Ein Gedicht lässt mich im Stich

Ein Gedicht lässt mich im Stich,
denn es schweigt und weigert sich,
mit mir Hand in Hand zu gehen,
um die Sache durchzustehen.
Es machte sich aus dem Staub
und stellt sich nun einfach taub.
Statt zu kämpfen voll mit Zorn,
wirft's die Flinte in das Korn,
hat die Lunte schnell gerochen
und sich ängstlich früh verkrochen.
Darum kämpf ich jetzt alleine.
Taucht es auf, mach ich ihm Beine!
*

Die Strassenbahn

Die Strassenbahn langweilt sich rund um die Uhr.
Sie fährt Tag für Tag immerzu in der Spur
der eisernen Schienen.
Gefangen in ihnen
dreht sich dieses Leben in endlosem Kreis.
Um dem zu entkommen, zahlt sie jeden Preis.
So rammt sie die Menschen und schrammt Autos an,
benimmt sich so schlecht wie nur sie schlecht sein kann,
bis alle sich fürchten, entsetzt vor ihr flieh'n.
Das schlimme Benehmen wird ihr nicht verzieh'n.
Statt weiter zu trotten
im täglichen Trott,
wird man sie verschrotten
und schickt sie zum Gott
gelangweilter Bahnen.
Und man kann schon ahnen,
wie langweilig es in der Himmelswelt ist
und wie sie die eisernen Schienen vermisst.

 

Cowboy

Der Typ in der Glotze gefiel mir.
Er hatte breite Schultern und schmale Hüften
und schoss auf alles, was sich ihm in den Weg stellte.
So wollte ich sein.
Ich hatte es satt, dass alle mit mir den Larry
machten und mich an die Seite schoben. Schon als 
Kind tanzten die anderen mir auf der Nase herum
und schubsten mich in den Graben.
Ich wollte so werden wie er und übte vor dem
Spiegel so männlich zu gehen, als hätte ich einen
Colt an der Seite baumeln.
"Musst du zum Klo?" fragte meine Oma mich.
"Nein, ich übe, ein Mann zu sein!" sagte ich
und verdrehte die Augen. Sie verstand aber
auch gar nichts.
Ich lief auf den Hof hinaus und versuchte,
meine Schultern breiter zu machen, indem ich
tief einatmete und die Luft anhielt.
"Du platzt gleich!" rief Tante Elly vom 
Nachbargrundstück, wo sie grade die weiße
Wäsche mit bunten Klammern an der Leine
befestigte.
Die alten Frauen hatten keine Ahnung davon, 
was wirklich wichtig war. Aber das behielt ich
natürlich für mich.
Ich zog den Bauch ein und versuchte, gespannt
wie ein Flitzebogen über die Straße zu flitzen.
Hanno stellte mir ein Bein.
Ich stürzte und meine Nase blutete.
"Wenn du ein Mann werden willst, musst du dich
abrollen können und weich sein wie Butter!"
sagte er und half mir wieder auf die Beine.
"Sonst zerbrichst du wie Eis!" fügte er hinzu.

Ein Bürgersteig träumt

Ein Bürgersteig träumt,
er hätte versäumt,
alles, was ihm passiert ist,
genau zu notieren.
Es darf nicht passieren,
dass alle, die immerzu ungeniert
über sein Trottoir hinweg marschiert
sind,
egal ob Vater, ob Mutter, ob Kind,
oder die schwadronierend auf ihm spazierten
und sich dabei nicht mal ein bißchen genierten,
dass all diese nicht als Erinnerung bleiben.
Er wollte es gerne notieren und schreiben,
damit alle wissen, wie wichtig er war.
Wie großartig, einzig und wunderbar
er zu seiner Zeit gewesen ist
und dass alle Welt ihn nun wirklich vermisst.
Das wollte der Bürgersteig sehr gerne wissen,
doch er hat vergessen, die Flagge zu hissen,
die in dem Gedächtnis Markierungen macht.
Darum hat sein Hirn sie nicht angebracht,
und alles verschwand so, als wäre es gleich.
Oder spielt die Erinnerung ihm einen Streich?
Vielleicht weiß ja doch noch ein dieser und jener,
wie schön es sich damals flanieren ließ,
auf dem Bürgersteig, so wie im Paradies.
Doch er ist jetzt nur noch ein Haufen Steine
und Erinnerung, da hat er leider nicht eine.

Liebst du mich?

"Liebst du mich auch wirklich?"
"Ich liebe dich sehr!"
"So sehr wie die Sonne?"
"Sogar noch viel mehr!"

"Liebst du mich ganz sicher
und bleibst du mir treu?"
"So treu wie der Morgen,
auf den ich mich freu!"

"Liebst du mich denn ehrlich
auch ganz ohne List?"
"Ich liebe dich immer,
wenn du bei mir bist!

Doch fragst du noch weiter
dann gehe ich fort
und hör in der Ferne
kein weiteres Wort!"

"Ich wusste es eh schon,
dass du mich nicht liebst!
Nur gut dass du mir
die Gewissheit jetzt gibst!"

 

Pencildance vom 21.05.2019

Nehme einen Satz aus dem nachstehenden Text
als ersten Satz für deinen eigenen Text:

"Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind, 
un­sere tiefste Angst ist, dass wir über die Maßen macht­voll sind.
Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, vor dem wir uns am 
meisten fürchten. Wir fragen uns: Wer bin ich, dass ich so 
brillant, großartig, talentiert, fabelhaft sein sollte?
Aber wer bist du denn, es nicht zu sein?
Du bist ein Kind Gottes. Dich klein zu machen, dient nicht der Welt.
Dich klein zu machen, damit die anderen um dich herum sich nicht 
unsicher fühlen, hat nichts mit Erleuchtung zu tun.
Wir sind dazu bestimmt, unser Licht leuchten zu lassen.
Wir sind geboren, um den Geist Gottes, der in uns lebt, zu 
verwirklichen und durch uns leuchten zu lassen.
Und diese Größe ist nicht nur in ei­ni­gen von uns, 
sie ist in jedem Menschen.
Wenn wir unser Licht leuchten lassen, dann geben wir unbewusst auch 
anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun.
Indem wir uns selbst von Angst befreien, befreien wir die anderen mit."
MARIANNE WILLIAMSON, Rückkehr zur Liebe
Dieser Text wird oft fälschlich Nelson Mandela zugeschrieben.
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