Angst,
keinen Neid und keine Sorgen. Mein Bewusstsein befindet sich in einem
Flow genannten Zustand, der keinen Anfang und kein Ende hat, dem Flow
des Lebens.

5. Ich kann den Flow des Lebens in mir und um mich herum nur in einem
Zustand des erwachten Bewusstseins erleben.

6. Ich möchte aus der Betäubung erwachen, die durch meine Identifikation
mit den Gedanken und Wünschen entsteht. In dem grenzenlosen Raum
meines Bewusstsein will ich frei werden für das Spiel des Lebens.

7. Die Achtsamkeit ist die Tür, durch die ich zur Ganzheit meines
wirklichen Lebens durchdringen kann.

8. Die Achtsamkeit ist das lodernde Feuer in meinem Geist. Es verbrennt
die Welt der Isolation um mich herum und lässt mich die Einheit, das
Zusammenspiel allen Lebens erleben.

9. Das Feuer der Achtsamkeit ist gefährlich, denn es kann alle meine
Illusionen in einer Sekunde zerstören.

10. Das erste Geschenk, das ich durch das Feuer der Achtsamkeit erhalte,
ist die Erkenntnis, dass ich durch die Programme meines konditionierten
Bewusstseins gesteuert werde und nicht durch mich selbst.

11. Wenn ich das Glück außerhalb von mir suche, finde ich nur momentane
Zufriedenheit. Die Präsens des Bewusstseins vermittelt Glück ganz einfach
durch die Freude der Existenz.

12. Das stärkste Feuer, das das Bewusstsein erleuchtet, ist die
Dankbarkeit.

13. Meditieren ist stille Arbeit, die dem Leben dient.

Gemauerte Gedichte

Peter Paul Sauer schreibt, dass er bedauert,
wie schlampig er seine Gedichte gemauert
und all seine Verse schlecht aufgebaut hat.
Deswegen sind sie auch nicht rund, sondern platt.
Er teilt uns mit:“ Ich war im Grunde zu dumm
und formte die Reime statt grade zu krumm!
Ich gab der von mir gemauerten Dichtung
aus Unwissenheit eine ganz falsche Richtung.
Anstatt sie geschickt in die Höhe zu führen,
gut ausgestattet mit Fenstern und Türen,
gestattete ich ihr, in sich zu zerfließen
und Leser und Hörer damit zu verdrießen.
Damit die Genannten die Schande vergessen,
übersende ich beiliegend Delikatessen,
um all meine Fehler damit zu verbüßen
und erlittenen Schaden damit zu versüßen

Ein heilsames Gedicht

Dieses Gedicht will mit Zeilen gern heilen.
Es darf sich beim Heilen jedoch nicht beeilen,
weil, wenn es ein schnelleres Tempo erreicht,
sofort die natürliche Heilkraft entweicht.
So gleitet es schwebend,
den Versfuß erhebend,
in rhythmischer Weise,
fast unhörbar leise
von Blatt zu Blatt,
macht Falten glatt,
stillt starken Husten
einfach durch Pusten
und heilt durch Langsamkeit die Welt,
in die der Dichter es gestellt.

Der Gedichtegeneral

Gedichte, die Eisenstangen biegen,
Gewichte heben und Muskeln kriegen,
erkennt man an der Schulterbreite
und der geringen Taillenweite.
Wer oben breit und unten schmal,
wird der Gedichtegeneral.
Er kommandiert die ganze Truppe
der Reime und führt diese Gruppe
von Versen in die gleiche Richtung.
So wird aus Laut und Silbe Dichtung.