Ein Paket liegt vor der Tür

Ein Paket liegt vor der Tür,
eingewickelt in Papier.
Als ich es ins Zimmer trage,
stellt sich mir die bange Frage,
ob hier gleich etwas passiert
und das Päckchen explodiert.
Ob ein Selbstmordattentäter,
zuerst mutig, aber später,
als der Mut ihn doch verließ,
mir das Päckchen hinterließ?
Lauschend lege ich die Ohren
auf das Päckchen. Kein Rumoren
und kein Ticken ist vernehmbar.
Nur die Zeit wird deutlich dehnbar.
Stunden werden aus Sekunden.
Ich such zitternd zu erkunden,
was sich innendrin befindet
und ob etwas davon kündet.
So les ich mit Interesse
auf dem Päckchen die Adresse.
Ganz eindeutig ist es meine.
Warnhinweise gibt es keine.
Konsultier nun mein Gewissen.
Dann das Päckchen aufgerissen.
In den Händen, wie ich seh,
nun die Video-CD
mit schon lang von mir vermissten
Krimis voller Terroristen,
die ich immer gerne seh,
kurz bevor ich schlafen geh.


   

Kürbistraum an Halloween

Kürbistraum an Halloween
*
Ein Kürbis lag träumend im Hafen.
Er wollte bei Vollmond dort schlafen.
Doch dann kam ein Geist
und schnipselte dreist
zwei Augen hinein in den Braven.
*

Ein Geisterbeschwörer aus Ahlen
*
Ein Geisterbeschwörer aus Ahlen, 
dem nachts fremde Mächte befahlen, 
sich heimlich die Kohlen 
vom Nachbarn zu holen, 
fiel auf, 
weil er anfing zu prahlen.
*

Die Marktfrau
*
Die Marktfrau im Dorf neben Frechen
 beschloss, ihren Mann zu erstechen.
Das Messer im Herzen 
muss sie nun verschmerzen, 
denn sonst gäb es ja kein Verbrechen. 

Kürbisliebe

Kürbisliebe
*
Ich bin nur eine Jalousie. Genauer gesagt, bin ich
DIE Jalousie vor der Küchenzeile in dem
Tagungsraum der Volkshochschule.
Seit einigen Tagen bin ich ganz aufgeregt, wenn ich auf 
den großen Tisch blicke, der in, früher mir angemessenem,
nun mir viel zu groß erscheinendem Abstand im Raum steht.
Warum? Weil auf diesem Tisch ein Kürbis liegt. 
Zuerst ist er mir gar nicht aufgefallen. Er war einfach nur
ein runder, dicker, gelber Ball, den jemand achtlos und
mit der Absicht, etwas Freundliches in diese öde Landschaft
zu pflanzen, auf den Tisch geknallt hatte.
Aber wie das Schicksal es wollte, hatte ein Besucher den
Kürbis durch eine ungeschickte Bewegung seines Ellbogens gedreht,
und ich konnte plötzlich in seine Augen sehen, die glanzerfüllt
im Lichte der in ihnen verborgenen Kerzen strahlten.
Da lief ein wonnevoll loderndes Feuer durch all meine Lamellen,
so dass ich zu zittern begann. Um genauer zu sein: ich begann
zu klappern und hatte mich nicht mehr unter Kontrolle, weshalb 
der Hausmeister einen Handwerker bestellte, der an mir herumzufummeln
begann. Er pfuschte an mir herum, zog mich hoch, ließ mich runter,
zog mich hoch, ließ mich runter und ölte mich, anstatt die
psychosomatische Ursache meines Gebrechens zu erforschen. 
Dies alles will ich dir mit diesem Brief erklären, mein lieber, 
dicker, runder Freund, in der Hoffnung, dass du meine Gefühle
nicht nur verstehen, sondern sogar erwidern kannst.
Aber es ist mir ein Rätsel, wie ich mich dir weiter nähern kann,
denn in diesem ständigen Auf und Ab, dem Hochgezogenwerden und 
Herabgelassensein, ist so gar nichts an Fortbewegung möglich.
Hast du eine Lösung für unser Problem?
Deine dich liebende J.
*
Da verwandelte sich der Kürbis in eine prachtvolle Kutsche,
befreite die Jalousie aus dem Laufrad ständiger Auf- und Niedergänge
und galoppierte mit ihr über die Prärie, einem wunderbaren Sonnenaufgang entgegen.

Farbige Klänge

Farbige Klänge
*
Seit gestern hör ich alle Klänge als blau.
Von Himmelblaujauchzend bis Taubenblaugrau
erscheinen in Farben die Klänge der Welt.
Ich färbe Geräusche, wie es mir gefällt.
Ein silbernes Klingeln, ein brummendes Braun.
Ich kriege die tollsten Geräusche zu schau'n.
Die Welt stell ich mir herrlich bunt auf den Kopf.
Den Ton nur zu hören 
- ist ein alter Zopf.

Vorfrühling

Nachgedichtet - Vorfrühling - Hugo von Hoffmannsthal
*
Stumm glitt ein Ton durch die Flöte
und schwebte beseelt durch den Raum.
Ein Vogelpaar blickte ihm lauschend nach
und dachte, es sei ein Traum.
In der Dämmerung vernahm man ein Schluchzen.
Keiner wusste, woher es wohl kam.

Die Geräusche, die in der Nacht kommen und gehen,
treibt der wehende Wind durch die kahlen Alleen.

