Pencildance vom 10.9.2018

Schreibe die Geschichte über eine Person,
die ähnliche Gesichter nicht unterscheiden
kann. Sie muss dieses Unvermögen durch
eine andere Fähigkeit kompensieren,
die sie meisterhaft beherrscht.
*

Du bist nicht von hier

“Du solltest dir mal die Haare schneiden lassen!
Warum hast du dich heute nicht gekämmt?
Immer musst du aussehen wie ein Schwein!
Man muss sich ja schämen, wenn man mit dir
unterwegs ist!
Nie machst du dich schön!
Immer rennst du so ungepflegt herum!
Du solltest etwas mehr auf dich achten!
Hast du dir schon mal die Schuhe geputzt?
Wann hast du dir zum letzten mal ein Hemd gekauft?
Wenn ich du wäre, würde ich mich nicht mehr auf die Straße trauen!
Du solltest den großen Hut aufsetzen,
damit dich keiner erkennt!
Aber du hörst ja nicht auf mich!
Immer läufst du so herum!
Da brauchst du gar nicht so zu gucken!
Was soll das heißen, du willst dich nicht
so aufdonnern wie ich?
Du findest, ich übertreibe mit meinem Sinn
für schöne Kleidung?
Ich wäre eine aufgetakelte Fregatte?
Das kannst du doch gar nicht beurteilen, so
ahnungslos wie du bist!
Du hast doch überhaupt keinen Geschmack!
Wann bist du das letzte Mal auf einer Modenschau gewesen?
Na bitte!
Ich sag doch, du hast keine Ahnung!
Schau doch mal in den Spiegel!
Siehst du? Deine Haut ist ganz grün und die Ohren stehen ab!
Du siehst überhaupt nicht aus, wie die anderen!
Auf deinem Kopf wachsen zwei Fühler!
Manchmal denke ich, du bist gar nicht von hier!
Du solltest dich wirklich was schämen!

Befremdlicher Dialog

“Guten Tag, mein Herr.”
“Guten Tag, mein Herr, ich begrüße Sie.”
“Ich begrüße Sie auch und möchte Sie fragen,
was Sie von der fremdländischen Dame halten,
die bei uns eingezogen ist.”
“Also eingezogen ist sie, das muss man sagen.
Aber sie ist mir trotzdem noch fremd.”
“Ja, kein Wunder. Sie ist ja eine Fremde.
Fremde fühlen sich immer fremd an.”
“Aber nur, bis man vertraut mit ihnen ist.”
“Sie wollen sich also mit der fremdländischen
Frau vertraut machen?! Das finde ich unerhört!”
“Aber sie hat mich ja noch gar nicht erhört.
Oder ich habe mich verhört. Das könnte auch sein.
Aber eigentlich ist das gar nicht möglich, weil
ich sie noch gar nicht um ihre Vertrauen gebeten
habe.”
“Sie wollen sich tatsächlich mit der fremden Dame
gemein machen? Das finde ich sehr befremdlich!
Am Ende sind wir uns dann fremd!”
“Das wäre beklemmend! Dann reichen wir uns doch
lieber die Hände gemeinsam mit der fremden Dame!
Denn wenn man sich kennt
ist man sich nicht mehr fremd!”

