Kisten öffnen

Eine Schreibaufgabe, die ich sehr liebe, besteht aus der Phantasie,
dass man eine Kiste öffnet, in der sich etwas befindet, das man auch
wieder öffnen kann.
(Die Zeilen müssen sich eigentlich nicht reimen, aber mir gefiel es so.)
Die Aufgabe erinnert mich an diese russischen Puppen (Matrjoschka),
die ineinander verschachtelt sind. Hier ist ein Beispiel:
Ich öffne eine Kiste und darin ist eine Kerze.
Ich öffne die Kerze und finde drei Scherze.
Ich öffne die Scherze und darin ist ein Clown.
Ich öffne den Clown und darin ist ein Schauen.
Ich öffne das Schauen und finde Vertrauen.
Ich öffne das Vertrauen und finde das Glück.
Ich öffne das Glück und finde die Seele.
Ich öffne die Seele und finde ein Licht.
Ich öffne das Licht und finde mein Gesicht.
Ich öffne das Gesicht und finde einen Turm,
der groß ist und stark und der leuchtet im Sturm.
Ich öffne den Turm und ich finde die Treppe.
Ich öffne die Treppe und finde dort Raum.
Ich öffne den Raum und finde dort Weite
die ich nun vertrauensvoll mutig durchschreite.
Ich öffne die Weite und breite mich aus.
Ich öffne die Weite und finde ein Haus.
Ich öffne das Haus
und dort finde ich Fenster,
die ich weit und breit öffne
und dann flieg’ ich hinaus.

Notieren, ohne etwas zu erwarten

Notieren, ohne etwas zu erwarten.
Immer weiter schreiben, ohne anzuhalten oder zu bewerten.
Ohne etwas zu erzwingen.
Die Stimme der Aufmerksamkeit zu Wort kommen lassen.
Achtsames Wahrnehmen führt zu achtsamem Schreiben.
Dabei kann die Wahrnehmung beim eigenen Körper beginnen
und das Schreiben sich auf die Sensationen konzentrieren,
die in das Bewusstsein eintreten.
Die verspannte Schulter. Der angehaltene Atem, der plötzlich
zu fließen beginnt, weil ich aufmerksam notiert habe, was geschieht.
Die Dinge beginnen, sich zu verändern.
Ich empfehle, auf diese Art jeden Tag 10 Minuten zu schreiben und die
so entstehenden Blätter in eine Kiste oder einen Karton zu legen, den
man bei Bedarf konsultieren kann.
Nach einem Jahr hat man einen großen Schatz an Ideen gesammelt, aus
dem man nach Belieben schöpfen kann und von dem man immer wieder
überrascht wird.

 

Namensgeneratoren nutzen

Wenn man Namen sucht, die man in Geschichten
verwenden möchte, kann man Namensgeneratoren
nutzen, die man im Internet findet.
Du gibst das Land und das Geschlecht ein. Den
Rest überlässt du dem Zufallsgenerator.
Bei mir entstand so:
ADELAIS THOMPSON

Ich suchte Assoziationen zu den einzelnen Buchstaben
des Namens

A anmutig
D dumm
E elegant
L Lateinschule
A
I intelligent
S selbstbewusst
T Theosophin
H
O
M
P
S
O
N neugierig

und schrieb einen Text.
Adelais Thompson war Theosophin. Ihre Eltern hatten sie
schon früh mit dieser Philosophie vertraut gemacht und
ihr eingebläut, wie der rechte Weg durch ein erfolgreiches
Leben auszusehen hätte. Anmutig und elegant auf der einen
Seite, aber dumm wie Bohnenstroh, wenn es um ihre sozialen
Beziehungen ging (Wen wundert das, bei diesen Eltern?), traf
sie eines Tages bei einer Versammlung der Gilde im Götter-
botensaal auf Ferdinand Frech, der sie so geschickt umgarnte,
dass sie ihm ins Netz ging.
Sie heirateten noch in der nämlichen Woche.
Adelais gebar ihrem Ferdinand in jedem Jahr drei Kinder, also
immer Drillinge, die sie leichten Herzens austrug.

Der Text kann nun Ausgangspunkt für eine Geschichte sein.
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Weitere Experimente:
Dolores Fischer stammte aus einfachen Verhältnissen.
(Angst entsteht immer, wenn man etwas vermeiden will!)
Ihre Eltern nannten sie Dolores (dolor = Schmerz), weil
sie ihr die Fähigkeit, schwere Schicksalsschläge zu erdulden,
mit auf den Weg geben wollten.
Ihre Schulkameraden nannten sie Dolly, wie das geklonte Schaf,
obwohl oder gerade weil sie klüger war als alle anderen.
Ihr Neid war wohl der Auslöser dafür.
Der Lehrer gab ihr immer gute Noten und nannte sie stolz
“Doloröschen”.
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Ein rundes Gedicht

