Pechvogel

Er wohnte in der Mülltonne unter der Brücke, nachdem ihn seine Freundin
vor die Türe gesetzt hatte. Freunde hatte er keine mehr, denn er war ein
verdrießlicher Zeitgenosse, der mit keinem in Frieden leben konnte. Immer
hatte er an allem etwas auszusetzen und so konnte man bis zu der Mülltonnen-
Episode feststellen, dass er im Laufe seines 58-jährigen Lebens in 23
Wohnungen gehaust hatte. Vielleicht waren es auch nur 21 gewesen, so genau
wusste er das nicht mehr.
Als seine Eltern ihn rausgeschmissen hatten, weil er immer am Essen herumnörgelte,
war er vorübergehend bei seiner Großmutter untergekommen. Die hatte ihm den
Haustürschlüssel wieder entzogen, weil er ständig versuchte, die Wohnung
umzuräumen.
Im Wohnheim für junge Männer gefiel es ihm überhaupt nicht. Vor allem der Zustand
der Gemeinschaftsküche ließ sehr zu wünschen übrig und die Mitbewohner zeigten
wenig Bereitschaft, seinen Anweisungen für die Reinigung der Küche Folge zu leisten.
Eine Freundin, bei der er sich eingenistet hatte, stieß ihn zornig aus dem Nest,
weil er sich an ihrer Haushaltskasse zu schaffen machte.
Nun saß er da unter der zugigen Brücke vor der leeren Tonne wie Diogenes und versuchte,
herauszubekommen, was in seinem Leben schief gelaufen war.
Was hatten all diese Leute falsch gemacht?…fragte er sich.

Ein Gedicht aus Papier

Ein Gedicht wurde sorgfältig ausgeschnitten
aus von Hand geschöpftem, feinem Bütten-
papier,
das mir
ein Freund geschenkt.
Seht, wie es dort am Fenster hängt.
Es sieht aus wie ein Scherenschnitt,
in dem ein Freund den and’ren tritt.
Dabei war es nicht so gemeint,
wie es auf dem Papier erscheint.
Wer sich im Scherz am Freund versündigt,
dem wird die Freundschaft gleich gekündigt,
denn Kunst darf auch nicht alles machen,
damit die Leser lustig lachen.
Darum seid achtsam mit den Worten.
Es ist oft besser, sie zu horten,
als sie frech in die Welt zu setzen
und seine Freunde zu verletzen.
Einmal in diese Welt gegeben,
entwickeln sie ein Eigenleben
und ist die Büchse einmal offen,
hat Pandora den Freund getroffen,
dann lässt sie sich nicht mehr verschließen
und möchte auf die Freunde schießen.
Darum gäbe es auch dies Gedicht
aus guten Gründen besser nicht.

Ein wichtiges Gedicht

Im Oberstübchen nicht ganz richtig,
nimmt dies Gedicht sich viel zu wichtig.
Es möchte groß sein und nicht klein,
will etwas ganz Besond’res sein.
Darum macht es ein Selfie
von sich und König Elfie.
Der scheint was zu bedeuten.
Er zeigt sich allen Leuten
in immer neuen Formen.
Fernab von allen Normen
ist er enorm spektakulär,
was das Gedicht auch gerne wär.
Es will sich täglich neu erfinden
und das auch aller Welt verkünden.
Doch leider es ist nur Kopie
und findet seine Form wohl nie.

Farben

Oh, Himmel,
wie hast du dein Blau angenommen?
Du, Gras,
wer gab dir dein Grün?
Durch das Licht hat die Welt ihre Farben bekommen
und ich freue mich an dem Erblüh’n
all der prächtigen Dinge, die überall leuchten,
ganz ohne dass sie sich bemüh’n.