Die Macht der Gedanken

Meine Gedanken beeinflussen meine Lebensqualität.
Wie kamen die Gedanken in meinen Kopf, die sich
jetzt dort befinden?
Was ich auf das Papier schreibe, sind Gedanken,
die irgendwie in meinen Kopf gekommen sind.
Manche wurden von Werbefachleuten in meinen Kopf
gepflanzt, damit ich bestimmte Produkte kaufe.
Andere sind mir in den Kopf gesetzt worden von
Eltern und Erziehern, die wollten, dass ich mich
an die Werte der Gesellschaft anpasse.
Welche Gedanken sind meine eigenen?
Habe ich überhaupt eigene Gedanken oder lebe ich
in einem großen Gedankenpool, in dem die Gedanken
herumschwimmen und ich halte die, die nah genug
vorbeischwimmen, für meine eigenen?
Aber wenn schon alle nicht meine eigenen sind, dann
will ich wenigstens die Gedanken auswählen, die mir
gut tun.
Gedanken bestimmen die emotionale Qualität meines
Lebens. Es gibt Gedanken, durch die ich mich gut fühle,
und andere, die bewirken, dass es mir schlecht geht,
wenn ich sie denke.
Gedanken sind unhörbar gesprochene Worte in meinem Kopf.
“Du kannst aber auch gar nichts!” ist ein Gedanke, der
das Selbstwertgefühl mindert.
Da ich mich gut fühlen will, betrachte ich ihn und erkenne
ihn als das, was er ist. Dann löst er sich auf und hat keine
Macht mehr über mich.
“Das hast du super gemacht!” ist ein Gedanke, der mein
Selbstwertgefühl erhöht. Ich fühle mich toll, wenn er
auftaucht und mir auf die Schulter klopft.
Aber im Grunde ist auch er nur eine Folge von Worten, die
in meinem Bewusstsein auftauchen.
Klar, wenn ich mich gut fühlen will, nähre und pflege ich
eher die “guten” Gedanken als die “schlechten”.
Aber wenn ich auch die guten Gedanken als mir nicht zugehörig
betrachte, dann kann ich erkennen, dass weder das eine noch
das andere etwas mit dem zu tun hat, was ich wirklich bin.
Die Gedanken, egal ob gut oder schlecht, tauchen in meinem
Bewusstsein auf und lösen Gefühle aus.
Ich bin aber, ganz im Kern, das, was diese Gedanken und
Gefühle betrachtet und erlebt.
DASS fühlt sich gut an.
Darum will ich es üben.

Nur in der Fremde ist der Fremde ein Fremder

Die Fremden
VON KARL VALENTIN

Professor: Wir haben also in der letzten Unterrichtsstunde über die Filzpantoffel gesprochen und behandeln heute das Hemd. Wer von euch weiß zufällig einen Reim auf „Hemd“?
Valentin: Auf Hemd reimt sich „fremd“.
Professor: Sehr gut! Und wie heißt die Mehrzahl von „fremd“?
Valentin: Die Fremden.
Professor: Jawohl, die Fremden. – Und aus was bestehen die Fremden?
Valentin: Aus „fremd“ und aus „den“.
Professor: Sehr gut! – – und was ist ein Fremder?
Valentin: Fleisch, Gemüse, Mehlspeisen – Obst usw.
Professor: Nein! – Nein! – Nicht was er isst, sondern was er tut.
Valentin: Er reist ab!
Professor: Sehr richtig! Er kommt aber auch an – und ist dann ein Fremder. – Bleibt er dann für immer ein Fremder?
Valentin: Nein! – Ein Fremder bleibt nicht immer ein Fremder.
Professor: Wieso?
Valentin: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.
Professor: Das ist nicht unrichtig. – Und warum fühlt sich ein Fremder nur in der Fremde fremd?
Valentin: Weil jeder Fremde, der sich fremd fühlt, ein Fremder ist, und zwar so lange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt – dann ist er kein Fremder mehr.
Professor: Ausgezeichnet! – Wenn aber ein Fremder schon lange in der Fremde ist, ist das dann auch ein Fremder? Oder ist es ein Nichtmehrfremder?
Valentin: Jawohl, das ist ein Nichtmehrfremder, aber es kann diesem Nichtmehrfremden – unbewusst – doch noch einiges fremd sein.
Professor: Was zum Beispiel?
Valentin: Den meisten Münchnern zum Beispiel ist das Hofbräuhaus nicht fremd – hingegen ihnen die meisten Museen fremd sind.
Professor: Sehr richtig! – Dann kann also der Einheimische in seiner eigenen Vaterstadt zugleich ein Fremder sein. Es gibt aber auch Fremde unter Fremden! Wie verstehen Sie das?
Valentin: Fremde unter Fremden sind – so wie ich mir das vorstelle –, wenn Fremde mit dem Zug über eine Brücke fahren und ein anderer Eisenbahnzug mit Fremden unter derselben durchfährt, so sind die durchfahrenden Fremden – Fremde unter Fremden, was Sie, Herr Professor wahrscheinlich nicht so schnell begreifen werden.
Professor: Leicht fällt es mir nicht! Aber nun wieder zum Thema. – Und was sind Einheimische?
Valentin: Einheimische sind das Gegenteil von Fremden. Aber dem Einheimischen sind die fremdesten Fremden nicht fremd, – er kennt zwar den Fremden persönlich nicht, merkt aber sofort, dass es sich um einen Fremden handelt, beziehungsweise um Fremde handelt; zumal wenn diese Fremden in einem Fremdenomnibus durch die Stadt fahren.
Professor: Wie ist es nun, wenn ein Fremder von einem Fremden eine Auskunft will?
Valentin: Sehr einfach. – Frägt ein Fremder in einer fremden Stadt einen Fremden um irgendetwas, was ihm fremd ist, so sagt der Fremde zum Fremden: „Das ist mir leider fremd, ich bin nämlich selber fremd.“
Professor: Das Gegenteil von fremd ist bekannt. Ist das klar?
Valentin: Eigentlich ja! Denn, wenn zum Beispiel ein Fremder einen Bekannten hat, so muss ihm dieser Bekannte zuerst fremd gewesen sein, aber durch das gegenseitige Bekanntwerden sind sich die beiden nicht mehr fremd. Wenn aber diese beiden Bekannten zusammen in eine fremde Stadt reisen, so sind diese zwei Bekannten dort für die Einheimischen wieder Fremde geworden. – Sollten sich die beiden Bekannten hundert Jahre in dieser fremden Stadt aufhalten, so sind sie auch dort den Einheimischen nicht mehr fremd.
■ Karl Valentin: „Sämtliche Werke“. Band 4, Piper Verlag, München 1994