Sie sind wunderschön, doch ich kann sie nicht malen:
die runden Gebilde in Seifenschaumschalen,
die sich schillernd drehen in wirbelnder Luft.
Aus ihnen verströmt ein betörender Duft,
der Denken verschleiert und Sinne berauscht,
so dass man den Traum mit der Wirklichkeit tauscht.
Im Rausch fängt man an, runde Dinge zu sehen
und selber Spiralen und Kreise zu gehen,
sieht Reifen rollen durch schimmernde Räume,
die laut hallend hüpfen durch taghelle Träume,
hört klackernde Kugeln, die schnell abwärts fallen
und krachend gegen die Holzstufen knallen.
Auf dämpfenden Teppichen kullern sie leise
die Treppe hinunter und rollen im Kreise,
wo alles im Traumball ganz rund wird und bunt,
so dass man vermutet, man wär’ nicht gesund.
Das kantige Bett – es verliert seine Ecken,
die Ecken des Schrankes – sie spielen Verstecken.
Das eckige Fenster, nun Bullaugen gleich,
rollt mit den Pupillen und mir wird ganz weich.
Das Rad zwischen aufgeregt springenden Bällen
dreht sich jetzt viel schneller, macht wirbelnde Wellen,
die am Traumrand zerschellen.
Wie ich dann am Morgen verwundert erwacht
bin, hab ich mir gedacht:
So wunderbar rund kann sie sein, diese Welt,
wenn man all diese Ecken beiseite stellt,
um nie anzuecken
und aufzuwecken,
was dem Weichen und Runden im Wege steht
und als Eckiges kantige Wege geht.

Dies Gedicht ist ein Autist

Dies Gedicht ist ein Autist,
der Kontakte nicht vermisst.
Weil er gerne alles zählt,
ist er auch noch nicht vermählt.
Wird ein Weib ihm lieb und teuer,
ist er ihr bald nicht geheuer.
Kaum sieht er die Brautausstattung,
ordnet er nach Zahl und Gattung
und kann auf den Punkt genau
ausrechnen: den Wert der Frau.

Deshalb fliehen die Gefreiten,
ohne zum Altar zu schreiten
Ein Heirat gibt es nicht.

Ungetraut bleibt dies Gedicht.

Das kann doch nicht wahr sein!

"Das kann doch nicht wahr sein!"
weint laut ein Gedicht.
"Geschieht das hier wirklich?
Ich glaube es nicht!"
Es leugnet engstirnig die Realität.
Für Umlernversuche ist es schon zu spät.
Das was hier geschieht, ist ganz so, wie es scheint,
auch wenn dies Gedicht das am liebsten verneint.
Anstatt dem Geschehen ins Auge zu schauen,
bemüht es sich, die Illusion zu erbauen,
dass das, was geschehen ist, gar nicht geschah
und tut so, als wäre es selbst gar nicht da.

Wiederholungen

Mut
tut gut,
doch mein Mut ruht.
Mein Unmut hebt sein blasses Haupt
und schaut, als ob er sich nicht traut,
denn er ist nicht aus Mut gebaut.
Ein Tunichtgut - so ist mein Mut,
der ruht
und ruft:
"Tut Gutes!
Seid einfach guten Mutes!"

*

Dumm nur, als die Bahn nicht kam,
er genervt das Auto nahm.
Dumm nur, dass die Schranke stand,
als er keine Tanke fand.
Dumm nur, dass er zwischen Schranken
stand und konnte dort nicht tanken.
Dumm nur, dass die Bahn doch kam
und ihm dann das Leben nahm.
Dumm nur, dass, bevor er starb,
man noch um Verständnis warb.
Denn die Lok blieb vor ihm stehn,
um exakt nach Plan zu geh'n.
Darum konnte er dann geh'n,
ohne sich noch umzuseh'n,
was aus seinem Auto ward.
Manchmal ist das Leben hart.

Wiederholungen im September

Blätter fallen von den Bäumen,
mitten im September.
Laub rauscht laut in meinen Träumen.
Blätter fallen von den Bäumen,
mitten im September.

*

Sonne steht am Firmament,
mitten im August.
Ob sie wach ist, ob sie pennt?
Sonne steht am Firmament,
mitten im August.

Achtung!

Achtung! Es regnet! 
Achtung! Es schneit! 
Achtung! 
Hier ist es! 
Bist du jetzt bereit? 
Achtung! 
Das Leben steht gleich hinterm Tor! 
Achtung! 
Die Welt flüstert dir was ins Ohr! 
Schau nur! 
Der Himmel ist blau, so wie immer, 
doch du hast davon überhaupt keinen Schimmer! 
Du hast keine Ahnung, 
erkennst nicht die Mahnung, 
mit der diese Welt auf die Gegenwart zeigt. 
Du hast sie vergeigt.

Dieses Gedicht hat sich eingeigelt

Dieses Gedicht hat sich eingeigelt
und standhaft die eigene Mitte versiegelt.
So konnten die Perlen in ihm reifen,
die heute tanzen, singen und pfeifen.
Es ist sein Bestreben,
der Welt zu geben,
was in seiner Muschelschale entstand.
Es legt seine Perlen der Welt in die Hand.
Dort bieten sie trotzig dem Leben die Stirn.
Mit Herz und Hirn
perlen sie in das Sein
und kehren dann heim
in die Formlosigkeit.
Die Ewigkeit
ist weit und groß.
Sie ist der Schoß,
aus dem alles Leben entstand.
Es ist nicht unversehrt geblieben
und musste erkennen,
dass, wen zu lieben,
nicht heißt, auch wiedergeliebt zu werden.
Oft musste es sterben,
um das zu finden,
was hinter Gedanken, Gefühlen und Bildern
zu groß ist,
um es mit Worten zu schildern:
den heiteren, wachen, unsterblichen Geist,
der den Weg in die wirkliche Freiheit verheißt.