Monsieur Töff Töff erkennt sich nicht

Monsieur Töff Töff erkennt sich nicht.
Ihm scheint, er steht im falschen Licht.
Die Lampe strahlt im Buch-Regal
ein warmes, klares, helles Licht.
Doch Töff ist dieses Licht egal,
denn heute findet er sich nicht.
Er weiß partout nicht, wer er ist.
„Wer bin ich?“ denkt er. „So ein Mist!
Ich bin doch gestern wer gewesen
und habe in dem Buch gelesen.
Mit ‘Werde, der du bist!‘ betitelt
hat es mir schwarz auf weiß vermittelt,
wer ich wie bin und was ich war.
Das war ganz einfach wunderbar.
Ich wusste plötzlich, wer ich bin.
Das Buch gab meinem Leben Sinn.
Heut‘ fühl‘ ich mich von mir entfernt,
als hätte jemand mich entkernt,
weil dieses Buch an meiner statt
sich in mir ausgebreitet hat.
Ich muss das Buch wieder entfernen
und üben, von mir selbst lernen.
Er trägt das Buch zur Bücherei
und fühlt sich dadurch wieder frei.
Fragt jemand ihn nach seinem Sinn:
spricht er „Ich bin schon der, der ich schon bin!
Anstatt der, der ich bin, zu werden,
bin ich zufrieden hier auf Erden.“

Das kann doch nicht wahr sein, Neufassung vom 26.1.2018

„Das darf doch nicht wahr sein!“
schimpft laut ein Gedicht.
„Ich glaube es nicht!
Ich habe, was möglich ist,
sorgsam studiert.
Es kann nur ein Wahn sein,
dass dies hier passiert!
Was jetzt hier geschieht,
das kann einfach nicht sein!
Es sei denn, die Welt ist
brutal und gemein!“
So leugnet es tapfer die Realität.
Für jede Belehrung kommt man hier zu spät.
Anstatt dem Geschehen ins Auge zu schauen,
bemüht es sich, die Illusion zu erbauen,
dass das, was geschehen ist,
gar nicht geschah,
und tut einfach so,
als ob wär es nicht da.
Die Augen geschlossen,
verpasst es das Leben,
denn so wie es nun ist,
so ist es nun eben.
Doch wir schauen aufmerksam
ganz genau hin,
denn das ist ja grade
vom Leben der Sinn.

Statusspiele

Keith Johnstone: „Entwickle deine Freude am Scheitern. Erst wenn du keine Angst mehr hast, auch mal blöd auszuschauen, hast du die Chance, gut zu werden. Wer gleich gut sein will, erreicht nur eins :Langeweile! „

Keith Johnstone ist Lehrer für Improvisationstheater und Theatersport. Ich versuche, seine Ideen auf das Schreiben zu übertragen. Eine seiner Ideen besteht darin, mit dem Statusgefälle zwischen Personen zu arbeiten. Das funktioniert auf der Ebene der Dialoge so, dass der jeweilige Status der eigenen oder der anderen Person erhöht oder erniedrigt wird, um Spannung zu erzeugen.

Zur Einleitung ein kurzer Dialog zwischen einem unterwürfigen König und einem selbstbewussten Sklaven:

K: „Würdest du so gut sein und mir die Krone richten, Soren?“
S: „Nein, würde ich nicht! Ich hab‘ schließlich nur ein Paar Hände!“
K: „Aber … schau mal Soren! Du … gehörst mir doch!“
S: „Sie sind völlig ungeeignet, Leute zu besitzen! Wie Sie mich bei dem Picknik mit Marmelade eingerieben haben!“
K: „Das tut mir ja leid. Aber wie sollte ich die Insekten von unseren Gästen fernhalten?“

„Ein König kann einem Sklaven gegenüber Tiefstatus spielen, und der Sklave kann gegenüber dem König Hochstatus spielen.“ – Keith Johnstone

Ich versuche, Beispiele für meine Schreibgruppe zu sammeln. Habt ihr welche für mich ?

Vergänglichkeit

Abgeblätterte Farbe auf Marmorwänden,
abgefallene Blätter in Kinderhänden,
zerfurchte Gesichter mit traurigen Mienen
sind mir heute Nacht im Traume erschienen.
Sie wiesen mich kurz und knapp darauf hin,
dass ich ein vergängliches Wesen bin.