Den Willen stärken

Die Willenskraft zu trainieren ist ganz einfach.
Man nimmt sich etwas vor und tut es dann auch.
Wenn man sich etwas vornimmt,
was man dann nicht macht,
sollte man es sich nicht mehr vornehmen,
denn dann will man es nicht tun.
Man sollte sich nur etwas vornehmen,
was man auch wirklich will.
Eine Übung, um diese Fähigkeit zu trainieren,
besteht darin, jeden Tag um die gleiche Zeit
ein Glas Wasser zu trinken.
Das ist ganz einfach.
Ich nehme es mir vor und tue es dann auch.
So trainiert man die Willenskraft.
Ich stelle mich jeden Abend um 19 Uhr an das Fenster
und notiere dann in einem Satz die Wetterlage.
“Es regnet.” steht dann da.
Oder “Sonniges Wetter.”
So entsteht eine lustige Liste.
Graupelschauer.
Es gießt in Strömen.
Flocken segeln herab.
Blitz und Donner.
Bäume biegen sich unter dem Sturm.
Am Ende entsteht ein schönes Gedicht,
mit dem man die Willenskraft stärkt.
Viel Vergügen.
*

Schreiben ist nützlich

Auch wenn keiner liest, was ich schreibe, ist
Schreiben ein wirksames Werkzeug, um zu
verstehen, wie mein Geist funktioniert und wie
ich ihn und mein Leben verändern kann.
“Es ist sowieso alles sinnlos” steht auf dem
Papier.
Ich betrachte diesen Gedanken, der sich wie
unhörbar gesprochene Worte in meinem Kopf
anfühlt. Mit diesem Gedanken lähme ich meine
Tatkraft. Er hindert mich daran, das zu tun,
was ich tun will. Als würde jemand einen Pfeil,
den ich auf ein Ziel abgeschossen habe, aus
seiner Richtung schlagen. Der Gedanke lähmt
mich, macht mich traurig und nimmt mir meine
Kraft.
Ich betrachte Ursache und Wirkung.
Da ich mich weder gelähmt noch kraftlos fühlen
möchte, will ich diesem Gedanken keine
Aufmerksamkeit mehr geben. Ich höre, wie er in
meinem Bewusstsein auftaucht. aber ich spreche
seine Worte nicht nach. Ich lasse ihn da, wo er
ist. Dadurch verliert er seine Wirksamkeit auf
mein Leben.
Ich muss mich nicht zwingen, etwas Positives
zu denken. Aber ich betrachte den auftauchenden
Gedanken, analysiere seine Wirkung und entscheide
mich, auf ihn zu verzichten, ohne ihn zu
unterdrücken.
Dann löst er sich auf wie eine Wolke am Himmel.
Dazu ist Schreiben nützlich.
*