Blasse Schatten durchwandern die duftende Nacht.
Einer weinte. Dann hat jemand lauthals gelacht.
Es kam unverstellt durch die Lippen zum Ohr.
Die Nacht dirigiert alle Klänge im Chor.
Was in der Nacht über die Lippen kam,
hat sich endlich hinausgewagt,
und verursachte Hoffnung und Wut und Scham,
denn es wurde noch niemals gesagt.

Seltsame Dinge wehen an Bäumen vorbei,
ein Weinen, ein Lachen, ein Schimpfen, ein Schrei 
Doch der Frühlingswind streift durch die weiten Alleen
und jeder, der will, kann ihn heute dort seh'n.
Er streichelt erwachende Bäume
und schenkt ihnen zärtliche Träume.

 

Jung und Alt

Der kleine Junge griff nach der Hand der alten Frau. 
Die Hand war krumm und voller Falten. 
Der Junge betrachtete sie forschend 
und folgte mit den Fingern den Weg der Linien, 
die das Leben durch die Hand gezogen hatte. 
Dann legte er ein Blütenblatt in die Hand 
und schloss sie zur Faust.































Wann ist der Mann ein Mann?

Wann ist der Mann ein Mann?
*
Der Typ in der Glotze gefiel mir. Er hatte breite Schultern,
schmale Hüften und schoß auf alles, was ihm den Weg versperrte.
So wollte ich sein. Ich hatte es satt, dass alle mit mir den Larry
machten und mich an die Seite schoben. Schon als Kind tanzten die
anderen mir auf der Nase herum und schubsten mich in den Graben.
Ich wollte so werden wie er und übte vor dem Spiegel, so männlich
zu gehen, als hätte ich einen Colt an der Seite hängen.
"Musst du zum Klo?" fragte meine Oma mich.
"Nein! Ich übe, ein Mann zu sein!" antwortete ich und verdrehte
die Augen. Sie verstand aber auch gar nichts.
Ich lief auf dem Hof herum und versuchte, meine Schultern breiter
zu machen, indem ich tief einatmete und die Luft anhielt.
"Du platzt gleich!" rief Tante Ellie mir vom Nachbargrundstück zu,
wo sie gerade weiße Wäsche mit bunten Klammern an der Leine befestigte.
Alte Frauen hatten keine Ahnung davon, was wirklich wichtig war im
Leben. Aber das behielt ich natürlich für mich.
Ich zog den Bauch ein und versuchte, gespannt wie ein Flitzebogen,
über die Straße zu schreiten. Hanno stellte mir ein Bein. Ich fiel
auf den Asphalt und meine Nase blutete.
"Wenn du ein Mann werden willst, musst du dich abrollen können,
so weich wie Butter!" sagte er.
"Sonst zerbrichst du wie Eis!" 

Als Vater müde war

Als mein Vater müde war, 
lehnte er seinen Kopf 
gegen die Schulter des fremden Mannes, 
der neben ihm saß. 
Die Bewegung der Bahn 
schaukelte beide Männer hin und her. 
Vater fühlte sich geborgen, 
wie auf einem schlafenden Wal. 
Das Tattoo auf der 
muskelbepackten Schulter 
des neuen Nachbarn 
roch nach Vanille und Zimt. 
Als Vater aussteigen musste, 
seufzte der Fremde. 
Vater winkte ihm zu, 
kam nach Hause 
und erzählte es mir.




Am Ankerplatz

Ich habe Anker 
in den Grund geschlagen, 
damit mein kleines Schiff 
sich nicht bewegt. 
Ich wollte mich 
in Sicherheiten wiegen 
und habe meinen Kutter lahmgelegt. 
Jetzt bin ich 
an dem Ankerplatz verrostet. 
Ein Preis, 
den eine Sicherheit wohl kostet. 

Ich würde meine Anker gerne lösen 
und mich vom Strom 
des Wassers treiben lassen. 
Vertrauensvoll 
in Wind und Sonne dösen 
wird sich wohl nicht 
so einfach lernen lassen. 

Ich würde es trotzdem 
sehr gern versuchen. 
Wenn ich ertrinke, 
werdet ihr mich suchen?




























Ich bin nur eine dumme Kuh

Ich bin nur eine dumme Kuh
für dich. Du denkst dir, wenn ich mu-
he, muhe ich allein für mich.
Doch nein, ich muhe auch für dich.
Ich will, dass du mein Weinen hörst,
wenn du mich und mein Kälbchen störst.
Weil du mich meiner Milch beraubst,
darfst du mein Kälbchen, wie du glaubst,
ganz einfach von mir nehmen.
Du solltest dich was schämen!

Mein Euter, das ist voll und prall
wie bei den Kühen überall,
die in Maschinen eingesperrt
gemolken werden. So verkehrt
ist diese tierwohlferne Welt.
Ich klage, dass mir das missfällt
und wünsch mir, es gäb ein Gericht,
dass alle Menschen schuldig spricht,
die sich an meinem Milchfluss laben,
jedoch noch nie gesehen haben,
wie sehr ich täglich leiden muss
für stundenlangen Milcherguss.

Auch bitte ich noch ganz zum Schluss
um den Verzicht auf Fleischgenuss,
es sei denn aus dem Krankenhaus
trägt jemand eine Leiche raus.
Die schmeckt vielleicht genauso gut
wie Steaks, bezahlt mit Kälbchenblut.