Vorstellungskraft entwickeln

Um etwas zu schreiben, benötigt man Vorstellungskraft.
Je klarer und lebhafter die Bilder sind, die man vor dem
inneren Auge sieht, desto überzeugender lässt sich das so
in der Phantasie Erschaffene mitteilen.
Die Fähigkeit, Bilder vor dem inneren Auge zu erschaffen,
oder sich an diese zu erinnern, kann man trainieren.
Zunächst muss man sich im Körper verankern, um den Kontakt
mit der Wirklichkeit nicht zu verlieren. Dazu richtet man
die Aufmerksamkeit wie den Lichtkegel einer Taschenlampe
auf die Fußsohlen und tastet so einmal den ganzen Körper
ab, von den Füßen bis zum Schädeldach.
Hat man auf diese Weise die Verbindung mit dem Körper
gefestigt, stellt man sich eine weiße Leinwand vor, die
sich auf Augenhöhe 1 Meter vom Körper entfernt befindet.
Um die Imaginationsfähigkeit zu entwickeln, beginnt man
am besten mit einfachen Formen.
Eine waagerechte schwarze Linie ist für den Anfang gut
geeignet. Stelle dir vor, dass die horizontal Linie sich
in die Senkrechte dreht, indem der linke Endpunkt nach oben
wandert und der rechte Endpunkt nach unten. Wenn der nun untere
Endpunkt der Linie weiter nach links wandert, hast du wieder
eine horizontale Linie vor deinem inneren Auge.
Lass die Linie sich immer wieder drehen.
Nehme nun andere geometrische Formen als Imaginationsobjekt.
Stelle dir Dreiecke vor, die sich drehen, oder Kreise bzw.
Reifen, die auf einem imaginären Boden entangrollen.
Lass die Objekte in verschiedenen Farben vor dir erscheinen.
Entwickle deine Fähigkeiten weiter, indem du dir dreidimensionale
Formen vorstellst, um die du im Geiste herumläufst wie um ein
Hochhaus oder eine Litfaßsäule.
Das Bewusstsein ist wie ein Auge, das über einer Wasserfläche
schwebt. Das Wasser symbolisiert das Unterbewusstsein, aus dem
Bilder, Gefühle und Gedanken aufsteigen und auf dieses Weise
bewusst werden können.
Du kannst dir vorstellen, dass du am Rande eines Sees auf einer
Bank sitzt und auf die Wasseroberfläche schaust.
Der Wind bewegt die Wasseroberfläche. Regentropfen fallen und so
entsteht Bewegung. Du siehst viele Bilder auf der Wasseroberfläche.
Du erkennst in dem bewegten Wasser menschliche Gestalten, Männer und
Frauen, alte und junge Menschen, Kinder, Erwachsene und Greise.
Konzentriere dich auf eine Person, die du genauer betrachten möchtest.
Wie sieht diese Person aus? Ist es eine Mann oder eine Frau? Wie
alt ist diese Person? Wie ist sie gekleidet? Wo lebt sie? Mit welchen
Menschen hat sie beruflich und privat Kontakt? Welchen Beruf übt sie aus?
Es gibt etwas, das diese Person dringend braucht, etwas, dessen Fehlen sie
als Mangel empfindet. Versuche herauszufinden, was das ist und was die
Person tun würde, um diesen Mangel zu beseitigen.
Beginne dann, dich zu dehnen und zu strecken, öffne die Augen und schreibe
einen Text, in dem du diese Person über ihr Leben befragst und notierst,
was sie sich am meisten wünscht.
*
Wichtig ist auch, die Filterfunktion des Bewusstseins herabzusetzen, damit
die Bilder, die in diesem Prozess aufsteigen können, nicht durch Erwartungen
oder Befürchtungen beeinträchtigt werden.

Das Frühstücksei

Die Ode auf das Frühstücksei
ist keinesfalls ein Einerlei.
Sie keimt freilich in keinem Leib
und keiner weiß um ihr Verbleib.
Kein Schweißer weiß um ihr Woher.
Kam sie vom Mond? Kam sie vom Meer?
Die Ode weiß es selber nicht,
denn sie ist ja nur ein Gedicht,
nur eine öde Ode.
Sie langweilt uns zu Tode.