Tagesarchive: Januar 4, 2022
Ich schreibe sogar, während andere schlafen
Ich schreibe sogar, während andere schlafen. Ich dichte auf schaukelnden Schiffen im Hafen. Auf schneeweiße Schlüpfer schreib ich und auf Hosen, auf Zahnpastatuben und Sauerkrautdosen. Ich schreibe auf Türen und Doppelglasfenster, in grusligen Schlössern auf Burgplatzgespenster. Auf Bettlaken will ich frühmorgens notieren, was Dichter in Träumen des nachts phantasieren. Auf Glasvasen tupfe ich Laute und Silben. Ich schreibe im Bett zwischen Läusen und Milben. Den Stift zwischen Zähnen und auf allen Vieren schreib ich über Knigge und schlechte Manieren. Denn ich weiß ja, dass jeder, der immerzu schreibt, auch nach seinem Tod in Erinnerung bleibt. |
Worüber ich schreibe
Ich könnte sehr viel über Kniestrümpfe schreiben. Mein Lektor sagt aber: "Das lass besser bleiben, denn Kniestrümpfe zählen (kariert) zu den Themen, von denen zu dichten Poeten sich schämen." Deshalb schrieb ich Lyrisches über die Bahn, die immer zu spät war, auch wenn sie mal kam. Ich reimte auch was über Cowboykopfhüte, die Johnny nicht trug, denn er nahm eine Tüte und setzte sie sich feierlich auf sein Haupt. Das hat mir mein Lektor jedoch nicht erlaubt. Die Verse, sie liegen darum in der Lade. Ein Leserbrief schrieb mir, er fände es schade, dass ich über herzhafte Liebe nicht reime. (Ich dichte sie nicht. Sie enthält zu viel Keime!) Stattdessen bau’ ich mir mit fröhlicher Miene die Silben verschwendende Reime-Maschine. Mit ihr backe ich dann poetische Kuchen. Die müsst ihr natürlich genüsslich versuchen. Ich will sie für Leser (Nur für die gescheiten!), nachdem ich sie würzte, gekonnt zubereiten. Und das geht so: Mein Metrum ist der Schweinsgalopp. Ich dichte gerne hopp, hopp, hopp. Zum Tango-Tempo sag ich:“NEIN!“, denn Walzer muss mein Versmaß sein. Im Kreise dreh’ ich mich dann so voller Glück, ja, mit drei Schritten vorwärts und dreien zurück. Folgt tanzend mir in mein Gefilde, dann seid ihr über mich im Bilde. |
Ich schreibe auf ein Stück Papier
Ich schreibe auf ein Stück Papier Gedichte. Ich kann nichts dafür. Das Dichten liegt mir halt im Blut. Darum gelingt es mir so gut. Ich schreibe mit dem Fingerhut in eine Schale Butter. Ich schreibe mit dem filigranen Füller meiner Mutter. Mit Klammern und mit Wäsche texte ich auf eine Leine. Mit Nägeln ritze ich Gedichte in gefärbte Steine. Mit einer Schere schneide ich zwei Zeilen in ein Tuch und knüpfe in die Ecken einen hundsgemeinen Fluch. Auf zartes, rosa Klopapier, versteckt im Damenklo, schreibe ich mit gezapftem Blut von einem Zirkusfloh. Mit schwarzer Kohle schreibe ich auf braunes Backpapier. Mit frisch geschärften Messern auf die Lederhaut vom Stier. Ich knote mit den weißen, aus dem Mund geriss'nen Zähnen Terzinen der Vergänglichkeit in schwarze Löwenmähnen. Ich schreibe mit dem letzten Haar von meinem kahlen Kopf. Ich schreibe mit dem langen, blonden, eleganten Zopf, den ich dem Weib vom Haupte schnitt, das tollkühn auf dem Wallach ritt. (Auf einem Wallach durch den Wald. Wohin? Wofür? Ihr wurde kalt.) Ich dichte selbst mit langen, spitzen, rot lackierten Nägeln auf blaue Wellen aus Papier, wenn wir durch Kissen segeln. Weil dies, mein Herz, der Dichtung gilt, will ich es froh verschenken. Sobald ich ausgeblutet bin, könnt ihr gern an mich denken. Auf dem Jenseitsplaneten, weit weg in der Ferne, dichte ich dann als Seele noch ganz neue Sterne. |